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nsa-ausschuss : Tiefe Einblicke in das Innenleben des Bundesnachrichtendienstes

Die Abgeordneten entdeckten mit der Selektorenliste bislang unbekannte Methoden der Geheimdienste

24.07.2017
2023-08-30T12:32:24.7200Z
4 Min

Es gab Zeugen, die versuchten, den Spieß umzudrehen. Die meinten, nicht sie hätten sich zu erklären oder gar zu rechtfertigen, sondern die Abgeordneten. Ronald Pofalla (CDU), bis Dezember 2013 Kanzleramtschef, nutzte im Juli 2015 seinen Auftritt vor dem NSA-Untersuchungsausschuss des Bundestages, um sich über Indiskretionen aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium (PKGr) zu beschweren. Verfassungsschutzpräsident Hans-Georg Maaßen warf den Abgeordneten vor, mit ihrem Ermittlungseifer die Sicherheit Deutschlands zu gefährden. Zwei ehemalige Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes (BND), August Hanning und Ernst Uhrlau, hielten Vorlesungen über die Geschichte der deutsch-amerikanischen Geheimdienstzusammenarbeit: "Dass die USA einen sehr viel umfassenderen Informationsbedarf haben als wir", sagte Uhrlau, "ist uns bekannt gewesen."

Die Dimension dieses Bedarfs auszuloten, hat sich der Ausschuss als weltweit einziges parlamentarisches Gremium zur Aufarbeitung der Snowden-Affäre nach Kräften bemüht. Zwischen Mai 2014 und Februar 2017 traten in 131 Sitzungen 89 Zeugen auf. In welchem Umfang hatten westliche Geheimdienste "Kommunikationsvorgänge" von, nach und in Deutschland überwacht? Was wussten die Bundesregierung oder "ihr nachgeordnete Dienststellen" davon? Waren sie daran beteiligt? Inwieweit waren deutsche Behörden in den amerikanischen "Krieg gegen den Terror" verstrickt?

Fahnderglück Als thematischer Leitfaden diente, abgesehen von den Enthüllungen Snowdens, ein im Herbst 2013 unter dem Titel "Geheimer Krieg" erschienenes Buch, in dem Deutschlands Rolle als Stützpunkt und Drehscheibe der globalen Machtprojektion der USA beschrieben wird. Wesentliches, was später den Ausschuss beschäftigte, kam hier zur Sprache. Die Lauschprogramme der NSA. Die Funktion des Luftwaffenstützpunkts Ramstein als Schaltstelle im Drohnenkrieg. Die Vermutung, deutsche Behörden hätten geholfen, Zielpersonen tödlicher Drohneneinsätze zu identifizieren. Das Hauptthema seiner Ermittlungen freilich verschaffte sich der Ausschuss durch eigenes Fahnderglück. Der "Beweisbeschluss BND-26" vom 26. Februar 2015 wurde zur bunkerbrechenden Waffe. Er enthielt die Bitte um Aufschluss darüber, was der BND über Spitzelaktivitäten der NSA gegen deutsche oder europäische Ziele wusste. Noch fast zwei Jahre später konnten Beteiligte auf Anhieb das Datum des Einschlags nennen: Es war Freitag, der 13. März 2015, als in der BND-Zentrale in Pullach erstmals der Ausdruck einer Liste fragwürdiger "Selektoren" auf dem Tisch lag. Was "Selektoren" sind, erfuhr in den Wochen darauf auch die Öffentlichkeit: Telekommunikationsmerkmale, also Mobilfunknummern, E-Mail- oder IP-Adressen, die in Programmen zur automatischen Überwachung des Datenverkehrs dazu dienen, interessante Ziele herauszufiltern. Mit dem ausgedruckten Konvolut kam nach den Worten des damaligen BND-Präsidenten Gerhard Schindler ein sorgsam gehütetes Geheimnis ans Licht.

Defizite beim BND Das Verzeichnis enthielt 39.082 Suchbegriffe der NSA, die BND-Mitarbeiter schon im Herbst 2013 in der gemeinsam betriebenen Abhöranlage in Bad Aibling aus dem Verkehr gezogen hatten, weil sie sich zur Ausspähung europäischer Freunde und Verbündeter eigneten. Sie betrafen zu 68,7 Prozent Regierungsstellen in EU-Staaten und zu elf Prozent deutsche "Grundrechtsträger", wie der Ausschuss im November 2015 von Kurt Graulich erfuhr. Der emeritierte Bundesverwaltungsrichter hatte als "unabhängige Vertrauensperson" die geheime Liste studieren dürfen.

Eine Woche nach dem Fund in Pullach stattete Kanzleramtschef Peter Altmaier (CDU) der BND-Zentrale einen Inspektionsbesuch ab. Gegen Ende soll er gefragt haben, ob "es noch etwas von ähnlicher Wichtigkeit" gebe. Ja, gab es: Eine weitere Liste mit 3.300 politisch heiklen Zielen. Nicht nur die NSA, auch der BND selbst hatte bis Herbst 2013 europäische Partner ausgespäht, vor allem Botschaften von EU-Ländern in Krisenregionen. Das Kanzleramt reagierte mit einer Pressemitteilung über "Defizite" beim BND.

Als Schlüsselfigur im Selektoren-Krimi ermittelte der Ausschuss den Pullacher Unterabteilungsleiter D.B., einen Mann, dem Kollegen ein "feines Gespür, wie sich Dinge entwickeln können", nachsagen. Als im Spätsommer 2013 Snowdens Enthüllungen Furore machten, ließ der Mann in der Selektorendatenbank in Bad Aibling nachschauen, was die NSA dort abgelegt hatte. Allerdings beließ er es dabei, die heiklen Suchmerkmale abzuschalten und die NSA telefonisch zu verständigen. Seinen Vorgesetzten verschwieg er die Entdeckung - aus Gründen, die er in fünf Vernehmungen dem Ausschuss nicht verraten wollte.

Dass auch der BND bedenkliche Suchbegriffe nutzte, erfuhr die Behördenspitze Ende Oktober 2013. Nachdem die Kanzlerin erklärt hatte, sie finde "Abhören unter Freunden" unstatthaft, wurde Schindler von Mitarbeitern gewarnt. Er informierte Pofalla und Geheimdienstkoordinator Günter Heiß. Die Runde beschloss: "Das lassen wir jetzt. Punkt." Auch Heiß und Pofalla behielten ihr Wissen für sich - der eine, weil er die Sache für erledigt, der andere, weil er sie nicht für geklärt hielt, wie sie im Ausschuss erzählten.

Als Kronzeugen deutscher Verstrickung in den US-Drohnenkrieg trat ein ehemals Beteiligter auf, Brandon Bryant. Er wies auf die Bedeutung der Luftwaffenbasis Ramstein als Relais-Station für den Funkkontakt zwischen den Leitstellen in den USA und weit entfernt operierenden Fluggeräten hin, was die Bundesregierung erst im November 2016 bestätigte. Dem Vorwurf indes, durch die Weitergabe von Mobilfunkdaten Verdächtiger Beihilfe zu tödlichen Drohnenattacken geleistet zu haben, widersprachen sämtliche Zeugen aus deutschen Sicherheitsbehörden energisch.

Der Ausschuss hat tiefe Einblicke in das BND-Innenleben gewonnen und manches gefunden, was sich mit dem Sammelbegriff der "organisatorischen Defizite" umschreiben lässt. Deutlich wurde auch: Die Enthüllungen über Lauschangriffe der NSA, sogar auf das Handy der Kanzlerin, waren der deutschen Seite fast noch peinlicher als der amerikanischen.