Piwik Webtracking Image

EDITORIAL : Spannende Zeiten

02.10.2017
2023-08-30T12:32:28.7200Z
2 Min

Der neugewählte Bundestag wird ein besonderer sein: Erstmals seit den 1950er Jahren wieder sechs Fraktionen samt einer Gruppierung rechts der Union, zwei deutlich geschrumpfte Volksparteien mit einem Stimmergebnis von nur noch knapp über 50 Prozent, dazu ein Mammutparlament mit 709 Abgeordneten, so groß wie nie. Das zeigt schon einiges von den Aufgaben und Problemen, die in den nächsten Monaten und Jahren zu bewältigen sind.

Zunächst: Der Einzug der AfD und FDP spiegelt auch im Bundestag die Stimmungslage in der Bevölkerung wider; vor vier Jahren scheiterten beide Parteien knapp an der Fünf-Prozent-Hürde. Im neuen Parlament dürfte über wichtige Fragen wie die Flüchtlings-, Energie- oder Euro-Rettungspolitik, wie sie das Volk bewegen, kontroverser debattiert werden.

Dann die Koalitionsbildung, die diesmal schwierig wie lange nicht mehr werden dürfte. Kanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel ist nach dem schlechtesten Unions-Ergebnis seit 1949 angeschlagen. In der Union rumort es und niemand weiß, ob Merkel vier Jahre regieren kann. Die SPD will nicht wieder in eine Große Koalition - verständlich, nachdem sie nach zwei ohnehin schwachen nationalen Wahlen nun auf das schlechteste Bundestagswahlergebnis aller Zeiten gefallen ist. Die einzige Alternative "Jamaika", also ein Bündnis von CDU/CSU, FDP und Grünen, dürfte einem Abenteuerausflug nahekommen, denn die Standpunkte etwa zwischen CSU und Grünen in der Flüchtlings- oder Energiepolitik oder zwischen FDP und den anderen Parteien in der Europapolitik liegen teils erheblich auseinander. Schon geistert das Gespenst Neuwahlen herum, was aber aus demokratietheoretischen Überlegungen problematisch wäre. Wir gehen also spannenden Zeiten entgegen.

Positiv für die Demokratie ist, dass zum zweiten Mal hintereinander die Wahlbeteiligung gestiegen ist. Was in der anstehenden Wahlperiode in jedem Fall bewältigt werden sollte, ist eine Wahlrechtsreform, denn mit über 700 Abgeordneten ist der Bundestag deutlich zu groß, zahlenmäßig nur noch vom Volkskongress in China übertroffen. Gegen alle vernünftigen Vorschläge des scheidenden Parlamentspräsidenten Norbert Lammert (CDU) haben sich die Fraktionen im vergangenen Bundestag einer Reform verweigert, die drohende übermäßige Aufblähung des Bundestags durch den Komplettausgleich der Überhangmandate zu verhindern. Nachdem diesmal durch 111 Überhang- und Ausgleichsmandate die schlimmsten Prophezeiungen eingetroffen sind, kann es im neuen Parlament keine Ausreden mehr geben gegen eine fällige Wahlrechtsreform.