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Vor der Konstituierung : Fahrt ins Ungewisse

Sondierungsgespräche laufen an. FDP hadert mit Sitzordnung im Plenum

16.10.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
4 Min

Mit 709 Abgeordneten wird sich am Dienstag, 24. Oktober 2017, um 11 Uhr der 19. und größte Deutsche Bundestag aller Zeiten konstituieren. Für das Parlament beginnt damit eine Phase des geschäftigen Abwartens: Die Abgeordneten und Fraktionen werden sich zwar organisieren und ihre Arbeit aufnehmen, aber die wesentlichen Arbeitsstrukturen des Parlaments, die Fach-Ausschüsse, stehen noch nicht fest. Von den Ausschüssen wiederum hängen zahlreiche Personalentscheidungen innerhalb der Fraktionen ab. Bewegung in die Sache wird wohl erst die Regierungsbildung und der neue Zuschnitt der Bundesministerien bringen. In dieser Woche wollen CDU/CSU, FDP und Bündnis 90/Die Grünen in ersten Gesprächen sondieren, ob ein sogenanntes Jamaika-Bündnis möglich ist.

Sitzordnung Erste Pflöcke, wie der neue Bundestag auf teils sehr basaler Ebene organisiert sein wird, schlägt aktuell der Vor-Ältestenrat ein. Dem informellen Gremium gehören Vertreter aller im kommenden Bundestag sitzenden Fraktionen sowie Noch-Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) an. Thema ist zum Beispiel die räumliche Aufteilung der Liegenschaften des Bundestages zwischen den Fraktionen. Öffentliche Beachtung fand aber vor allem die Debatte über die künftige Sitzordnung im Plenarsaal. Damit hadert die FDP. Die Liberalen wollen partout nicht neben den Neulingen der "Alternative für Deutschland" (AfD) sitzen, für die - vom Rednerpult aus gesehen - die Stühle ganz rechts vorgesehen sind. Die Liberalen fühlen sich vielmehr in der Mitte des Parlaments richtig aufgehoben, also links von der Unionsfraktion.

Zumindest für die konstituierende Sitzung müssen sich die FDP-Abgeordneten wohl mit der AfD als Nachbar arrangieren. Lammert kündigte vergangenen Freitag an, die gleiche Platzierung wie bei der Bundesversammlung vorzugeben, sofern nicht noch eine andere Vereinbarung getroffen werde. Damit säße die FDP neben der AfD (siehe Seite 9).

Gewichtigster Tagesordnungspunkt der konstituierenden Sitzung ist die Wahl des Bundestagspräsidiums (siehe ausführlich Seite 5). Noch-Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) wird aller Voraussicht nach die Nachfolge von Norbert Lammert antreten. Auf die Rolle als Alterspräsident verzichtet Schäuble deshalb. An seiner statt soll Hermann Otto Solms (FDP) die konstituierende Sitzung eröffnen. Streit beim Thema Präsidium droht den übrigen Fraktionen mit der AfD. Ihr Kandidat für den Vizepräsidenten-Posten, der ehemalige Christdemokrat Albrecht Glaser, steht wegen umstrittener Aussagen zur Religionsfreiheit von Muslimen in der Kritik. Ob er eine Mehrheit bekommt, ist fraglich.

Ausschüsse Abzuwarten bleibt zudem, wie das Parlament seine Arbeitsfähigkeit in den nächsten Wochen oder Monaten bis zur Bildung einer neuen Regierung herstellen wird. In der zu Ende gehenden Legislaturperiode hatte der Bundestag mit Stimmen von Union und SPD erstmals einen sogenannten Hauptausschuss eingesetzt, der anstelle der Fachausschüsse tagte. Das Vorgehen war umstritten. Weder die Geschäftsordnung noch das Grundgesetz kennen ein solches Gremium. Grüne und Linke lehnten die Einsetzung seinerzeit ab.

Die Linke spricht sich auch aktuell gegen eine Wiederauflage aus: Petra Sitte, Erste Parlamentarische Geschäftsführerin der Fraktion, fordert, bereits am Tag der Konstituierung die im Grundgesetz vorgesehenen Ausschüsse für Verteidigung, Auswärtiges, EU und Petitionen einzusetzen.

Sondierung In Sachen Regierungsbildung gibt es inzwischen Bewegung. Vergangene Woche hatte sich zunächst die Union darum bemüht, interne Differenzen zwischen den Schwesterparteien beim Reizthema Obergrenze auszuräumen. Ziel von CDU und CSU ist es unter anderem, dass fortan pro Jahr höchstens 200.000 Menschen aus "humanitären Gründen" in Deutschland aufgenommen werden.

Für diesen Mittwoch lädt die Union nun zunächst getrennt Grüne und FDP zu Sondierungsgesprächen über ein mögliches Jamaika-Bündnis ein. Am Donnerstag ist dann vorgesehen, dass sich FDP und Grüne treffen, bevor sich am Freitag die vier Parteien gemeinsam an einen größeren Tisch setzen wollen.

Die Verhandlungsteams dafür stehen bereits. Die Union will bis zu 18 Christdemokraten und zehn Christsoziale schicken. Bei den Grünen reist eine 14-köpfige Delegation an. Die Partei hatte jüngst auf einem Länderrat den Weg für Sondierungen freigemacht. Zudem treffen sich die Grünen mit Vertretern gesellschaftlicher Gruppen, um die Sondierungen inhaltlich vorzubereiten. Die FDP will mit einem Kernteam von vier Personen verhandeln und gegebenenfalls Fachleute hinzuziehen.

Wahlrecht Unterdessen hat der designierte Bundestagspräsident Schäuble eine Initiative zur Reform des Wahlrechts angekündigt, um künftig die Zahl der Abgeordneten zu begrenzen. Konkrete Vorschläge macht der Christdemokrat indes nicht. Einfach wird es ohnehin nicht werden, wie auch Schäuble weiß. Schon sein Vorgänger hatte vor der nun eingetretenen Aufblähung des Parlaments gewarnt und einen Vorstoß bei dem komplexen Thema gewagt. Durchsetzen konnte sich Norbert Lammert allerdings nicht. Sören Christian Reimer