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Petra PaU : Stimme des Ostens

Von der DDR-Kaderschmiede ins Parlament

30.10.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
3 Min

Wenn mir 1990 jemand gesagt hätte: Du wirst Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Bundestages, hätte ich ihn zum Arzt geschickt", gab Petra Pau (Die Linke) gegenüber der FAZ einmal zu, selbst offenkundig verwundert über ihren Werdegang. 1990, da arbeitete die 1,62 cm kleine Frau mit der markanten Igel-Frisur noch beim Zentralrat des kommunistischen Jugendverbandes der DDR (FDJ). Als sie den mit abgewickelt hatte, wurde sie arbeitslos. So kappte die Einheit eine so typische wie gradlinige DDR-Laufbahn: 1963 als Arbeiterkind in Ost-Berlin geboren, studierte das junge SED-Mitglied am Zentralinstitut der Pionierorganisation "Ernst Thälmann", Pau wurde Pionierleiterin und Unterstufenlehrerin für Deutsch und Kunsterziehung. 1988 machte sie ihr Diplom in Gesellschaftswissenschaften an der Parteihochschule "Karl Marx". Dann fiel die Mauer, doch Pau, die sich selbst als "demokratische Sozialistin" tituliert, resignierte nicht, sie nutzte die Chancen, die sich ihr in den Wendewirren und nach dem Untergang der SED boten, und kletterte die Karriereleiter der Nachfolgepartei PDS zügig hoch. Obwohl sie schon damals wenig Aufhebens um ihre Person machte, wurde sie erst Bezirksvorsitzende in Hellersdorf, im Oktober 1991 stellvertretende Berliner Landesvorsitzende und nur 14 Monate später Landesvorsitzende. Warum sie, die damals kaum jemand kannte? Das kann sie im Nachinein selbst schwer erklären. Sicher ist, dass die PDS und spätere "Linke" damals, geschüttelt von schweren Grabenkämpfen zwischen Fundis und Pragmatikern, um Erbe, Zukunft und "Stasibeschluss" stritt - der "Run" auf den schwierigen Job war daher gering. Doch Pau schreckte das nicht. Sie erwies sich als zäh, zielstrebig und durchsetzungsstark, als eine mit langem Atem und dickem Fell. Viele Jahre lang ackerte sie ehrenamtlich in der Berliner Parteizentrale, bis sie Kurs auf den Bundestag nahm. Dass sie für Überraschungen gut und trotz ihrer freundlichen und unprätentiösen Art keinesfalls zu unterschätzen ist, zeigte sie erneut, als sie 1998 denkbar knapp das Direktmandat im Wahlkreis Prenzlauer Berg/Mitte gewann und dabei SPD-Spitzenkandidat Wolfgang Thierse in die Schranken wies. Den Bundestag lernte Pau, die sich vor allem für Bürgerrechte und gegen Rechtsextremismus engagiert, daraufhin aus allen Ecken und Winkeln kennen: als Mitglied des Innenausschusses, als Obfrau der Linken sowohl im BND- wie auch im NSU-Untersuchungsausschuss und - erneut ausgestattet mit einem Direktmandat - von 2002 bis 2005 mit Parteikollegin Gesine Lötzsch als Einzelkämpferin ohne Gruppenstatus und Fraktionsrechte; die PDS hatte die Fünf-Prozent-Hürde verfehlt.

Bereits seit 2006 ist Pau, die zum Reformflügel der Linken zählt, Vizepräsidentin des Bundestages, beliebt und geachtet über die Parteigrenzen hinaus. Bei der jüngsten Bundestagswahl sicherte sie sich in ihrem Wahlkreis Marzahn-Hellersdorf zum fünften Mal und mit einem Ergebnis deutlich über dem Zweitstimmen-Anteil ihrer Partei ein Direktmandat. In ihrem Kiez im Osten Berlins ist die 54-Jährige seit mehr als zwei Jahrzehnten fest verwurzelt: Mit ihrem Mann wohnt sie wie nach wie vor in der "Platte", auf dem Balkon züchtet sie Kräuter und Paprika.

Als Jugendliche habe sie beim Judo gelernt, wie wichtig es sei, nach dem Hinfallen immer wieder aufzustehen und weiterzumachen, sagt sie. Genau das musste Pau tun, als sie 2010 bei einer Rede im Bundestag plötzlich ihre Stimme verlor. Monatelang war die Spitzenpolitikerin wegen einer neurologischen Erkrankung sprachlos - ein Gau. Aber Pau machte weiter, lernte das Sprechen neu, behielt ihren Platz im Präsidium. Bei der Arbeit hilft ihr heute ein spezielles Headset. Was für sie die größten Herausforderungen der neuen Legislatur sind? "Den gesellschaftlichen Rechtsruck zu stoppen und umzukehren", sagt Pau. Die einzige Ost-Frau im Präsidium will sich zudem weiter für eine Angleichung der Lebensverhältnisse stark machen. "Ostdeutsche werden gegenüber Westdeutschen noch immer benachteiligt: Bei Löhnen, Gehältern, Arbeitszeiten, Renten." Das, findet Pau, "ist im Jahr 28 der Einheit ein Unding".