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Sondierungen I : Null bleibt Null

Der Verhandlungs-Marathon stockt nach holprigem Beginn

30.10.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
6 Min

Weg mit dem Solidaritätszuschlag, runter mit den Steuern auf mittlere Einkommen, massiver Ausbau des Digitalen: Würde der Bund in den nächsten vier Jahren reichlich 100 Milliarden Euro mehr einnehmen als in der letzten Legislaturperiode - die schwarzen und gelben und grünen Unterhändler hätten es deutlich leichter, zumindest ein solides finanzielles Gerüst für eine gemeinsame Politik bis 2021 zusammenzuzimmern. Über die Ausweitung der Mütterrente müsste kaum gestritten werden; nicht über die Kosten für den Ausstieg aus der Kohleverstromung und den allmählichen Abschied vom Verbrennungsmotor.

Indes: Das Bundesfinanzministerium schätzt, dass mit Mehreinnahmen von allenfalls 30 Milliarden Euro zu rechnen ist - allerdings auch dies schon ein üppiges Sümmchen, das als Schmiermittel für das Jamaika-Getriebe wirken könnte. In der ersten Sitzung, in der die Koalitions-Konstrukteure zur Sache kamen, legten sie denn auch einmütig fest: Mehr als die Steuerzahler dem Bund überweisen, soll nicht ausgegeben werden. Die grundgesetzliche Schuldenbremse greife. Bei der schwarzen Null werde es bleiben, verkündete Bundestagsvizepräsident und FDP-Vizevorsitzender Wolfgang Kubicki. Und merkte gleich launig an: "Wir können auch sagen, wir halten die grüne Null ein, das ist mir völlig Wurst, oder die rote Null, es bleibt jedenfalls bei Null."

Geholfen hat ihm der flotte Satz nichts. Grünen-Finanzunterhändler Jürgen Trittin erklärte kühl, von einen Bekenntnis zur schwarzen Null könne nach der ersten Verhandlungsrunde keine Rede sein: "Das steht unter dem Vorbehalt, dass wir eine Finanzplanung bekommen, und dass das finanzierbar ist." Krach vor allem aber über den Soli. Er werde "in dieser Legislaturperiode komplett abgebaut", verkündete Kubicki forsch nach Sitzungsende. Prompt widersprach Trittin. In dem Punkt sei er "sehr pessimistisch". Beides sei nicht möglich: ausgeglichener Haushalt und Soli-Ende.

Ein Papier Stilbildend geriet der Auftakt des Sondierungs-Marathons also nicht gerade. Immerhin gab es bei dem Unterhändler-Treffen die Einigung auf ein gemeinsames Papier, in dem vereinbart wurde, finanzielle Spielräume gemeinsam auszuloten: von der Steuerentlastung für Familien mit Kindern über die Förderung der energetischen Gebäudesanierung bis zur Ankurbelung des Mietwohnungsbaus. Doch als es in der zweiten Runde um Klimaschutz und Einwanderung ging, konnten die tiefen Gräben zunächst nicht einmal mehr mit schmalen Not-Stegen überbrückt werden. Eine Denkpause wurde ausgerufen. Die Parteivorleute sollen den Sondierungskarren wieder flottmachen.

Gleichwohl: Die Parteien stellten die heikelsten Themenblöcke Finanzen, Klima, Zuwanderung gleich an den Anfang des Abtastens. Und der Gesprächsfaden zerriss trotz erheblicher Differenzen nicht gleich komplett. Durchaus möglich blieb mithin, dass der Kieler Ministerpräsident Daniel Günther (CDU) wem auch immer eine Kiste Kieler Sprotten spendieren muss - sein Wetteinsatz für den Befund: "Anfang Dezember steht Jamaika." Er hat Erfahrung als Regierungschef, der von einer erst kaum für möglich gehaltenen Jamaika-Koalition getragen wird. Als Günthers Stellvertreter fungiert der Grüne Robert Habeck, der jetzt in Berlin mit am Verhandlungstisch sitzt und die Ausgangslage für die Unterhändler durchaus nüchtern beschrieb: "Beim Klimaschutz, bei Europa, bei Finanzen, bei der Steuerpolitik und auch bei Asyl ist es so, dass die Parteiprogramme nicht zueinander passen." Trotzdem werde nun versucht, ein Ergebnis zu finden, das "zumindest für die nächsten Jahre stabil" halte: "Oder wir stehen vor einer politisch völlig unkontrollierten Situation."

Nämlich: Angela Merkel versucht sich als Kanzlerin einer Minderheitsregierung. Oder, ungleich wahrscheinlicher: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier löst den Bundestag auf und setzt Neuwahlen an. CDU, CSU, FDP und Grüne sehen für sich darin nichts Gutes und befürchten einen Stimmenzuwachs für die AfD. Um bei diesem Zwang zu Kompromissen gleichwohl ihr Profil nicht zu verlieren, werden sich die potenziellen Koalitionspartner vermutlich ein Vorzeigeprojekt ausbedingen.

Das wird schwierig, wie etwa der Themenkomplex Flüchtlinge und Einwanderung zeigt: Zwar fehlt nach der internen Einigung der Unions-Schwestern der Reizbegriff "Obergrenze". Dafür soll der jährliche Zuzug möglichst auf 200.000 Menschen begrenzt werden. Auch die FDP spricht sich für mehr Zurückhaltung bei der Flüchtlingsaufnahme aus. Die Grünen wollen den Familiennachzug für Flüchtlinge, die zwar kein Asyl erhalten, aber geduldet werden, wieder erleichtern. Er wurde von Schwarz-Rot bis März 2018 ausgesetzt. Die Union hält eine Verlängerung für nötig. Zudem sollen weitere Staaten zu sicheren Herkunftsländern erklärt und somit Abschiebungen erleichtert werden.

Die Liberalen waren von ihrer Forderung, den Solidaritätszuschlag ab 2019 komplett zu streichen, schon zu Beginn der Koalitions-Sondierungen abgerückt. Jetzt die Herumeierei, ob das Ziel bis Ende der Legislaturperiode erreicht werden kann. Abschaffen mit einem irgendwie gestaffelten Zeitplan: dafür ist die Union. Unumstritten bleibt bei den Verhandlungspartnern, dass die Steuerlast bei kleinen und mittleren Einkommen gemindert werden soll - über den Umfang muss noch gefeilscht werden. Gegen eine stärkere Belastung höherer Einkommen wehrt sich die CSU.

Bei den Grünen steht der Klimaschutz an erster Stelle. Sie wollen die 20 schmutzigsten Kohlekraftwerke sofort abschalten und nach 2030 überhaupt keinen Strom aus Kohle mehr dulden. Die FDP lehnt solche Vorgaben ab - der Staat solle sich heraushalten, der Wettbewerb möge es regeln. CDU und CSU werden sich da nicht verkämpfen: Den Ausstieg aus der Braunkohle würden sie wohl abnicken, freilich ohne Festlegung auf ein festes Datum. Förderung von Ökostrom? Zügig und umfänglich, wenn es nach den Grünen geht, aber nicht nach der FDP.

Kein Auto mit Verbrennungsmotor soll nach 2030 noch Deutschlands Straßen benutzen dürfen. Dieses Ziel der Grünen will die CSU auf gar keinen Fall mittragen. Desgleichen die FDP. Merkel stuft den Verbrennungsmotor nur noch als Brückentechnologie ein. Über ein Datum werden die Grünen mit sich reden lassen: Der "Einstieg in den Ausstieg" würde Grünen-Parteichef Cem Özdemir schon reichen. Elektroautos wollen die Grünen fördern, die Liberalen aber nicht.

Online-Durchsuchungen, Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung: Die Union pocht auf ein umfangreiches Maßnahmenbündel zur Stärkung der Inneren Sicherheit. FDP und Grüne sperren sich dagegen, fordern aber auch wie die Union eine bessere Ausstattung der Polizei.

Die FDP findet bei der Union, nicht aber bei den Grünen Unterstützung für die klare Haltung, einen gemeinsamen Haushalt für die Euro-Zone abzulehnen. Die Schulden der Mitgliedsstaaten dürften nicht vergemeinschaftet werden.

Personalfragen Erst die Einigung in Sachfragen, dann das Übereinkommen über Zahl und Zuschnitt der Ministerien, dann die Personalien: Das ist die reine Lehre bei allen Koalitionsverhandlungen, die auch dieses Mal nicht eingehalten wird. Im Fokus steht der Job des Bundesfinanzministers, über dessen Besetzung sich nach dem Wechsel von Wolfgang Schäuble an die Spitze des Bundestags immerhin einfacher streiten lässt. FDP-Chef Christian Lindner meinte: "Ein Grüner, ein CSU- oder ein FDP-Finanzminister - alles wäre besser, als das Kanzleramt und das Finanzministerium weiterhin in CDU-Hand zu halten, denn so wird durchregiert." Wenn er selbst Finanzminister werden möchte, hat er es damit nett umschrieben. Grünen-Chefin Simone Peter stellte jedenfalls gleich klar, die FDP solle "nicht davon ausgehen, dass das Bundesfinanzministerium für sie gesetzt ist". Denkt Peter insgeheim an Trittin, der für die Grünen den Finanz-Bereich verhandelt?

Cem Özdemir ist es womöglich nicht unangenehm, dass sein Interesse am Job des Außenministers von Parteifreunden öffentlich gemacht wird. Er schweigt dazu eisern. Brachte aber ins Gespräch, die Grünen könnten sich durchaus auch für das Wirtschaftsministerium interessieren. Und dann ist da noch der Unterhändler Robert Habeck, Umweltminister in Schleswig-Holstein - künftig Bundesumweltminister? Helfen wolle er wohl seiner Partei, erklärte er auf Fragen: "Aber ich bin nicht auf Jobsuche."