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HISTORIE : Der stolze Ackersmann

Melkesel, Leibeigener, Revolutionär - der Bauer ist eine der wichtigsten Figuren der Menschheitsgeschichte

13.11.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
7 Min

Man begegnet ihm als Knecht und als Sklaven, als Herr seiner Scholle, als abhängigen Hintersassen, und als Ackerbürger, mal gilt er als Revolutionär, mal als ein Gimpel oder gar als Reaktionär. Der Bauer ist eine der ältesten Figuren der Menschheitsgeschichte, die ohnehin in weitesten Teilen Bauerngeschichte ist: romantisiert, mythologisch beladen, überfrachtet mit Wünschen und Zuschreibungen. Sein Beruf tritt in Erscheinung, als die Menschheit sesshaft wird, im Zweistromland und im Alten Ägypten - schon aus diesem Grund wird ihm immer frühgeschichtlichen Geraune zuteil. Die Folgen der "neolithischen" (jungsteinzeitlichen) Revolution vor rund 10.000 Jahren, als der Mensch zum Landwirt wurde, sind ja auch gar nicht zu unterschätzen: Aus Jägern und Sammlern werden Ackerbauern und Viehhalter. Der menschliche Wildbeuter wird sesshaft. Er produziert nun auf Vorrat, macht Nahrung haltbar. Aus Wildpflanzen werden Kulturpflanzen, Tiere werden domestiziert. Mehr Menschen pro Flächeneinheit können ernährt werden. Auch der Blick auf Natur ändert sich. Natur wird etwas "Gemachtes", sie wird Landschaft. Man lebt nicht nomadisch im Biotop, nicht mehr wie ein Wildbeuter, der durchs Unterholz schleicht. Die bäuerliche Kultur kolonisiert Lebensräume - legt Sümpfe trocken, holzt Wälder ab, zieht Kanäle, befreit Äcker von Steinen. Dass der Bauer seit alters her auf einer Art Hofidylle mit schnatternden Gänsen lebte, gehört vielleicht zu den größten Missverständnissen. Natur, das ist für den Landwirt ein respektabler aber grimmiger Gegner, dem es etwas abzuringen gilt: gegen Dürren, Hagelschlag und Frost, gegen die zahlreichen Mitesser und Kulturfolger, die man weniger als Gottes Geschöpfe wahrnimmt denn als Schädlinge oder Unkraut fürchtet.

Zivilisation Ohne Bauern keine Stadt. Mit dem Anbau und der Bevorratung von Nahrung wird überhaupt erst die Grundlage für das Zusammenleben in großen auf Dauerhaftigkeit ausgelegten Siedlungen geschaffen. Bauern denken in Hektar, in Erträgen, in Jahreszeiten. Keinesfalls leben sie wie Wildbeuter-Ahnen von der Hand in den Mund. Das Mehrprodukt von Feld und Weide lädt ein zum Sammeln und Ansparen von Eigentum. Die frühe bäuerliche Kultur befördert soziale Ungleichheiten und bestimmt das Verhältnis zu Besitz und Erbe. Sie liefert den Menschen der Natur aber andererseits auch wieder aus: Die Lebenserwartung des frühen agrarischen Menschen steigt nicht, sondern sinkt. Das enge Zusammenleben mit Rind und Schaf und Huhn schafft zahlreich Wege für Zoonosen, die Übertragungen von Infektionskrankheiten vom Tier zum Mensch. Nicht nur im Stall lauern die Gefahren. Wo Nomadenvölker notfalls auf andere Biotope ausweichen, müssen immobile Bauernsippen die tragischen Folgen von Dürren und Missernten kennenlernen. Die Sesshaftigkeit fordert hier ihren Tribut.

Und doch ist die neolithische Revolution von durchschlagendem Erfolg: Sie gilt als einer der wichtigsten Umbrüche in der Menschheitsgeschichte, vergleichbar mit den industriellen Revolutionen seit dem 19. Jahrhundert. Zentrum der frühen bäuerlichen Kultur ist seit dem Jahr 9000 v. Chr. der fruchtbare Halbmond zwischen persischem Golf und dem Nil, es sind die Entwicklungsräume der frühen Hochkulturen, Mesopotamien, das Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris, die alten Ägypter am Nil. Auch Regionen in China und Neuguinea (seit etwa 7000 v. Chr.), Mexiko, Südamerika und Afrika südlich der Sahara (3000-2000 v .Chr.) entwickeln sich zu Treibern menschlicher Zivilisation.

In Europa dringt der Ackerbau vom Balkan ausgehend entlang der Donau nach Norden und Westen. Angebaut werden zum Beispiel Dinkel und Lein sowie Linsen und Erbsen, entlang der antiken Mittelmeerküste wachsen später Weizen, Wein und Ölbäume, auf der iberischen Halbinsel führen Araber in der Spätantike Baumwollanbau und Zuckerrohranbau ein. Zu einigem Reichtum und Einfluss lässt es sich in der antiken Landwirtschaft bringen, das natürlich auch. In Latium, bei den frühen Römern und Etruskern, bezeugte der Besitz ausgedehnter Güter und großer Viehherden Rang und Wohlstand. Nicht umsonst hat der Begriff "pecunia" - das Geld - mit "pecus" - dem Vieh - zu tun. Römische Senatoren sind in der späten Republik ganz überwiegend großbäuerliche Unternehmer, es sind Besitzer ausgedehnter Latifundien. (See-)Handelsgeschäfte sind den Senatoren verboten. Es ist der Versuch, im Zeitalter römischen Expansion und des zunehmenden maritimen Handels die Oberschicht "nach Sitte der Vorfahren" an die überlieferten agrarisch geprägten Werte zu binden.

Wie bereits in der Antike südlich der Alpen geht es ab dem hohen Mittelalter dem freien Bauern nördlich der Alpen an den Kragen: Die feudale Ordnung mit ihren Ständen von Klerus, Adel und Bauernstand wird porös. Der niedere Adel wird nicht mehr als Waffenträger gebraucht, das Kriegshandwerk besorgen nun die Söldnerheere der Landesherren. Wer Ritter ist, besinnt sich auf sein Lehen, kehrt auf sein Gut zurück, ist Herr über Gut und Leute. Die neuen alten Gutsherren sind nicht zimperlich: Sie interpretieren Gewohnheitsrecht zuungunsten der Bauern, sie kassieren althergebrachte Holzschlag-, Jagd- und Fischfangrechte ein und schlagen die Allmende, das Gemeineigentum des Dorfes, zu ihrem Besitz. Es beginnt das große Bauernlegen. Der "gebure", wie es im Mittelhochdeutschen heißt, meint stets schlicht und einfach "Mitbewohner" oder "Nachbar" - er gerät als Pachtbauer in immer größere Abhängigkeit von Gutsherren. Bauern sind ja überhaupt der Melkesel im Heiligen Römischen Reich: Kleinzehnt, Großzehnt, Steuern, Zölle, Zinsen, dazu Tribut in Form von Naturalien oder Hand- und Spanndiensten auf dem grundherrlichen Besitz. Dort, wo sie zusätzlich der Gerichtsherrschaft des Gutsherren unterliegen und "erbuntertänig" und "schollenpflichtig" sind, gehören sie einem höheren Herren mit Leib und Leben - sie sind Leibeigene: Rechtlose Landarbeiter, die man andernorts und in einer anderen Zeit auch Plantagensklaven genannt hat.

Bauernhaufen Um 1500 begegnet man dem Bauern vor allem im Süddeutschen als sich selbst ermächtigende, wütende Gestalt: In einer Reihe von Erhebungen, die später als Bauernkriege bezeichnet worden sind, wehrt sich die Bauernschaft gegen die Bedrückungen und Belastungen und gegen die schamlose Privilegien von Adel und verhasstem Klerus. Kein Krieg war das, sondern eine "Revolution des gemeinen Mannes" (Peter Blickle). Und auch wenn Martin Luther 1525 sich auf die Seite des Landesherren schlagend "wider die mörderischen räuberischen Rotten der Bauern" agitiert, die man "zerschmeissen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss": Es waren Reformatoren wie er, die den Bauern überhaupt erst die Argumente in die Hand gaben, sich mit dem "Willen Gottes" gegen Kirchstand und Adel zu erheben.

Die eigentliche Bauernbefreiung kommt aber erst um Jahrhunderte später, als die Leibeigenschaft dem aufgeklärten Denken suspekt und anachronistisch erscheint. Richtig Schwung bekommt diese Befreiung aus der bäuerlichen Knechtschaft aber erst, als ein neues Zeitalter die Landbevölkerung in die Manufakturen und Fabriken schleust. Die im 19. Jahrhundert einsetzende Industrialisierung findet ja nicht nur dort statt, sondern auch auf dem Land, wo sie Arbeitskraft freisetzt. Hochleistungszuchtsorten ersetzen über Generationen weitergereichtes Saatgut, synthetischer Dünger steigert die Erträge, Pestizide halten Fäule, Pilze, Unkraut in Schach. Nach dem Motto "Wachsen oder Weichen" steigt die Zahl der landwirtschaftlichen Großbetriebe zu Lasten kleinbäuerlicher Strukturen, Maschinenfortschritt ersetzt das Zugtier. Noch im 19. Jahrhundert arbeiteten in Deutschland acht von zehn Menschen in der Landwirtschaft. In der Gegenwart sind es gerade noch 1,4 Prozent - und Forstwirtschaft und Fischerei sind hier schon eingerechnet.

Die Bilder von Schollen-Bauern und Hofidyllen werden in dem historischen Augenblick populär, als der Fortschritt das Leben auf dem Land buchstäblich aus den Angeln hebt. In den 1930er Jahren bedienen sich die Nationalsozialisten solcher Bilder als Versatzstücke ihrer "Blut-und Boden"-Ideologie: Während in der Realität sämtliche Akteure der Agrarwirtschaft im "Reichsnährstand" inkorporiert und unter Aufsicht gestellt werden, amalgamieren die NS-Ideologen aus Großstadtfeindschaft, Agrarromantik und Elementen der Lebensreformbewegung die Behauptung einer Rückkehr zu einem - so nie existiert habenden - "blutreinen" deutschen Bauerntum als "Lebensquell der nordischen Rasse".

Zur gleichen Zeit wird der Bauer in der Sowjetunion unter Verdacht gestellt: Wohlhabende, weil zupackende Bauern ("Kulak" - "Fäustling") werden enteignet, verfolgt, in den Gulag verfrachtet. Die "Liquidierung der Kulaken als Klasse" ist staatliches Programm. Sie führt zu einer der großen Hungerkatastrophen des 20. Jahrhunderts: "Holodomor", dem millionenfachen Hungertod ausgerechnet in der so fruchtbaren Ukraine, der "Kornkammer" des europäischen Kontinents. Dem marxistischen Blick bleibt der Bauer stets suspekt. Er ist einerseits potentieller Bündnispartner der Arbeiterklasse, weshalb man etwa in der DDR großzügig an den Bauern-Revolutionär Thomas Müntzer erinnert. Und anderseits eine angeblich am Bestehenden und sonst nur an der eigenen Furche interessierte und deshalb rückständige Figur. Mit Zwangskollektivierung machte der "Arbeiter- und Bauernstaat" seine Bauern zu Angestellten genossenschaftlicher Landwirtschaftsbetriebe - mit Urlaub, Babyjahr, konstantem Gehalt und Fortbildungen freilich nicht ausschließlich immer zu deren Nachteil.

Widersprüche Und heute? Die Wünsche, Launen, und widersprüchlichen Zuschreibungen der Abnehmer landwirtschaftlicher Produkte haben gewiss nicht abgenommen: Erwünscht sind ökologische Anbaumethoden, Ackerböden sollen geschont und umweltgerecht bewirtschaftet werden. Gekauft werden andererseits in der großen Mehrheit Produkte, die diese Kriterien für den Landwirt nicht erfüllbar machen. Im Fernsehen werden linkisch auftretende Bauern oder Bäuerinnen bei ihrer Suche nach einem Partner dem Amüsement der Zuschauer preisgegeben, während man doch eine Vorstellung hat, dass in der Wirklichkeit der klügste und bald wohl auch der digitalste Bauer die dicksten Kartoffeln ernten dürfte. Dabei müssen Bauern überhaupt niemandem etwas beweisen. Sie sitzen seit Generationen auf ihren Höfen und werden das voraussichtlich auch noch tun, wenn heute wichtige Industrien dereinst Geschichte sein werden.