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EU-BIOSIEGEL : Brüsseler Logo

Die Mindeststandards bleiben umstritten

13.11.2017
2023-08-30T12:32:29.7200Z
5 Min

Die Entwicklung der Biolebensmittelbranche kennt nur eine Richtung: nach oben. Der Weltmarkt für Biogemüse, -obst und -fleisch hat sich innerhalb von 15 Jahren vervierfacht. Die von den Biobauern in der EU bewirtschaftete Fläche hat sich im gleichen Zeitraum verdoppelt. 22,2 Milliarden Euro setzt die Branche in der EU um. 7,6 Milliarden Euro davon entfallen auf Deutschland. Der Marktanteil von Biolebensmitteln in Deutschland liegt bei durchaus bemerkenswerten sechs Prozent. Ein immer größerer Anteil davon entfällt auf die klassischen Supermärkte. Lange schon haben Rewe, Edeka und andere Ketten Naturkostläden als Hauptumsatzplatz für Bioprodukte verdrängt.

Die Verbraucher stellt das durchaus vor eine Herausforderung. Mit dem Wachstum der Biobranche hat sich auch die Zahl der Skandale, Betrugsfälle und Fehlentwicklungen erhöht. Es geht um falsch deklarierte Lebensmittel, die oft, aber nicht nur aus Nicht-EU-Staaten importiert wurden. Es geht aber auch um grundsätzliche Fragen: Sollten Biolebensmitteln aus China oder auch nur Spanien, die über Tausende von Kilometern transportiert werden und den Treibhausgasausstoß erhöhen, als "Bio" deklariert werden. Ist es "bio", wenn Bioäpfel oder Biotomaten in Plastik abgepackt in der Auslage liegen? Und sind die Standards, die die Biolandwirte erfüllen, überhaupt hoch genug?

Einheitliches Logo Orientierung sollen den Kunden zumindest bei einem Teil dieser Fragen die verschiedenen Biosiegel von Demeter und Bioland über Naturland bis zu dem in den neuen Bundesländern weit verbreitete Gäa bieten (Siehe auch Spalte rechts). Das Problem ist dabei offenkundig: Angesichts der großen Zahl an Siegeln ist für den Verbraucher kaum nachzuvollziehen, was ihm welches Logo garantiert. Die Anforderungen, die die privat organisierten Verbände an "ihre" Landwirte stellen, weichen stark voneinander ab. Die EU hat deshalb vor Jahren beschlossen, ein für alle Biolandwirte einheitliches verpflichtendes EU-Biosiegel einzuführen.

Nach einer Umgangsfrist von zwei Jahren muss das grün unterlegte, mit den zwölf Sternen umrandete stilisierte Blatt seit Juli 2012 auf jedem Bioprodukt prangen - und trat damit nicht nur neben die privaten Siegel, sondern auch von der damaligen Agrarministerin Renate Künast (Grüne) 2001 eingeführte sechseckige deutsche Siegel und das französische Logo "Agriculture Biologique" - weshalb Fachleute wie der Göttinger Agrarökonom Achim Spiller warnten, ob den Interessen der Verbraucher mit dem neuen Label tatsächlich gedient ist. Gemein haben alle drei staatlich verordneten Siegel, dass sie die Landwirte auf die Einhaltung der Vorgaben der EU-Ökoverordnung verpflichten.

Bei Lebensmitteln mit dem Biosiegel müssen demnach mindestens 95 Prozent der Zutaten aus der ökologischen Landwirtschaft kommen. Auf dem Acker sind Kunstdünger und chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel verboten. Das gleiche gilt für leicht lösliche mineralische Dünger. Die Bauern soll ihre Äcker abwechslungsreich bestellen (Stichwort Fruchtfolge). Die Verordnung gibt für die Tierhaltung Mindestflächen vor. Die Tiere müssen ökologisch produziertes Futter ohne Zusatz von Antibiotika und Leistungsförderern bekommen. Fischmehl darf aber zugesetzt werden. Süßstoffe, Farbstoffe, Emulgatoren und Geschmacksverstärker sind in den Lebensmitteln ebenso verboten wie künstliche Aromen; natürliche Aromen sind erlaubt. Auch dürfen die Hersteller nur bestimmte Verdickungs- und Backtriebmittel oder Emulgatoren verwenden. Statt der für konventionelle Produkte zugelassenen rund 300 Zusatzstoffe erlaubt die Ökoverordnung weniger als ein Sechstel davon.

Scharfe Kritik Viel mehr als Mindeststandards sind das nicht. Entsprechend scharfer Kritik sieht sich das Siegel etwa von Verbraucherschützern ausgesetzt. Die Organisation Foodwatch bezeichnet das Siegel als schlichtweg "irreführend". "Wenn etwa der Wasserverbrauch bei den Bio-Standards keine Rolle spielt, kann man kaum von ökologischer Produktion sprechen", urteilt Foodwatch. Zudem würden unter dem Biosiegel Limonaden verkauft, in denen kein Tropfen Fruchtsaft stecke. Der Geschmack werde allein mit Aromastoffen aus Papierabfällen und Schimmelpilzen erzeugt. Vanillejoghurt darf mit dem Biosiegel beworben und verkauft werden, wenn das Vanillin aus Sägespänen gewonnen wird. Der Geschmack des Erdbeerjoghurts darf durch das Zusetzen von mikrobiellem Lab auf Basis von Schimmelpilzen erzeugt werden.

Die privaten Anbauverbände haben häufig höhere Standards. So gestatten Demeter oder Naturland ihren Landwirten die Verwendung von weniger Zusatzstoffen. In ihrem Erdbeerjoghurt etwa muss der Geschmack von echten Erdbeeren stammen. Außerdem verlangen sie von den Bauern, dass sie ihre Landwirtschaft komplett auf Bio umstellen. Nach der Ökoverordnung darf auf einem Hof parallel konventionell und biologisch gewirtschaftet werden. Auch Tierschützer kritisieren das EU-Label. So dürfen Kälber nach der Ökoverordnung enthornt werden, die Anbindehaltung von Kühen ist zugelassen. Auch ist das Abschneiden von Ferkelschwänzen oder Entenschnäbeln zumindest nicht ausdrücklich verboten, wenn auch die EU-Regeln fordern, die Verstümmelung von Tieren möglichst gering zu halten. Bioland, Demeter oder Naturland haben strengere Regeln. Auch sie sehen sich indes immer wieder der Kritik von Tierschützern ausgesetzt.

Ist das EU-Biosiegel damit für die Verbraucher wertlos? Vertreter der Biobranche wie der Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW), Dachorganisation der privaten Verbände von Bioland bis Demeter, weisen das zurück. "Die Konzentration auf die Defizite verstellt den Blick auf die extrem hohen Standards, die das EU-Siegel garantiert", heißt es dort. Das gelte für Ackerbau und Lebensmittelverarbeitung, aber auch für den Tierschutz. Die Liste der Unterschiede zwischen ökologischer und konventioneller Tierhaltung sei viel länger als die Liste aller Kritikpunkte. Das gehe vom Medikamenteneinsatz über das Platz- und Auslaufangebot bis hin zum - bei allen Ausnahmen in begründeten Fällen - Verbot, Ferkeln die Schwänze abzuschneiden und Hühnern die Schnäbel zu kürzen.

Um die EU-Vorgaben einzuhalten, müssten die Landwirte Millionen investieren. "Der Schritt von den EU-Standards zu den zusätzlichen Anforderungen, die die deutschen Bio-Verbände an ihre Mitglieder stellen, ist damit verglichen viel kleiner", sagt eine Sprecherin des Verbands. Im Übrigen sei die Hürde für manche aus der konventionellen Landwirtschaft stammenden Bauern zu hoch, wenn sie gleich auf die noch höheren Standards privater Anbauverbände verpflichtet würden. Vor allem aber garantiere das gesetzliche EU-Biosiegel eine viel bessere Kontrolle, als sie für jeden konventionellen Betrieb gelte.

Ähnlich argumentiert der EU-Abgeordnete und Ökolandwirt Martin Häusling (Grüne). "Die Ökoverordnung ist unser Grundgesetz", sagt er. Alles darüber hinaus sei gut. Die Standards dürften aber auch nicht unrealistisch hoch gesetzt werden, um die Biobranche nicht zum Nischendasein zu verdammen. Ähnlich hatte schon Künast argumentiert, als sie bei der Einführung des deutschen Siegels das nach wie vor in weiter Ferne liegende Ziel ausgerufen hatte, bis 2020 ein Fünftel der deutschen Agrarfläche biologisch zu bewirtschaften.

Vorschläge abgeschwächt Unterstützung erhalten die Kritiker hingegen aus der EU- Kommission, die schon 2014 eine Verschärfung der Ökoverordnung vorgeschlagen hat. Die Branche sei dafür etabliert genug, betonte sie und forderte unter anderem ein Verbot der Anbindehaltung, die strikte Trennung von Biolandbau und konventionellen Anbau innerhalb eines Hofes, die bisher erlaubte Verwendung von konventionellem Saatgut und Jungtieren aus konventioneller Zucht zu untersagen sowie strengere Grenzwerte für die Pestizidbelastung von Bioprodukten. Bei den Vertretern der deutschen Biobauern rief das einen Proteststurm hervor. Europaparlament und Ministerrat, das Gremium der EU-Staaten, schwächten die Vorschläge daraufhin stark ab. So bleibt offen, wieviel "bio" wirklich im EU-Biosiegel steckt.

Der Autor arbeitet in Brüssel als EU-Korrespondent der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".