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BILDUNG : Zurück an die Spitze

Die Ausgaben steigen und dennoch fehlt es an Investitionen in zweistelliger Milliardenhöhe

04.12.2017
2023-08-30T12:32:30.7200Z
5 Min

Es waren durchaus ambitionierte Ziele, die sich die potenziellen Koalitionäre gesteckt hatten: "Die Gesprächspartner wollen in den nächsten vier Jahren Bildung, Wissenschaft, Forschung und Innovation deutlich stärken und machen sich das Ziel zu eigen, gesamtstaatlich bis zum Jahr 2025 für Bildung und Forschung künftig mehr als zehn Prozent des Bruttoinlandproduktes (BIP) aufzuwenden. Wir wollen, dass Deutschland künftig weltweit zu den Spitzenländern bei Bildungsinvestitionen und der Qualität der Bildung zählt." So formulierten es Union, FDP und Grüne in ihrem gemeinsamen Sondierungspapier. Vier Wochen zuvor hatte Unions-Fraktionschef Volker Kauder (CDU) in einem Interview mit "Spiegel-Online" bereits eine "Bildungsoffensive" gefordert. "Das kann das große Projekt der gesamten Koalition werden", sagte der Unions-Fraktionsvorsitzende zuversichtlich. Doch die Gespräche über eine Jamaika-Koalition scheiterten.

So ambitioniert das ausgegebene Ziel der Jamaika-Koalitionäre auch klang, neu war es nicht. Bereits 2008 hatten sich Bund und Länder auf dem Dresdner Bildungsgipfel darauf verständigt, die Gesamtausgaben in Deutschland für Bildung, Forschung und Wissenschaft bis 2015 von 8,9 auf zehn Prozent des BIP zu steigern - erreicht wurde es jedoch nicht. Nach Angaben des Statistischen Bundesamtes stiegen die Ausgaben bis 2014 auf 265,5 Milliarden Euro und einen Anteil von 9,1 Prozent des BIP. Nach Berechnungen des Deutschen Gewerkschaftsbundes schlagen die fehlenden 0,9 Prozentpunkte mit rund 27 Milliarden Euro zu Buche.

Die Summe von 265,5 Milliarden Euro umfasst nicht nur die staatlichen Ausgaben für Bildungseinrichtungen wie Kindertagesstätten, Schulen und Hochschulen, sondern auch für Forschung und Entwicklung sowie die Ausgaben von Unternehmen, privaten Haushalten. Die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden ausschließlich für den Bildungsbereich lagen im Jahr 2016 bei rund 129,23 Milliarden Euro und damit bei 4,1 Prozent des BIP. Mit 91,14 Milliarden Euro tragen die 16 Bundesländer die Hauptlast der Bildungsausgaben. Weitere 28,07 Milliarden Euro bringen die Gemeinden auf, 10,01 Milliarden Euro kommen vom Bund. Im Jahr 2010 lagen die Ausgaben von Bund, Ländern und Gemeinden noch bei 106,22 Milliarden Euro. Auch die Pro-Kopf-Ausgaben sind seitdem ordentlich gestiegen: Von 1.299 auf 1.589 Euro. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt lag aber auch 2010 bei 4,1 Prozent.

Trotz der gestiegenen Ausgaben gilt das deutsche Bildungswesen im internationalen Vergleich als unterfinanziert. Immer wieder wird darauf verwiesen, dass Deutschland für Schulen und Hochschulen lediglich 4,3 Prozent seines BIP (2013) aufbringe während der Durchschnitt in den OECD-Staaten bei 5,2 Prozent liege. Allerdings liegt der Anteil der Einwohner unter 30 Jahren in Deutschland auch nur bei 30 Prozent, in den OECD-Staaten hingegen bei durchschnittlich 38 Prozent. Umgerechnet auf Schüler und Studenten pro Kopf liegen die deutschen Bildungsausgaben über dem OECD-Durchschnitt.

Unbestritten ist jedoch, dass es an Geld fehlt - zum Beispiel in den Kommunen, die als Schulträger unter anderem verantwortlich sind für die Schulgebäude. Rund ein Drittel aller kommunalen Gebäudeflächen entfallen auf Schulen. Doch während vor 20 Jahren noch etwa 45 Prozent der kommunalen Gesamtausgaben für Schulen in bauliche Investitionen flossen, waren es 2015 nur noch 20 Prozent. In der Folge hat sich ein erheblicher Investitionsstau gebildet. So bezifferte die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) den Investitionsbedarf im Herbst 2016 Jahres auf 34 Milliarden Euro.

An Geld mangelt es aber nicht nur für die bauliche Infrastruktur, sondern auch für Personal und Ausstattung von Bildungseinrichtungen. Im Februar 2016 veröffentlichte beispielsweise die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) eine Studie, die den jährlichen finanziellen Mehrbedarf für die Bereiche Kindertagesbetreuung, allgemeinbildende Schulen, Berufsbildung, Hochschulen und Weiterbildung einschließlich Inklusion und Integration von Migranten auf rund 56 Milliarden Euro bezifferte. Allein Länder und Kommunen müssten davon rund 46 Milliarden Euro aufbringen.

Unabhängig davon, ob man solchen Maximalforderungen folgen möchte, oder ob ihre Realisierung überhaupt möglich wäre, herrscht auf dem politischen Parkett zumindest prinzipiell Einigkeit darüber, dass mehr Geld in die Bildung fließen muss und soll. Im zurückliegenden Bundestagswahlkampf sparten die Parteien auch nicht mit teuren Wahlkampfversprechen. Die Unionsparteien stellten beispielsweise einen Rechtsanspruch auf Ganztagsbetreuung an den Grundschulen in Aussicht. SPD, Linke und Grüne wollen die Ganztagsbetreuung sogar auf alle Schulzweige ausweiten. Bedenkt man die Investitionen, die Bund, Länder und Kommunen für die Realisierung des Rechtsanspruchs auf eine ganztägige Kita-Betreuung in den letzten Jahren stemmen mussten, kämen hier schnell ebenfalls hohe Milliardenbeträge zusammen. Auch die von den Parteien angestrebte Digitalisierung der Schulen würde hohe Investitionen erfordern. Rund 2,8 Milliarden Euro jährlich würde es nach aktuellen Berechnungen der Bertelsmann-Stiftung kosten, alle Grundschulen und weiterführenden Schulen mit einer zeitgemäßen digitalen Infrastruktur auszustatten.

Verbunden mit dem Ruf nach mehr Geld für den Bildungssektor geht seit Jahren die Forderung einher, der Bund müsse sich zukünftig stärker beteiligen, weil Länder und Kommunen die nötigen Investitionen nicht allein stemmen können. Doch einer direkten Beteiligung des Bundes sind durch das sogenannte Kooperationsverbot in der Bildungspolitik enge Grenzen gesetzt. Im Bereich der Hochschulen kann sich der Bund zwar laut Artikel 91b Grundgesetz "in Fällen überregionaler Bedeutung" auch direkt sich an der Förderung beteiligen, im Schulwesen ist dies jedoch nach Artikel 104b weitestgehend ausgeschlossen, da die Gesetzgebungskompetenz bei den Ländern liegt.

Bereits in der vergangenen Legislaturperiode sprachen sich SPD, Grüne und Linke dafür aus, die 2006 im Zuge der Föderalismusreform vorgenommene Trennung von Aufgaben und ihrer Finanzierung im Bildungsbereich wieder rückgängig zu machen. Auch die wieder in den Bundestag eingezogene FDP strebt eine entsprechende Änderung des Grundgesetzes an. Bislang ist dies jedoch am Widerstand von CDU und CSU gescheitert. Auch während der Jamaika-Sondierungen konnten Union, FDP und Grüne in dieser Frage keine Einigung erzielen.

So wunderte es auch nicht, dass die Linksfraktion gleich in der ersten regulären Sitzungswoche des Bundestages erneut einen Antrag (19/13) vorlegte, in dem sie sich für die Verankerung einer "Gemeinschaftsaufgabe Bildung" in Artikel 91b Grundgesetz ausspricht und dafür, die Beschränkung der Bundesförderung in Artikel 104b zu streichen. Auch wenn im Bundestag schon jetzt eine Mehrheit für die Abschaffung des Kooperationsverbotes besteht, reicht sie ohne die Union nicht für die benötigte Zwei-Drittel-Mehrheit zur Änderung des Grundgesetzes. Auch die AfD lehnt das Ansinnen ab.

Zudem wäre für eine Änderung des Grundgesetzes auch im Bundesrat eine Zwei-Drittel-Mehrheit nötig. Im September starteten zwar Berlin, Brandenburg, Bremen, Hamburg, Niedersachsen Rheinland-Pfalz und Thüringen eine Initiative zur Aufhebung des Kooperationsverbotes, aber selbst Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) will davon bislang nichts wissen. Die Länder hätten gegen mehr Geld vom Bund nichts einzuwenden, befürchten aber zugleich, dass dann auch ihre inhaltlichen Kompetenzen in der Bildungspolitik auf den Prüfstand kommen.

Sollte sich die SPD in den kommenden Wochen doch auf Koalitionsverhandlungen mit der Union einlassen, dann wird die Frage der Bildungsfinanzierung in jedem Fall wieder ein zentrales Thema sein. Vielleicht geht Volker Kauders Wunsch in Erfüllung und eine Bildungsoffensive wird wirklich "das große Projekt der gesamten Koalition".