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Gastkommentare : Allgemeine Dienstpflicht? Ein Pro und Contra

Ist die allgemeine Dienstpflicht ist eine Chance für junge Menschen oder sollte nicht besser auf das Prinzip der Freiwilligkeit gesetzt werden? Ein Pro und Contra.

20.08.2018
2024-02-06T11:22:41.3600Z
4 Min

Pro

Wichtige Erfahrung

Foto: Inga Sommer
Julia Weigelt
ist als freie Journalistin tätig.
Foto: Inga Sommer

Das Problem ist die Selbstverständlichkeit - mit der wir zum Arzt gehen, wenn wir krank sind oder frische Luft atmen, wenn wir nach draußen gehen. Dass dies ganz und gar nicht selbstverständlich ist, erkennen viele Menschen erst, wenn sie nach einem Unfall nicht mehr laufen können oder auf Reisen den Smog chinesischer Großstädte einatmen.

Für uns als Gesellschaft ist es wichtig, die vielen Dinge wertzuschätzen, die in Deutschland besser klappen als in beinahe allen anderen Ländern der Welt. Eine allgemeine Dienstpflicht ist für junge Leute die beste Gelegenheit, diese Wertschätzung zu kultivieren. In Krankenhäusern, Pflegeheimen oder der Bahnhofsmission kommen sie in Kontakt mit Menschen, denen es gerade nicht so gut geht. In Naturschutzorganisationen können junge Menschen lernen, wie rasant ihre Eltern Ressourcen verbrauchen - und es selber besser machen. Als Rekruten in der Bundeswehr machen sie sich klar, wie fragil der Frieden auf der Welt ist - selbst in Europa. Erfahrungen, die zum Erwachsenwerden dazugehören.

Eine allgemeine Dienstpflicht ist vor allen Dingen eine Chance für junge Menschen - und gleichzeitig ein Beitrag für eine Gesellschaft, von der junge Leute schon profitiert haben und noch profitieren werden. Dafür muss das Grundgesetz geändert werden: Denn eine solche Dienstpflicht muss auch für Frauen gelten und nicht, wie bislang vom Grundgesetz festgelegt, nur für Männer. Diese Regelung ist schon lange nicht mehr zeitgemäß. In Auslandseinsätzen auf der ganzen Welt zeigen Soldatinnen, dass sie ein wichtiger Teil der Bundeswehr sind. Es gibt damit keinen Grund, sie von einer allgemeinen Dienstpflicht auszunehmen.

Contra

Nicht mit Zwang

Foto: Alex Kraus
Stefan Hebel
ist als freier Journalist tätig.
Foto: Alex Kraus

Man kann durchaus für Dinge eintreten, die zunächst unrealistisch erscheinen. Das könnte sogar ruhig öfter vorkommen, denn Visionen sind besser als ihr Ruf. Auf die Sache mit der Wehr- oder Dienstpflicht trifft das allerdings weniger zu. Sie ist nicht nur unrealistisch, weil mit der Wehrpflicht auch die Ungerechtigkeiten, die sie zuletzt mit sich brachte, wieder eingeführt würden. Sondern auch, weil die Idee sich ziemlich heftig am Grundgesetz stößt. Vom Fehlen parlamentarischer Mehrheiten ganz abgesehen.

Nein, der Vorschlag widerspricht auch einem zentralen Element, durch das das Engagement für das Große und Ganze erst seinen vollen Wert gewinnt. Das ist die Freiwilligkeit. Wer beklagt, dass zu viele nur an eigene Interessen denken, sollte sich - ob als Politiker oder zum Beispiel als Wirtschaftsführer - vorbildlich verhalten und konsequent am Gemeinwohl orientieren. Das würde womöglich mehr bewirken als gesetzlich verfügter Zwang. Wer in dieser Gesellschaft wenig verdient oder verzweifelt einen Kita-Platz sucht, darf sich schon mal fragen, wie weit die Gemeinwohl-Orientierung bei den Entscheidungsträgern reicht.

Die Debatte über Wehr- und Dienstpflicht hat zudem einen faden Beigeschmack: Hier und da stellt sich der Eindruck ein, die allgemeine Pflicht werde zum Dienst an der Gesellschaft ins Feld geführt, obwohl es in Wahrheit vor allem oder ausschließlich darum geht, die Löcher in der Bundeswehr zu stopfen (was kaum gelingen würde) und den konservativen Flügel der Union zu bedienen.

Wer eine solidarische Gesellschaft will, sollte dafür werben - und politisch daran arbeiten, statt über Zwang zu reden.