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regulierung II : Verbraucherschutz mit Unsicherheitsfaktoren

Gut gemeinte Vorschriften zu den Risiken von Finanzprodukten entpuppen sich in der Praxis als Beratungshindernisse

03.09.2018
2023-08-30T12:34:34.7200Z
3 Min

Zu Jahresbeginn brach für die Finanzbranche unter den Kürzeln PRIIP und MiFID II eine neue Zeitrechnung an. Mit den beiden Rechtsakten verfolgt die EU zwei Ziele: Zum einen soll die Kapitalmarktunion vertieft werden, damit Kapital in der EU barrierefrei fließt. Zum anderen wird ein verbesserter Anlegerschutz angestrebt, indem Produktinformationen Informationsassymmetrien beheben und Dokumentationsanforderungen die Beweissicherung verbessern sollen. Schließlich soll technologischen Innovationen, der Vielfalt der Finanzprodukte und einer Internationalisierung Rechnung getragen werden.

Verpackte Produkte Als EU-Verordnung entfaltet die PRIIP in allen Mitgliedstaaten eine direkte Rechtswirkung. Sie richtet sich an Kleinanleger, die sogenannte verpackte Anlageprodukte und spezielle Versicherungsprodukte erwerben wollen. Hierzu zählen strukturierte Finanzprodukte, Derivate, geschlossene und offene Investmentfonds sowie Versicherungsprodukte mit Anlagecharakter. Nicht betroffen sind betriebliche Altersvorsorgeprodukte sowie Aktien und Anleihen. Im Zentrum stehen Basisinformationsblätter mit den wesentlichen Merkmalen des Finanzprodukts. Hierzu zählen Risiken und Renditemöglichkeiten, ein Maximal-/Totalverlust und eventuelle Nachschusspflichten, die einen Gesamtrisikoindikator ergeben. Außerdem sind einmalige Kosten (Provisionen, Ordergebühren, Verkaufskosten, Kosten dritter Dienstleister) und laufende Kosten transparent in einem Gesamtkostenindikator darzustellen.

Die Praxis wirft verschiedene Probleme und Fragen auf. So bestehen Überschneidungen mit nationalen Gesetzen. Beispielsweise sind Informationen vorzuhalten, die jedoch in gestalterischen und inhaltlichen Anforderungen abweichen. Nach PRIIP sind "Kleinanleger" geschützt, das heißt nicht-professionelle Anleger, während der deutsche Gesetzgeber auf den "Verbraucher" abstellt und somit juristische Personen ausschließt. Unklar bleibt, inwiefern die Pflichten und eventuelle Haftungsansprüche auch die Vermittler/Makler dieser Produkte treffen. Unsicherheiten und Einfallstore für Schadenersatzklagen bieten Formulierungen wie "das Basisinformationsblatt muss präzise, redlich und klar sein und darf nicht irreführend sein" (Art. 6 Abs. 1), es "wird als kurze Unterlage abgefasst, die prägnant formuliert ist und ausgedruckt höchstens drei Seiten Papier im A4-Format umfasst" (Art. 6 Abs. 4). Darüber hinaus muss es "leicht verständlich" sein und "die wesentlichen Informationen, die Kleinanleger benötigen", enthalten (Art. 6 Abs. 4). Dem steht ein Warnhinweis für besonders komplexe PRIIPs-Produkte entgegen: "Sie sind im Begriff, ein Produkt zu erwerben, das nicht einfach ist und schwer zu verstehen sein kann" - doch wann muss dieser Hinweis gegeben werden? Die Verwendung von "Labels" bietet zwar einen schnellen Zugang zur Information, bedeutet aber gegebenenfalls eine übermäßige Vereinfachung und Verzerrung. Eine Beweislastumkehr und Beweiserleichterungen zur Kausalität von Pflichtverletzung und Schaden verstärken die Unsicherheit seitens der Finanzinstitute.

Vorgaben auf 7.000 Seiten Als EU-Richtlinie enthält MiFID II allgemeine Vorgaben, die dem nationalen Gesetzgeber gewisse Gestaltungsspielräume lassen - in Deutschland durch das zweite Finanzmarktnovellierungsgesetz umgesetzt. Ein zentraler Punkt der mit allen Zusätzen circa 7.000 Seiten umfassenden Richtlinie ist die Zielmarktbestimmung. Dieses Konzept soll gewährleisten, dass Hersteller von Finanzprodukten den potenziellen Kundenkreis bereits von Anfang an definieren und auch der Produktvertrieb dieser Definition gerecht wird. Dies beruht auf Erfahrungen aus der Finanzkrise ab 2007, in der Anleger durch den Ausfall von Zertifikate-Emittenten teils hohe Verluste erlitten. Die Aufsichtsbehörden können Vermarktung, Vertrieb und Verkauf von Finanzinstrumenten verbieten oder beschränken. Die Produktempfehlung hat ausdrücklich die individuelle Risikotoleranz, die Verlusttragfähigkeit des Kunden sowie die persönlichen Wertpapierkenntnisse zu berücksichtigen. Das bisherige Beratungsprotokoll wird deshalb durch eine Geeignetheitserklärung abgelöst. Die Dokumentationspflichten umfassen Zeitpunkt und Ort der Besprechung, die Anwesenden, den Initiator des Gesprächs und Angaben zum Auftrag. Außerdem müssen E-Mails und Telefonate ('Taping') im Zusammenhang mit einer Wertpapierorder fünf Jahre gespeichert werden, um einer eventuellen Beweisführung zu dienen.

Die Regulierungen belasten Banken, Versicherungen und Fondsgesellschaften mit hohem administrativen und IT-Aufwand, der letztlich vom Verbraucher zu tragen sein wird. Aus Gründen der Vorsicht und der Standardisierung dürften die Finanzinstitute eine individuell auf den Kunden zugeschnittene Beratung einstellen. Die Produktvielfalt nimmt ab. MiFID II und PRIIPs werden zum Beratungshindernis.

Als Folge dürften Anleger zukünftig auf Rendite zu angemessenem Risiko verzichten und ihr Erspartes auf fast unverzinste Tages-, Festgeld- und Sparkonten legen. Die individuelle private Altersvorsorge würde hintertrieben. Größenvorteile werden die Konzentration in der Finanzbranche fördern. Der Wettbewerb düfte abnehmen, die Preise steigen und die Kapitalmarktunion konterkariert werden. Der 'fürsorgliche Verbraucherschutz' wird kaum erreicht und hat zudem unerwünschte Nebenwirkungen.