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EDITORIAL : Demokraten frösteln

17.09.2018
2023-08-30T12:34:35.7200Z
2 Min

Bei allen Differenzen über den Etat 2019 in der vergangenen Woche im Bundestag: Deutschland geht es gut. Die Wirtschaft boomt, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, Steuereinnahmen sprudeln, der Bundeshaushalt ist solide aufgestellt.

Und doch weht eine Unzufriedenheit durch das Land. Was sich in Chemnitz und in Köthen so erschreckend Bahn brach, war weit mehr als die nachvollziehbare Empörung und Trauer über den gewaltsamen Tod von Mitmenschen. Normalbürger, die sich von Ausländern bedroht fühlen, marschierten im Schulterschluss mit Neonazis, die diesen Staat stürzen wollen. Solche Szenen lassen Demokraten frösteln. Erst recht, wenn sich Parlamentarier in die ausländerfeindlichen Protestzüge einreihen.

Ein Ost-Problem? Nein, gewiss nicht nur. Aber eines, das in den neueren Bundesländern deutlicher zu Tage tritt. Das hat zu tun mit einer wachsenden Individualisierung unserer Gesellschaft. Mit dem Gefühl, immer wieder neue Herausforderungen allein, ohne Hilfe meistern zu müssen. Erst bescherte die Nachwendezeit statt der erhofften Segnungen des Westens vielen Familien Arbeitslosigkeit und Existenznot. Dann galt es, die Folgen von Globalisierung und Digitalisierung zu meistern. Flüchtlinge, die auf einmal in zuvor nicht vorstellbarer Anzahl in der ostdeutschen Provinz auftauchten und auch noch integriert werden sollten, bestärkten schließlich den ohnehin schon gewonnenen Eindruck: Denen da oben sind unsere Sorgen und Nöte hier unten egal.

Dieser Haltung liegt ein falsches Verständnis von Demokratie zugrunde. Deshalb muss alles unternommen werden, den noch nicht radikalisierten Teil der Demonstranten mit Argumenten zu erreichen. Dazu gehört allerdings auch, darauf zu bestehen, dass es nicht hinnehmbar ist, mit Neonazis gemeinsame Sache zu machen, Schläge gegen Ausländer oder Andersdenkende zu tolerieren oder das Gewaltmonopol des Staates in Frage zu stellen.

Die Verfechter eines demokratischen Miteinanders, auch das haben übrigens die Ereignisse in Chemnitz und Köthen gezeigt, sind durchaus in der Lage, ihre Werte zu betonen. Gegenkundgebungen, aber auch Gottesdienste stärken die Gemeinschaft der Anständigen nach innen und nach außen gegen braunen Terror.

Die Botschaft ist klar: Dieser liberale Rechtsstaat ist nicht verhandelbar; mit niemandem und zu keinem Preis.