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EUROPA : Schwieriger Partner am Bosporus

AfD will Türkei-Beitrittsverhandlungen und Finanzhilfen endgültig stoppen. Übrige Fraktionen wollen Zivilgesellschaft weiter unterstützen

08.04.2019
2023-08-30T12:36:19.7200Z
3 Min

Ein Antrag (19/8987) der AfD-Fraktion, indem diese die Bundesregierung auffordert, die Beitrittsverhandlungen der EU mit der Türkei sofort zu beenden und Vorbeitrittszahlungen vollständig einzustellen, ist bei den übrigen Fraktionen auf Ablehnung gestoßen. Zwar übten auch sie in der Debatte am vergangenen Donnerstag massive Kritik an den Entwicklungen im Land unter Präsident Recep Tayyip Erdogan, der seit dem Militärputsch Mitte 2016 massiv gegen Kritiker vorgeht; einen EU-Beitritt schlossen sie unter diesen Umständen klar aus. Die EU sollte dennoch diejenigen unterstützen, "die sich auf europäische Werte beziehen" und sich in der Türkei für Demokratie und für Rechtsstaatlichkeit einsetzen, betonte unter anderem Matern von Marschall (CDU).

Er wies darauf hin, dass die Beitrittsgespräche seit Juni 2018 ohnehin auf Eis liegen. "Es werden keine neuen Kapitel eröffnet, und es werden keine abgeschlossen." Im September 2018 hat die EU außerdem die Vorbeitrittshilfen, mit denen die Kandidatenländer fit für einen späteren EU-Beitritt gemacht werden sollen, um fast 40 Prozent gekürzt.

"Die Türkei gehört nicht zu Europa", hatte Siegbert Droese (AfD) zuvor erklärt. In dem Land herrsche "ein traditionell anderes Politikverständnis, das mit unserer Wertearchitektur nicht kompatibel ist". Seine Fraktion wolle Europa als europäischen Geschichts- und Kulturraum erhalten. Die Bundesregierung forderte er auf sicherzustellen, dass kein deutsches Steuergeld zur Stabilisierung der türkischen Politik unter Erdogan bereitgestellt werde.

Deutsches Steuergeld fließe nicht zur Stabilisierung der Erdogan-Regierung in die Türkei, entgegnete darauf Markus Töns (SPD), sondern in die EU-Fazilität für Flüchtlinge, "um sie und auch Gemeinden, die von Flucht betroffen sind, zu unterstützen". Gleichwohl verurteilte auch Töns das Vorgehen Erdogans gegen gegen Kurden, Andersdenkende, die Opposition "und ganz besonders gegen Journalisten". Deshalb sei es richtig gewesen, die Beitrittsverhandlungen auszusetzen.

Gyde Jensen (FDP) unterstrich, es gehe nicht mehr darum, den Beitritt der Türkei zur EU zu realisieren; das Land erfülle die Voraussetzungen dafür definitiv nicht. "Aber es geht um Reformen, um einen Weg in ein freieres und besseres Leben in der Türkei". Deshalb müsse es weiter einen Dialog und Gespräche über gemeinsame Herausforderungen geben.

Parallelen zwischen der AKP-Partei Erdogans und der AfD zog Dieter Dehm (Die Linke). "Ihr seid doch Brüder im Ungeist mit eurer Verachtung für die demokratische Gewaltenteilung im Staat, für soziale Grundrechte, mit eurer brutalen Verfolgung von allem, was links und freiheitsliebend klingt", hielt er der Partei entgegen. Dennoch sprach auch er sich für ein Ende der Beitrittsverhandlungen sowie der Finanz- und Kredithilfen aus. "Die Bilder sind zu bitter, wie die türkische Armee mit deutschen Panzern Syrien überfällt und dort die hinmordet, die uns vom IS zu befreien geholfen haben", erklärte Dehm.

Cem Özdemir (Grüne) warf der AfD ebenfalls vor, der AKP geistig nahe zu stehen: "Es ist ganz sicherlich nicht das Anliegen, die Situation der Journalisten, der Frauen, der Christen, der Schwulen und der Lesben in der Türkei zu verbessern; denn genau diesen Menschen schlagen Sie die Tür vor der Nase zu", urteilte er. "Ihnen geht es darum, die Tür zu Europa für alle zuzumachen, die muslimischen Glaubens sind", mutmaßte er. Solange Erdogan Präsident der Türkei sei, fügte Özdemir hinzu, "solange müssen die Beitrittsverhandlungen dort bleiben, wo sie gegenwärtig sind, nämlich im Tiefkühlregal ganz hinten".

Wahldesaster Gegenwind bekommt Erdogan nicht nur aus der EU, sondern auch im eigenen Land, zu spüren. Bei der Kommunalwahl am 30. April blieb seine islamisch-konservative AKP zwar stärkste Kraft im Land, hat ersten Ergebnissen zufolge aber wichtige Großstädte, zum Beispiel die Hauptstadt Ankara und die Millionenmetropole Istanbul, verloren. Zusammen leben in beiden Städten über 20 Millionen Menschen, gut ein Viertel aller Einwohner der Türkei. In Istanbul hatte der Oppositionskandidat Ekrem Imamoglu von der Mitte-Links-Partei CHP denkbar knapp über den ehemaligen Ministerpräsidenten Binali Yildirim (AKP) triumphiert.

Endgültige Wahlergebnisse liegen erst in ein paar Tagen vor. Im knappen Rennen um den Bürgermeisterposten in Istanbul hat die AKP aber schon jetzt in allen 39 Bezirken Einsprüche gegen die abgegebenen Stimmen eingelegt.