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GESETZGEBUNG : Innovation contra Vorsorge

Bundestag debattiert über Bewertung von Risiken und Chancen

15.04.2019
2023-08-30T12:36:20.7200Z
2 Min

Das Wort Innovation hat für viele Menschen einen positiven, fortschrittsorientierten Klang und soll, wenn es nach der FDP-Fraktion geht, auch im Gesetzgebungsverfahren eingeführt werden. Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hingegen will das Vorsorgeprinzip stärken. Am vergangenen Freitag debattierte der Bundestag erstmalig über die Anträge der Liberalen (19/9224) und der Grünen (19/9270).

Nicola Beer (FDP) kritisierte, nach den derzeitigen Regeln seien bei der Gesetzesfolgenabschätzung nur Risiken und Gefahren, die sich aus einem Gesetzesvorhaben ergeben können, zu evaluieren: "Chancen, die sich durch ein Vorhaben ergeben, werden nicht untersucht." In einer Welt des technischen Wandels werde Deutschland auch in Zukunft nur dann erfolgreich sein, wenn Deutschland besonders innovativ, kreativ und schnell in der Umsetzung sei.

Bis auf die AFD bewerteten alle Fraktionen den FDP-Antrag kritisch. Silke Launert (CDU) stimmte dem Forderung, Deutschland solle innovationsfreudig agieren, zwar ausdrücklich zu. Im Wortlaut des geltenden Gesetzes stehe nichts von Chancen, Risiken oder Problemen. Wertneutral würden die Begriffe Auswirkungen, Nebenwirkungen, Entwicklungen und Wirkungen benutzt.

Die SPD-Abgeordnete Saskia Esken sagte: "Deutschland ist keine Innovationswüste. Im Gegenteil." Die Welt beneide Deutschland um seine Innovationsfähigkeit, gerade weil die Innovationen durchdacht und nachhaltig seien. Diese Tradition werde durch das Vorsorgeprinzip verfestigt. Das Hauptanliegen der Innovationsoffensive der FDP sei insofern auch nicht die Förderung von Innovationen, sondern das Zurückdrängen von Regulierungen und Nachhaltigkeitszielen in den Gesetzgebungsverfahren. "Ein so verstandenes Innovationsprinzip ist in meinen Augen sogar innovationsfeindlich", monierte Esken.

»Wunschzettel der Wirtschaft« Noch härter ins Gericht mit dem FDP-Antrag gingen die Abgeordneten der Linken und Grünen. Niema Movassat (Linke), bezeichnete den Antrag als einen "in die parlamentarische Form gegossener Wunschzettel von großen Wirtschaftsunternehmen". Durch das Innovationsprinzip sollten wichtige gesetzliche Standards geschwächt werden. "Der Begriff Innovation dient hier also in erster Linie als Deckmantel für einen schlechteren Umwelt- und Gesundheitsschutz", sagte Movassat.

Bettina Hoffmann (Grüne) nannte die Einführung des Innovationsprinzips "ein trojanisches Pferd". Erfunden hätten den Begriff die Chemie-, die Kohle- und die Tabakindustrie. Deren Strategie laute, Innovationen in einen künstlichen Widerspruch zum Vorsorgeprinzip zu stellen und diese damit zu schwächen. "Wenn wir genau hinschauen, brauchen wir eigentlich mehr Vorsorge", unterstrich Hoffmann. Jeder habe 200 bis 300 Chemikalien im Körper, die da nicht hingehörten.

Einzig der AfD-Abgeordnete Martin Reichardt lobte den Antrag der FDP als "freiheitlich", er bemühe sich um eine neutrale Chancen- und Risikobewertung. Den Antrag der Grünen nannte er hingegen ein "Ideologiepapier". Er beeinflusse durch Setzung ideologischer Kriterien das Ergebnis von Gesetzesprüfungen, um so eine objektive Prüfung bereits im Vorfeld zu erschweren. Die Grünen, so Reichardt, seien eine "totalitäre Partei, die unter dem Deckmantel von Ökologie und geheuchelter Menschlichkeit unser Gemeinwesen Stück für Stück zerstört".