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Finanzen : Der Kampf gegen die Steuerhydra

Steuerhinterziehung und Steuerflucht sind in den vergangenen Jahren schwieriger geworden. Das politische Klima hat sich verändert

29.04.2019
2023-08-30T12:36:21.7200Z
4 Min

Die Erkenntnisse des britischen Ökonomen Richard Murphy klingen paradox. 825 Milliarden Euro wurden in der EU nach einer jüngst von ihm veröffentlichten Studie im Jahr 2015 an Steuern hinterzogen. Und doch nennt Murphy die EU die "effektivste internationale Institution im Kampf gegen Steuerbetrug". Die beiden Aussagen sind weniger widersprüchlich, als sie klingen. Denn immerhin lag 2009 die von Murphy nach derselben Methodik ermittelte Summe noch bei rund einer Billion Euro. Es scheint in der EU also zumindest in die richtige Richtung zu gehen - auch wenn die vor drei Jahren veröffentlichten "Panama Papers" enthüllt haben, in welchem Umfang gerade auch Europäer Steuern hinterzogen haben und es weiterhin tun.

Doch hat sich im Kampf gegen Steuerbetrug, Steuerhinterziehung, Steuerflucht und (legaler) Steuervermeidung in der EU in den vergangenen Jahren tatsächlich einiges getan. Der Grund ist vor allem ein verändertes politisches Klima. Einige EU-Staaten, zu deren Geschäftsmodell es jahrzehntelang gehörte, legale und illegale Steuervermeidung zu erleichtern, verschließen sich diesem Kampf nicht mehr kategorisch. Viele Jahre lang hatten diese Länder - vor allem Luxemburg, aber auch Österreich und Irland - die Verschärfung der EU-Rahmenregeln erfolgreich blockiert. Sie profitierten davon, dass die EU-Staaten steuerpolitische Entscheidungen nur einstimmig treffen können. Diese Länder gerieten aber von 2010 an zunehmend unter internationalen Druck. Die USA zwangen im Kampf gegen die Steuerflucht alle Partnerländer in den "Fatca"-Abkommen zum Informationsaustausch vor allem über Auslandskonten. Diesem Druck konnten sich auch die EU-Staaten nicht entziehen.

Die entscheidende Kursänderung vollzog die EU kurz vor der Europawahl 2014, kurz nachdem der langjährige luxemburgische Premier- und Finanzminister Jean-Claude Juncker sein Amt verloren hatte. Luxemburg und Österreich gaben ihren Widerstand gegen die Verschärfung der EU-Zinsrichtlinie auf. Sie bedeutete praktisch das Ende des Bankgeheimnisses und der steuerpolitischen Intransparenz. Alle Mitgliedstaaten praktizieren seither den automatischen Datenaustausch über Zinseinkünfte, Dividendenzahlungen und Versicherungserträge.

Der automatische Informationsaustausch der Steuerbehörden soll für Transparenz sorgen und verhindern, dass Privatpersonen Vermögen und Einkünfte unversteuert ins Ausland verschieben. Einkünfte lassen sich mittlerweile nicht mehr so leicht verstecken. Das gilt zumindest für die EU-Staaten und solche Länder, die sich ebenfalls den internationalen Standards für den Informationsaustausch unterworfen haben. Jene Staaten, die sich jeder internationalen Zusammenarbeit komplett verweigern, stellt die EU seit einiger Zeit auf einer schwarzen Liste von Steuerparadiesen an den Pranger. Die Liste ist freilich bemerkenswert kurz. Nicht einmal Panama findet sich dort mehr, und die ebenfalls als Steueroasen geltenden britischen Kanalinseln und die Isle of Man sind dort noch nie aufgetaucht. Alle Schlupflöcher für Steuerflüchtlinge sind also sicher nicht geschlossen.

Der Kampf gegen Steuerflucht hat nicht nur Privatpersonen im Blick. Auch die "Optimierung" der Steuerlast, die Unternehmen mit einigem Aufwand betreiben, ist der EU zunehmend ein Dorn im Auge. Auch hier haben Beschlüsse auf globaler Ebene, besonders jene gegen die Kürzung und Verlagerung von Gewinnen (Base Erosion and Profit Shifting, Beps), Druck aufgebaut. Ein wichtiges Element ist die verschärfte EU-Amtshilferichtlinie, in der ein einheitliches "Country-by-Country-Reporting" vorgesehen ist. Globale Konzerne werden so gezwungen, den Finanzbehörden der Mitgliedstaaten nach Ländern aufgeschlüsselte Steuer- und Gewinndaten zu präsentieren und diesen so offenzulegen, wo sie wie viel Steuern zahlen. Die nationalen Behörden sollen die Informationen untereinander austauschen. Der Vorschlag, diese Informationen auch zu veröffentlichen, wird aber bis heute (unter anderem von Deutschland) blockiert.

Weiter ist in der neuen Richtlinie vorgesehen, dass die Mitgliedstaaten einander Auskunft über ihre jeweiligen "Tax Rulings" erteilen. Das sind Regeln, mit denen die Behörden den Unternehmen mitteilen, wie sie bestimmte Steuerfragen behandeln. In manchen EU-Staaten sagen die Finanzbehörden mittels solcher "Rulings" aber auch Steuervergünstigungen zu, die nur für sie gelten. Wegen solcher Fälle hat sich die EU-Kommission die "Tax Rulings" auch mit den Mitteln des Wettbewerbsrechts vorgeknöpft.

Denn selektive staatliche Begünstigungen von Unternehmen sind nach dem EU-Beihilfenrecht verboten. Nach den Erkenntnissen der Brüsseler Behörde haben mehrere Mitgliedstaaten gegen das Beihilferecht verstoßen, indem sie die Steuersparmodelle einzelner Unternehmen - in der Regel handelte es sich um globale Konzerne - billigten. Das spektakulärste Verfahren war jenes gegen Apple in Irland. Die dortigen Spezial-Steuervergünstigungen für den amerikanischen Technologiekonzern liefen nach Erkenntnissen der EU-Behörde auf einen Steuersatz von gerade einmal 0,05 Prozent hinaus. Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager verfügte deshalb, Apple müsse 13 Milliarden Euro Steuern an Irland zurückzahlen.

Von solchen Spezialregeln profitieren nicht nur Großkonzerne, sondern auch Privatpersonen. Nach einer kürzlich vorgestellten Studie der Grünen-EU-Parlamentsfraktion schneidern immer mehr EU-Staaten Steuersparmodelle für Superreiche. Über 160.000 Großverdiener kämen so in zehn EU-Ländern um ihren Anteil an der Einkommensteuer herum, kritisiert der Grünen-Politiker Sven Giegold. Beihilfeverfahren sind für diese Fälle kaum vorstellbar. Sie sind eher ein Beleg für den Befund des früheren Bundesfinanzministers Wolfgang Schäuble (CDU). Er sagte über seinen Kampf gegen Steuerflucht, dieser gleiche dem gegen eine Hydra, der für jeden abgeschlagenen Kopf ein neuer nachwächst. In diesem Kampf wird der EU die Arbeit sicher nicht ausgehen.

Der Autor arbeitet für die "Frankfurter Allgemeine Zeitung" in Brüssel.