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Ortstermin: Wissenschaftspreis des Bundestags… : Was der Gesetzgeber wirklich wollte

20.05.2019
2023-08-30T12:36:22.7200Z
2 Min

Was wollte der Gesetzgeber wirklich? Diese Frage müssen sich Gerichte stellen, wenn bei Rechtsstreitigkeiten zu ermitteln ist, was denn mit einem Gesetz tatsächlich beabsichtigt war. Wie der Wille des Gesetzgebers mit wissenschaftlichen Methoden ergründet werden kann, hat sich ein junger Rechtswissenschaftler zur Aufgabe gemacht und eine Dissertation verfasst, die vor zwei Jahren unter dem Titel "Gesetzesmaterialien und Wille des Gesetzgebers. Fallgruppen verbindlicher Wissensäußerungen" erschienen ist. Bei der Jury des Wissenschaftspreises des Bundestages stießen die Überlegungen von Tino Frieling auf so großes Wohlwollen, dass sie ihm den diesjährigen Preis verliehen hat. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) übergab die Urkunde des mit 10.000 Euro dotierten Preises im Reichstagsgebäude.

42 Publikationen aus Politikwissenschaft, Rechtswissenschaft und Geschichtswissenschaft waren eingereicht worden, wie die Juryvorsitzende und Politikwissenschaftlerin Suzanne S. Schüttemeyer berichtete. Die Arbeit Frielings, heute wissenschaftlicher Assistent an der Bucerius Law School, zeichnet sich nach den Worten des Laudators und Rechtswissenschaftlers Christian Calliess dadurch aus, dass Frieling eine methodische Brücke von den Gesetzesmaterialien zum Willen des Gesetzgebers baue. Dabei gehe es um den Willen des Gesetzgebers insgesamt, nicht um einzelne Äußerungen von am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen. Das wäre willkürlich, und Willkür soll ausdrücklich vermieden werden. Dass dies gelingt, dazu biete Tino Frieling mit den von ihm entwickelten Prämissen einen Weg an.

Um seinen Ansatz zu verdeutlichen, schilderte der Preisträger die Auslegung eines Gesetzes zur sachgrundlosen Befristung im Arbeitsrecht durch das Bundesarbeitsgericht. Das Gesetz lege fest, dass ein Arbeitsverhältnis nur einmal ohne Sachgrund befristet werden darf, danach nicht mehr. Das Gericht habe den Gesetzeszweck so gedeutet, dass Missbrauch verhindert werden solle, dass nach drei Jahren aber kein Missbrauch mehr vorliege und erneut sachgrundlos befristet werden dürfe. Der Gesetzgeber habe aber nur von einer einmaligen Befristung gesprochen, sagte Frieling. Die Möglichkeit, nach drei Jahren erneut befristen zu können, sei im Gesetzgebungsverfahren sogar erörtert, aber verworfen worden.

An dieser Stelle hob Bundestagspräsident Schäuble die Bedeutung des Ausschussberichts hervor. Der Bericht des federführenden Ausschusses vor der Verabschiedung des Gesetzes habe eine stärkere Qualität als die Gesetzesbegründung im Regierungsentwurf. Schäuble sprach ausdrücklich das "Strucksche Gesetz" an, wonach kein Gesetz den Bundestag so verlässt, wie es bei ihm eingegangen ist. Schüttemeyer ergänzte, häufig werde gesagt, das Parlament nicke nur noch ab. Frielings Arbeit könne dazu beitragen, Missverständnisse über die Rolle des Parlaments auszuräumen. Man müsse genau schauen, wer wo Einfluss ausübt, und die Öffentlichkeit müsse zur Kenntnis nehmen, dass viele Akteure Einfluss nehmen: "Das sind Blumen, die oft im Verborgenen blühen." Volker Müller