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Pariser ziele : Auf dem Weg zum Klima-Club

Mit dem UN-Sondergipfel etabliert sich eine Koalition der Willigen

30.09.2019
2023-08-30T12:36:28.7200Z
5 Min

Im kommenden Jahr tritt das Pariser Klimaabkommen in Kraft. Darin verpflichtet sich die internationale Staatengemeinschaft, die Erderhitzung auf 1,5 bis maximal zwei Grad zu begrenzen und bis 2050 Klimaneutralität zu erreichen. Nur so viel CO2 darf dann noch ausgestoßen werden, wie andernorts kompensiert werden kann.

Schon 2015, als das Abkommen beschlossen wurde, war klar, dass die nationalen Klimapläne der Länder bei Weitem nicht ausreichen, um diese Ziele zu schaffen. Selbst im besten Fall würde die globale Temperatur damit bis zum Jahr 2100 im Vergleich zur vorindustriellen Zeit um 2,7 Grad steigen und die vereinbarten Zielmarken somit deutlich überschreiten. Festgelegt wurde deshalb, dass die Länder bis zum Inkrafttreten des Abkommens 2020 ihre Pläne nachschärfen sowie Langfriststrategien einreichen, also Pläne, die sich auf das Jahr 2050 beziehen. Die in Paris eingereichten nationalen Klimaziele formulieren lediglich die Klimaschutzambitionen der Länder bis 2030.

Doch dieses Nachschärfen hat bislang kaum stattgefunden. Außer einigen wenigen kleinen Staaten hat sich noch kein Land bewegt. Obwohl die Länder vier Jahre Zeit hatten, obwohl der Handlungsdruck mit Hitzewellen, Dürren und Waldbränden immer deutlicher vor Augen steht. Und obwohl der Weltklimarat IPCC mit seinen Sonderberichten dargelegt hat, dass sich der Klimawandel sehr viel schneller und mit gravierenderen Folgen vollzieht als bislang angenommen: mehr Extremwetter-Ereignisse, mehr Bodenerosion, mehr Wasserknappheit, mehr Ernteausfälle, ein schneller steigender Meeresspiegel.

Bei der diesjährigen Frühjahrskonferenz in Bonn sah es sogar so aus, als würde es wieder rückwärts gehen. Bei dem Vorbereitungstreffen für den Klimagipfel Ende des Jahres in Chile verhinderten Ölländer wie Saudi-Arabien, Russland und die USA ein offizielles Bekenntnis zu den Aussagen des IPCC-Berichts zum 1,5-Grad-Ziel. Dabei hat die Staatengemeinschaft den Bericht selbst in Auftrag gegeben, um sich vorrechnen zu lassen, was ihr Beschluss von Paris bedeutet. Nämlich: Nur mit dem 1,5-Grad-Limit ist die Welt einigermaßen sicher. Schon bei zwei Grad wird es brandgefährlich. Nötig sind schnelle und drastische Einschnitte bei den CO2-Emissionen. Da bei den UN-Verhandlungen Einstimmigkeit erforderlich ist, können einzelne Länder zur Vetomacht werden und Fortschritte blockieren.

Ungewöhnlicher Gipfel Um gegenzusteuern und die Länder zu Nachbesserungen zu drängen, hat UN-Generalsekretär António Guterres zu Beginn der Woche zu einem Klima-Sondergipfel nach New York eingeladen. Vieles daran war ungewöhnlich. Das zeigt, wie groß aus Sicht der Vereinten Nationen derzeit die Gefahr ist, dass der klimapolitische Aufbruch des Jahres 2015 Stück für Stück implodiert und den starken Zielen des Paris-Abkommens keine entsprechenden Taten folgen.

Schon im Vorfeld machte Guterres in ungewohnter Direktheit eine klare Ansage: "Keine Reden, sondern konkrete Pläne". Während bei früheren Gipfeltreffen auch ambitionslose Länder die Weltbühne zur Selbstdarstellung nutzen durften, erhielten diesmal nur die Ländervertreter Rederecht, die etwas Neues auf den Tisch legen konnten, um an der Umsetzung des Paris-Abkommens mitzuarbeiten. "Dies ist kein Gipfel, auf dem über Klimawandel gesprochen wird", sagte Guterres. "Wir hatten genug Gespräche." Jetzt gehe darum zu handeln. Demonstrativ stellte der UN-Chef sich an die Seite der protestierenden Jugendlichen von "Fridays for Future". Die Initiatorin der Bewegung, Greta Thunberg, eröffnete das Treffen mit einer kurzen, eindringlichen Rede. "Meine Botschaft an die Regierenden ist: Wenn ihr versagt, werden wir euch niemals verzeihen", sagte Thunberg.

Parallel zu dem Sondergipfel stellten zudem Wissenschaftler in einem Synthese-Bericht zusammen, was geschehen muss, um die Klimakrise zu stoppen. Die bislang vorliegenden nationalen Klimapläne reichen mittlerweile nur noch für ein Temperaturlimit von 2,9 bis 3,4 Grad. Um das Zwei-Grad-Ziel zu schaffen, müssten sich die bisherigen Ambitionen verdreifachen, für das 1,5-Grad-Ziel sogar verfünffachen.

Immerhin etwa 60 Länder versprechen, im kommenden Jahr fristgerecht höhere Klimaziele zu präsentieren. Weitere elf Länder wollen mit der Arbeit an nachgeschärften Zielen beginnen, darunter Schwergewichte wie Indien und China. Auch von Russland kam Neues. Das Land ratifiziert nun endlich das Paris-Abkommen. Anders als beim Kyoto-Protokoll, dem Vorgängervertrag, verzichtet Russland diesmal darauf, für die verspätete Ratifizierung politische Konzessionen zu verlangen.

Einige Länder, darunter Deutschland, bekennen sich nunmehr zur Klimaneutralität ab 2050. Deutschland trat zudem offiziell der globalen Kohleausstiegsallianz bei. Kanzlerin Merkel nutzte ihr Rederecht, um das kurz zuvor beschlossene Klimapaket vorzustellen. Zudem kündigte sie eine Erhöhung der deutschen Beiträge zur internationalen Klimafinanzierung auf vier Milliarden Euro an - doppelt so viel wie 2014. Außerdem will Deutschland 1,5 Milliarden Euro in den Green Climate Fund einzahlen. Dies ist allerdings nichts Neues - die Bundesregierung hatte diesen Betrag schon im vergangenen Jahr angekündigt.

Den Pariser Klimazielen ist die Weltgemeinschaft damit aber noch nicht näher gekommen. Von den größten Emittenten, den USA und China, kam nichts oder wenig Konkretes. Von den G20-Staaten, die zusammen für 80 Prozent der weltweiten CO2-Emissionen verantwortlich sind, haben laut UN-Angaben 14 sich bislang weder zur Klimaneutralität für 2050 bekannt noch Klimapläne vorgelegt, die mit einem Temperaturlimit von 1,5 bis maximal zwei Grad vereinbar sind.

Dennoch könnte der Sondergipfel der Durchbruch sein, um zu höheren Ambitionen zu kommen, sagt der Umweltökonom Reimund Schwarze vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Leipzig. "In New York wurde ein Club der Willigen etabliert", sagt Schwarze. "Eine Art Pariser Klima-Club ist entstanden, und zwar nicht nur bei langen informellen Gesprächen, sondern als Teil des förmlichen UN-Prozesses." Das sei eindeutig ein Fortschritt. "Es ist schon etwas anderes, ob die Staatschefs sich nachts zusammentun und einen diplomatischen Coup landen oder ob der Generalsekretär erklärt: Das ist jetzt unser Verfahren!"

Die Strategie des Beschämens und Namen-Nennens, die Guterres nun eingesetzt hat, passt jedenfalls zum Paris-Abkommen. Das Abkommen selbst beruht auf Freiwilligkeit. Jedes Land hat selber festgelegt, wie viel es zum globalen Klimaschutz beitragen kann und will. Nur auf dieser Basis waren die Staaten bereit, einem Klimavertrag zuzustimmen. Damit sich dennoch klimapolitisch etwas tut, kennt das Paris-Abkommen nur einen psychologischen Hebel: durch Vorreiter und Vorbilder oder durch Druck.

Bei einem "Club der Willigen" käme es also nicht darauf an, dass möglichst viele Länder ihm angehören. Entscheidend ist, ob von ihm genügend Impulse für die internationalen Verhandlungsprozesse ausgehen. "Gerade in Verbindung mit ökonomischen Entwicklungen am Energie- und Finanzmarkt hat das jetzt eine Kraft, Staaten anzuziehen und den Beitritt attraktiv zu machen", sagt Schwarze. Mit Russland ist das jedenfalls schon gelungen.

Unternehmen haben Pläne Auch von Unternehmen und Investoren kam Neues. In New York legten fast 90 Firmen mit einem gemeinsamen Wert von mehr als 2,3 Billionen Dollar und einem CO2-Emissionsvolumen, das 73 Kohlekraftwerken entspricht, Reduktionsziele vor, die mit dem 1,5-Grad-Ziel übereinstimmen. Und eine Reihe großer Pensionsfonds und Versicherer, die für mehr als zwei Billionen Dollar stehen, versprachen, ihre Portfolios bis 2050 auf Klimaneutralität umzustellen. Verena Kern

Die Autorin arbeitet als freie Journalistin.