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Europa : Zahlen oder Sparen

Experten fordern deutlich höhere EU-Ausgaben ab 2021 - oder massive Kürzungen bei der Transferpolitik

28.10.2019
2023-08-30T12:36:29.7200Z
3 Min

Nicht nur der Brexit hält die Europäische Union derzeit auf Trab. Bis Ende des Jahres steht eine weitere wichtige Entscheidung an: Die Einigung auf den Finanzrahmen der EU von 2012 bis 2027 (MFR). "Das dürften die schwierigsten Verhandlungen in der EU-Geschichte werden", mutmaßte Kommissionsvertreter Andreas Schwarz vergangene Woche in einer öffentlichen Anhörung des Europaausschusses - und er dürfte Recht behalten.

Denn die Mitgliedstaaten müssen sowohl bestehende Schwerpunkte wie die Agrar- und Kohäsionspolitik weiter finanzieren als auch die Haushaltslücke, die durch den Austritt Großbritanniens entsteht, ausgleichen. Außerdem gilt es, die Gemeinschaft für Zukunftsaufgaben wie Digitalisierung, Außen- und Sicherheitspolitik und den Kampf gegen den Klimawandel auszustatten. Eine Herkulesaufgabe angesichts der Widerstände gegen den im Mai 2018 von der EU-Kommission vorgelegten Vorschlag.

Danach soll die EU bis 2027 rund 1,135 Milliarden Euro und damit 1,1 Prozent des Bruttonationaleinkommens der EU-27 ausgeben können - 18 Prozent mehr gegenüber dem derzeitigen Finanzrahmen 2014 bis 2020. Um den Aufwuchs zu begrenzen, schlägt die Kommission vor, traditionelle Politikbereiche wie die Agrar- und Strukturpolitik moderat zu kürzen. Doch das lehnen die Profiteure der europäischen Regionalpolitik, allen voran Polen, ab. Doch noch mehr zahlen will auch niemand. Was also tun?

Nach Ansicht zahlreicher Experten in der Anhörung führt kein Weg an höheren Ausgaben vorbei. "Anders kann die EU im internationalen Innovationswettbewerb nicht bestehen", warnte Klaus Günther Deutsch vom Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI). Lucas Guttenberg vom Berliner Jacques Delors Institut stellte klar, wenn die Staaten keine entscheidenden Kürzungen in den traditionellen Ausgabenbereichen vornehmen, aber neue Aufgaben finanzieren wollten, "müssen die Beiträge entsprechend stärker steigen". Die Bundesregierung müsse dann überlegen, wofür sie bereit ist, mehr zu zahlen.

Susanne Wixforth vom Deutschen Gewerkschaftsbund schloss sich der Forderung des Europäischen Parlaments an, wonach das Sieben-Jahres-Budget sogar 1,3 Prozent des EU-Bruttonationaleinkommens betragen sollte. Die EU müsse neue Aufgaben übernehmen, aber "dringende Bedarfe" im Bereich der Kohäsions- und Struktur- sowie der Agrarpolitik weiter finanzieren können, betonte sie.

Berthold Busch (Institut der Deutschen Wirtschaft), Margit Schratzenstaller (Österreichisches Institut für Wirtschaftsforschung) und Friedrich Heinemann (Leibniz-Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung) stehen höheren Nettoausgaben zurückhaltender gegenüber. Sie setzen anders als Wixforth durchaus auf Einsparpotenziale bei den traditionellen Aufgabenfeldern. "Der MFR braucht tiefgreifende Reformen", forderte Schratzenstaller. Busch ergänzte, man könne "nicht den Rahmen eng begrenzen und neue Prioritäten definieren, aber bestehende Ausgabenblöcke zum Tabu erklären". Heinemann und Pieter Cleppe von der Denkfabrik Open Europe kritisierten zudem die hohen Direktzahlungen an landwirtschaftliche Betriebe. Sie seien nicht zielgenau, weil es keine Bedürfnisprüfung gebe, und müssten daher auslaufen, urteilte Heinemann.

Nicht wenige EU-Partner blicken erwartungsvoll auf Deutschland. Als stärkste Volkswirtschaft und größter EU-Nettozahler könnte es doch zusätzliche Ressourcen aufbringen, hoffen viele. Doch dem hat Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) vorvergangene Woche im Bundestag bereits einen Riegel vorgeschoben. Mehr noch: Sie hat sogar einen EU-Rabatt für Deutschland ins Spiel gebracht. Die Verhandlungen über den Mehrjährigen Finanzplan dürfte diese Ankündigung nicht einfacher machen.