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kurz rezensiert

09.03.2020
2023-08-30T12:38:14.7200Z
2 Min

Der bekannte Heidelberger Zeithistoriker Edgar Wolfrum hat eine lesenswerte Geschichte des wiedervereinigten Deutschlands vorgelegt. Es geht um die großen Veränderungen, die dem Aufsteiger Deutschland in einer unübersichtlichen Welt nach dem Ende des Kalten Krieges begegneten. Die "Perspektive der Darstellung" sind die "Wandlungen" oder "Suchbewegungen" des Landes. Tatsächlich präsentiert Wolfrum eher Kommentare zu globalen Ereignissen - darunter den islamistischen Terrorismus, die Weltfinanzkrise, Digitalisierung und Klimawandel -, zu denen sich die jeweiligen Bundesregierungen positionieren mussten. Außerdem geht er auf die kulturpolitischen Debatten in der Gesellschaft sowie die populistische Revolte der neuen Rechten, die Angst und Pessimismus propagierten, ein. In der Innenpolitik werde es darum gehen, dass "die 85 Prozent, die die AfD nicht gewählt haben, den Rechtspopulismus ächten und zeigen", dass die "'wehrhafte Demokratie' kein Papiertiger ist", betont er.

Umstritten ist der Blick des Historikers auf die Außenpolitik nach der Einheit. Zwar erkennt Wolfram an, dass der US-Krieg im Irak Hunderttausende Menschenleben forderte und die gesamte Nahost-Region destabilisierte. Andererseits kritisiert er die Zurückhaltung der Bundesregierung unter Außenminister Guido Westerwelle (FDP), der auf einer "politischen Lösung" beharrte, während die USA, Großbritannien und Frankreich in Libyen Luftangriffe flogen. Seine Schlussfolgerung, dass "die außenpolitischen Koordinaten in dieser Krise falsch berechnet" und Deutschland isoliert wurde, gar "als unzuverlässige Macht" galt, vermag nicht zu überzeugen. Nachdrücklich klagt Wolfrum Deutschland an, sich gegenüber den Verbündeten "selbstgerecht" verhalten und "konsequent die Augen vor staatlichen Verbrechen gegen die Zivilbevölkerung" verschlossen zu haben. Leider erwähnt Wolfram mit keinem Wort die Erklärung von US-Präsident Obamas vom April 2016, in der er den Libyen Krieg als seinen "größten Fehler" bezeichnete.