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Corona-Hilfen : Der Testfall

Bundestag stimmt gigantischem Kreditprogramm für Europa zu

18.05.2020
2023-08-30T12:38:17.7200Z
4 Min

Für die einen geht es um europäische Solidarität, für die anderen handelt es sich um eine höchst überflüssige Maßnahme. Die Rede ist von einem gigantischen europäischen Kreditprogramm, mit dem die Folgen der Corona-Pandemie gemildert werden sollen. 240 Milliarden Euro stehen bereit; bis zu zwei Prozent seines Bruttoinlandsprodukts kann jedes Euroland als Kredit aus dem Euro-Rettungsschirm ESM erhalten. Im Fall von dem besonders von der Pandemie betroffenen Italien wäre so eine Unterstützung mit bis zu 40 Milliarden Euro möglich.

Vernetzt Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) sagte am Donnerstag im Bundestag, als vernetzte Volkswirtschaft sei Deutschland besonders darauf angewiesen, dass überall in Europa das Notwendige zum Schutz der Gesundheit und zur Ankurbelung der Wirtschaft getan werden könne: "Deshalb ist es notwendig, dass wir europäische Solidarität praktizieren und auf den Weg bringen, und genau das ist das, worum ich Sie bitte."

Das Parlament kam der Bitte nach und billigte den Antrag des Bundesministeriums der Finanzen (19/19110), im Gouverneursrat des Europäischen Stabilitätsmechanismus (ESM) der Bereitstellung des ESM-Instruments ECCL Pandemic Crisis Support (PCSI) zustimmen zu dürfen. Für den Antrag sprachen sich in namentlicher Abstimmung 426 Abgeordnete aus, 88 waren dagegen und 131 enthielten sich. Abgelehnt wurden ein Antrag der AfD-Fraktion (19/19153) auf Abwicklung des ESM sowie ein Entschließungsantrag der FDP-Fraktion (19/19181), die kritisiert hatte, dass die Kreditlinie nicht gezielt den stark von der Krise betroffenen Staaten zur Verfügung gestellt werde, sondern allen Euro-Mitgliedstaaten gleichermaßen.

Scholz sagte, mit den ESM-Krediten könnten die Staaten die notwendigen Finanzierungsaktivitäten entfalten. Der Minister zeigte sich überzeugt, dass das auch in Anspruch genommen wird. Es seien aber weitere Anstrengungen erforderlich, zum Beispiel ein Recovery-Fund für den Wiederaufbau. Dennis Rohde (SPD) nannte die Pandemie einen Testfall für Solidarität und bezeichnete das Kreditprogramm als Meilenstein.

Ganz anderer Auffassung war Peter Boehringer (AfD), der Vorsitzende des Haushaltsausschusses. Die akute Corona-Phase sei längst beendet. Als der Shutdown befohlen worden sei, sei das Virus schon fast am Ende seiner saisonalen Ausbreitung gewesen. Inzwischen entstehe ein größerer medizinischer Schaden durch die Shutdown-Maßnahmen als durch Corona selbst. Der volkswirtschaftliche Schaden durch den nicht aufgehobenen Shutdown liege bei 200 Milliarden Euro. Eine Kreditmaßnahme sei nicht notwendig, da die südeuropäischen Länder wegen des Ankaufsprogramms der Europäischen Zentralbank sich zu Traumkonditionen finanzieren könnten. Daher forderte Boehringer eine Auflösung und Abwicklung des ESM.

Eckhard Rehberg (CDU) verteidigte dagegen das Kreditprogramm: "Deutschlands Wohlstand und Millionen Arbeitsplätze in Deutschland hängen von Europa ab." Das Fundament für die Arbeitsplätze in Deutschland sei Solidarität in Europa. Rehberg wies darauf hin, dass der Deutsche Bundestag über jeden Kreditantrag eines jeden Eurolandes einen Beschluss zu fassen habe. Der AfD-Antrag auf Abschaffung des ESM und der Europäischen Finanzstabilisierungsfazilität würde zu einer Kernschmelze in Europa führen, warnte Rehberg. Wenn man ESM und ESFS einstellte, würden Staaten implodieren.

Europa sei eine Rechts- und Wertegemeinschaft, erinnerte Otto Fricke (FDP-Fraktion). Zu den Werten gehöre auch die Nächstenliebe. Da Deutschland in den vergangenen Jahren gespart habe, könne es auch denen Hilfe leisten, die sich nicht selbst helfen könnten. Die Hilfe über den ESM kritisierte Fricke. Das sei nicht der richtige und präzise Weg. Besonders störte sich Fricke an der Aufhebung fast aller Auflagen für die Kreditvergabe.

Es sei eine Katastrophe für Europa gewesen, dass angesichts der dramatischen Situation in Italien kein medizinisches Gerät habe geliefert werden können, sagte Fabio de Masi (Linke). Er warnte vor einer Fortsetzung der Kürzungspolitik in Europa: Wir wissen, dass man nicht bis ins Koma kürzen kann, wenn man Schulden verringern möchte. De Masi begrüßte, dass bei der ESM-Kreditvergabe auf Kürzungsauflagen verzichtet werde. Sven-Christian Kindler (Fraktion Bündnis 90/Die Grünen) nannte das ESM-Programm sinnvoll. Es reiche aber nicht aus. Man habe die schwerste Wirtschaftskrise seit dem Zweiten Weltkrieg. Auch Kindler fordert ein zusätzliches Recovery-Programm als große fiskalische Antwort für Europa.

Im Antrag der Regierung werden die wirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen der COVID-19 Pandemie als "symmetrischer Schock beispielloser Größenordnung mit Auswirkungen auf die Finanzmärkte, einem starken Anstieg des Bruttofinanzierungsbedarfs aller Staaten und beträchtlichen direkten und indirekten Auswirkungen auf den Finanzsektor", bezeichnet. Eine vorsorgliche Finanzhilfe des ESM könne dazu beitragen, die Risiken für die Finanzstabilität des Euro-Währungsgebiets insgesamt und der einzelnen Mitgliedstaaten des Euro-Währungsgebiets zu verringern. Zu den Bedingungen für die Kreditvergabe gehört, dass Mittel aus diesem ESM-Instrument ausschließlich zur Deckung eines durch die COVID-19-Pandemie bedingten Finanzierungsbedarfs eingesetzt werden dürfen. In einem Szenario zur wirtschaftlichen Entwicklung wird bereits für 2021 wieder mit einem starken Wirtschaftswachstum gerechnet, zum Beispiel in Deutschland mit 5,9 Prozent, in Frankreich mit 7,4 und in Italien mit 6,5 Prozent.

Nach Ansicht der AfD sind die laufenden Aktivitäten von EFSF und ESM nicht vom EU-Recht gedeckt. Bei den ausgereichten Krediten handele es sich nicht um Rettungskredite, sondern um Grundfinanzierungen, heißt es in dem Antrag auf Abwicklung von ESM und ESFS. Die geplante Bereitstellung von vorbeugenden und erweiterten Krediten auch an solvente Staaten (PCCL und ECCL) widerspreche dem Gründungsgedanken des ESM, wonach die Staatengemeinschaft nur in Notsituationen einspringe.