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EDITORIAL : Unwürdige Arbeitswelt

06.07.2020
2023-08-30T12:38:19.7200Z
2 Min

Die Probleme der deutschen Fleischindustrie lassen sich nicht auf Werkverträge für ausländische Arbeitnehmer in den Schlachtbetrieben reduzieren. Über Jahrzehnte hat sich ein System etabliert, das in vielerlei Hinsicht unakzeptabel ist.

Da ist zunächst der Landwirt. Er ist gezwungen, seine Tiere möglichst preisgünstig aufzuziehen, weil die Fleischpreise konstant niedrig sind. Auf der Strecke bleibt häufig das Tierwohl: enge Ställe, übermäßig viel Kraftfutter, skrupelloser Einsatz von Medikamenten. Sind die Tiere schlachtreif, folgt eine Tortur, die vom Verladen in Transportboxen bis zum Töten beim Großschlachter mitleiderregend ist.

Ist das Fleisch dann verbrauchergerecht zerlegt, zählt nicht Herkunft, Haltung oder Schlachtung, sondern einzig der Preis. Schön billig muss es sein, das Steak oder die Bratwurst. Ob das Rindfleisch von einem Bullen oder einer Färse, aus der Region oder von weit her stammt, weiß nicht einmal der Verkäufer hinter der Fleischtheke. Warum auch? Hauptsache Sonderangebot.

Schlimm genug, dass es einer Pandemie bedurfte, um die Absurditäten dieses Systems abermals an die Öffentlichkeit zu zerren. Denn neu ist all das nicht. Das Wohl der Tiere, die Arbeitsbedingungen in den Schlachthöfen, die Dumpingpreise am Markt: Oft genug ist das kritisiert und Abhilfe angekündigt worden. Geschehen ist, trotz vollmundiger politischer Versprechen über viele Jahre, viel zu wenig.

Höchste Zeit also, die Arbeitsbedingungen für Arbeitskräfte aus dem Ausland auch außerhalb der Fleischindustrie genauer unter die Lupe zu nehmen. Denn die Lebensqualität eines schlecht bezahlten Fleischzerteilers, der mit Kollegen in Mehrbettzimmern hausen muss, unterscheidet sich kaum von der eines Kurierfahrers, der auf der Ladefläche seines Transporters campiert, oder des Erntehelfers, der mangels Unterkunft im eigenen Pkw übernachtet. Diese Bedingungen sind eines Wohlstandsstaates unwürdig.

Sind Arbeitgeber auf ausländische Kräfte angewiesen, müssen sie sich um die Leute kümmern und sie anständig bezahlen. Vielfach geschieht das vorbildlich. Aber offenbar längst nicht überall. Dann muss der Staat zum Schutz der Mitarbeiter ordnend eingreifen. Das gilt übrigens immer. Und nicht nur, wenn gerade die Angst vor Corona-Infektionen besonders groß ist.