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energiE I : Der Anfang vom Ende

Der Bundestag macht nach langem Streit den Weg für den Kohleausstieg frei

06.07.2020
2023-08-30T12:38:20.7200Z
3 Min

Für Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) ist es ein historischer Einschnitt in die Geschichte der deutschen Wirtschaftspolitik, für Teile der Opposition ein Schwarzer Tag für die Bundesrepublik: Nach zähem Ringen, leidenschaftlichen Debatten und am Ende gar einer Abstimmung per Hammelsprung hat der Bundestag am Freitag den Weg frei gemacht für den Kohleausstieg. Der Bundesrat stimmte dem Gesetzespaket aus milliardenschweren Hilfen für die Regionen und einem Zeitplan für das Abschalten von Kohlekraftwerken noch am selben Tag und damit rechtzeitig vor der Sommerpause zu. Die in den Gesetzen (19/13398, 19/17342) getroffenen Regelungen sollen zum Erreichen der Pariser Klimaziele bis 2030 beitragen und regelmäßig evaluiert werden.

Altmaier würdigte die Maßnahmen als rechtssicher, wirtschaftlich vernünftig sowie sozial- und umweltpolitisch ausgewogen. "Zum ersten Mal ist es gelungen, den Strukturwandel so abzufedern, dass neue Arbeitsplätze entstehen, bevor die alten wegfallen." Deutschland sei das einzige Industrieland, das gleichzeitig aus Kohle und Kernenergie aussteigt. Altmaier versprach zudem, dass die Stromversorgung gesichert sei und die Preise auf europäischen Durchschnitt sinken sollen. Auch Joachim Pfeiffer (CDU) wies auf die Ausgewogenheit der Maßnahmen hin. Zuletzt erfolgte Änderungen im Gesetz wie eine Erhöhung des Kohleersatzbonus würden das Erreichen der Klimaziele beschleunigen.

"Es ist ein Riesenerfolg, dass wir einen Kohleausstieg per Gesetz schaffen", bekräftige Matthias Miersch (SPD). Die Politik gestalte mit 40 Milliarden Euro Zukunft, anstatt dies dem Markt zu überlassen. Das Ziel 65 Prozent erneuerbarer Energien bis 2030 werde erstmals gesetzlich festgeschrieben. Er wertete zudem die regelmäßigen Prüftermine als Erfolg, die es möglich machten, Maßnahmen anzupassen. Gleichwohl fange die eigentliche Arbeit jetzt erst an, sagte Miersch unter Verweis auf den notwendigen Ausbau erneuerbarer Energien.

Die Opposition kritisierte vor allem die Gesetze zum Kohleausstieg scharf. Der Ausstieg an sich sei falsch und zu kurzfristig, sagte Tino Chrupalla (AfD). Er plädierte für eine Fristverlängerung bis 2050. Bisher sei kein einziger neuer Arbeitsplatz geschaffen worden, sagte Chrupalla. Seiner Ansicht nach handelt die Politik verantwortlungslos gegenüber Menschen und den Energieversorgern, denn denen fehle Planungssicherheit. Erneut forderte er eine Sonderwirtschaftszone in der Lausitz. Junge Menschen bräuchten eine Bleibeperspektive.

Für die FDP hat die Bundesregierung einen "planwirtschaftlichen Irrgarten" entworfen. "Die Liste an Dingen, die in beiden Gesetzen falsch angegangen wurden, ist endlos", sagte Martin Neumann. Es fehle an Anreizen für privatwirtschaftliche Investitionen, es brauche mehr Wettbewerb emissionsarmer Energieträger, mehr Netzausbau und mehr Digitalisierung. Die Linksfraktion hingegen sah eher eine "Politik für die Konzerne, nicht für die Mehrheit der Menschen in diesem Land". Der Kohleausstieg müsse spätestens 2030 erfolgen, die 20 dreckigsten Kohlemeiler sofort abgestellt werden, forderte Lorenz Gösta Beutin. Außerdem müsse den Konzernen ein Export ihrer Technologie verboten werden. Beutin brachte eine "Vergesellschaftung" dieser Konzerne ins Spiel, sollten diese Politik gegen die Menschen machen.

In den Augen von Grünen-Chefin Annalena Baerbock ist ein "Kohleabsicherungsgesetz" entstanden. Das Gesetz sei an den entscheidenden Stellen so aufgeweicht worden, dass künftigen Regierungen Steine in den Weg gelegt werden, um das Pariser Klimaschutzabkommen zu erfüllen. Sie prangerte darüber hinaus die geplanten Zahlungen an die Kraftwerkskonzerne in Höhe von mehr als vier Milliarden Euro an. Ihre Zustimmung zum Strukturstärkungsgesetz begründete Baerbock damit, dass die Beschäftigten Unterstützung verdienten. Für diesen Gesetzentwurf stimmten im Anschluss CDU/CSU, SPD und Grüne. AfD und FDP stimmten mit Nein, die Linke enthielt sich. Über das Kohleausstiegsgesetz wurde nach zunächst unklaren Mehrheitsverhältnissen per Hammelsprung abgestimmt, es fand eine deutliche Mehrheit. Mehrere Oppositionsanträge zu dem Thema wurden abgelehnt.

Ob damit nun das Ende einer Ära eingeleitet ist oder eher eine neue Streitrunde, wird sich zeigen. Einen Knackpunkt nämlich haben die Abgeordneten auf den Herbst verschoben: Die öffentlich-rechtlichen Verträge, mit denen die Entschädigungen an die Kraftwerkskonzerne beziffert werden sollen. Die Zahlen dürften für weitere Diskussionen sorgen - im Bundestag und in den Straßen darum herum, wo Demonstranten in der vergangenen Woche lautstark und sichtbar protestierten. Ihnen geht der Kohleausstieg nicht schnell genug und sie kritisieren die Vereinbarungen mit Kohle-Konzernen - was Greenpeace-Aktivisten mit einem Verhüllen des Konrad-Adenauer-Haus nahe des Berliner Tiergartens eine Weile tauchten sie die Bundesgeschäftsstelle der CDU in schwarz.