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EUROPA : Verschleppte Reaktion

Für gemeinsame Antworten hat die EU viel Zeit gebraucht. Zunächst dominierten nationale Reflexe

20.07.2020
2023-08-30T12:38:20.7200Z
3 Min

Wann genau hätte die EU merken müssen, was für eine gigantische Herausforderung mit der Corona-Pandemie auf sie zurollt? Als Ende Januar der erste Patient in Frankreich gemeldet wurde? Oder als Italien Ende Februar offiziell Hilfe anfragte, weil Gesichtsmasken und Schutzanzüge zur Neige gingen, dann aber kein einziges EU-Land reagierte? Es vergingen Monate, bis die Union bei der Bekämpfung der Krise eine bessere Figur abgab.

Nationale Reflexe Zunächst dominierten nationale Reflexe. Die Staaten schlossen ohne Absprachen mit den Nachbarn Grenzen und verboten, wie Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU), den Export von Masken und Schutzanzügen, als existiere in der EU kein Binnenmarkt, in dem der Handel mit Gütern ohne Hindernisse fließen soll.

Im Rückblick lassen sich zahlreiche Faktoren erkennen, warum die 27 EU-Staaten so unkoordiniert auf die Pandemie reagierten. So hat die Gemeinschaft im Bereich Gesundheit nur sehr eingeschränkte Kompetenzen. Dort, wo sie weisungsberechtigt ist, etwa beim Binnenmarkt, hat sie das auch getan. Damit wichtige Waren zwischen den Mitgliedstaaten transportiert werden können, wurden diese aufgefordert "Green Lanes" an den Grenzen einzurichten, so dass Lebensmittel nicht im Stau stecken blieben.

Ein weiteres Problem waren fehlende Daten. Ende Januar stufte das Europäische Zentrum für die Prävention und Kontrolle von Krankheiten (ECDC) die Gefahr, dass sich Corona in Europa ausbreiten könnte, noch als "gering" ein, weil sie schlicht nicht über ausreichend Daten verfügte. Das ECDC ist darauf angewiesen, dass die Mitgliedstaaten ihre Daten schicken. Bis heute sind die Corona-Statistiken der EU-Länder nicht vergleichbar. Ein Land wie Belgien hat Tote, ohne zu testen, der Pandemie zugeschlagen. Luxemburg weist hohe Fallzahlen aus, weil dort sehr stark getestet wird.

Nicht zuletzt haben die chinesischen Propaganda-Aktionen die EU gezwungen, besser zu reagieren. Der chinesische Staat und Unternehmen wie der Internetgigant Alibaba lieferten Masken und Schutzanzüge in 23 EU-Länder. Die EU sendete im Rahmen des EU-Katastrophenschutzverfahrens erst Anfang April Ärzte und Pfleger in die stark betroffenen Städte Italiens.

Mitte April empfahl die EU-Kommission zudem, alle nicht unbedingt notwendigen Reisen für einen Monat zu verbieten - die Empfehlung wurde anschließend um einen Monat verlängert. Im Mai legte sie Empfehlungen für die Aufhebungen der Reisebeschränkungen vor. Daraufhin stimmten sich die Mitgliedstaaten bei ihrem Vorgehen wesentlich besser ab.

Im Juni hat die EU-Kommission eine Impfstoffstrategie vorgestellt, die helfen soll, binnen 12 bis 18 Monaten eine Impfung zu entwickeln, um die Pandemie dauerhaft einzudämmen. Zuvor hatte Brüssel auch schon Gelder aus dem Forschungsprogramm Horizon 2020 für die Corona-Forschung freigegeben.

Streit um Aufbauprogramme Weil die Zusammenarbeit im Bereich Gesundheit zunächst so schleppend lief, hat sich Druck aufgebaut, die wirtschaftlichen Folgen von Corona gemeinsam zu bekämpfen. Ein Hilfspaket über 540 Milliarden Euro wurde bereits beschlossen. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Präsident Emmanuel Macron haben Mitte Mai zudem einen Plan für ein Wiederaufbaupakt von weiteren 500 Milliarden Euro vorgelegt. Dabei handelt es sich um einen Paradigmenwechsel, denn die EU soll zum ersten Mal in ihrer Geschichte in großem Stil Schulden aufnehmen, die in Form von Zuschüssen an die EU-Mitgliedstaaten fließen. Der Plan war die Grundlage für den Kommissionsvorschlag, den Präsidentin Ursula von der Leyen Ende Mai vorlegte. Dieser sieht insgesamt 750 Milliarden Euro vor, 250 Milliarden Euro davon als Darlehen.

Noch keine Einigung Über die Details herrscht noch keine Einigkeit. Manche Länder könnten nach den bisherigen Plänen bedeutende Zuschüsse erwarten. Nach den Berechnungen der EU-Kommission würden sich die Hilfen für Kroatien auf über 22 Prozent der Wirtschaftsleistung belaufen, auch Griechenland und Bulgarien können auf hohe Summen hoffen. Weil sie aber nicht unbedingt den Grad der Betroffenheit widerspiegeln, sind noch Auseinandersetzungen zwischen den EU-Mitgliedstaaten zu erwarten. Bei Redaktionsschluss dauerte der EU-Gipfel, der sich mit diesem Thema befasst, noch an.

Die Autorin ist Korrespondentin der Wirtschaftswoche in Brüssel.