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Verteidigung : Prinzip Ikea

Wehrbeauftrager Bartels warnt vor Scheitern der »Trendwenden« und fordert Reformen

03.02.2020
2023-08-30T12:38:12.7200Z
3 Min

Aussuchen, bezahlen und mitnehmen!" So stellt sich Hans-Peter Bartels, Wehrbeauftragter des Bundestages, das Beschaffungswesen der Zukunft für einen Teil der Bundeswehr-Ausrüstung vor. "Das meiste, was unsere Streitkräfte brauchen, vom Rucksack bis zum leichten Verbindungshubschrauber, muss nicht immer wieder erst in umständlichen, funktionalen Fähigkeitsforderungen abstrakt definiert, dann europaweit ausgeschrieben, neu erfunden, vergeben, getestet, zertifiziert und schließlich in kleinen Tranchen über 15 Jahre hinweg in die Bundeswehr eingeführt werden", forderte Bartels in der vergangenen Woche anlässlich der Präsentation seines Jahresberichts 2019 (19/16500). Er nennt seinen Vorschlag das "Ikea-Prinzip". Die vom Verteidigungsministerium präferierte "Design-Lösung" sollte hingegen auf die Beschaffung der modernsten Technik vom neuen Kampfpanzer bis zur Raketenabwehr beschränkt werden. "Ein solcher dualer Beschaffungsweg zwischen Ikea oder Design könnte Zeit, Geld und Personal sparen, die Vollausstattung beschleunigen und die Nerven der Soldatinnen und Soldaten schonen", argumentierte der Wehrbeauftragte.

Material und Personal Um die Nerven der rund 184.000 Uniformierten scheint es ebenso schlecht bestellt zu sein wie um ihre Ausrüstung. Denn in der Truppe seien die von der ehemaligen Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen (CDU) eingeleiteten "Trendwenden" bei Material und Personal trotz steigender Verteidigungsausgaben "überwiegend noch nicht spürbar". Zwar sei der Verteidigungshaushalt seit 2014 kontinuierlich von 32,4 auf aktuell 45,1 Milliarden Euro gestiegen, trotzdem habe sich die Einsatzbereitschaft bei den Hauptwaffensystemen auch 2019 nicht deutlich verbessert. Ein Grund dafür sei, dass im vergangenen Jahr Haushaltsmittel in Höhe von 1,1 Milliarden Euro für Beschaffungen nicht wie geplant ausgegeben werden konnten wegen Verzögerungen bei Rüstungsprojekten wie dem Schützenpanzer "Puma", dem gepanzerten Transportfahrzeug "Boxer" oder der Fregatte 125.

Es fehlt nicht nur an rollendem, schwimmendem und fliegendem Gerät, sondern auch an Personal - vor allem an höher qualifiziertem. So blieben Ende 2019 rund 21.000 Dienstposten von Offizieren und Unteroffizieren unbesetzt. Aber auch im Mannschaftsbereich fehlten 2.100 Soldaten. Eine Besserung der angespannten Personalsituation ist nicht in Sicht. Zwar sei die Zahl der Bewerber leicht um 900 auf 53.100 im vergangenen Jahr gestiegen, doch seien bei Weitem nicht alle Bewerber geeignet. So verharrte die Zahl der neu eingestellten Soldaten auch 2019 auf dem "Allzeittief" von etwas mehr als 20.000, rechnet Bartels in seinem Bericht vor.

Der Personalmangel ist jedoch kein reines Zahlenspiel, sondern belastet ganz real den Alltag in der Truppe und auch das Privatleben der Soldaten. "Wenn Personallücken im Auslandseinsatz durch die immer wieder gleichen Spezialisten gefüllt werden und die Einsatzstehzeit im Heer schon wieder bei sechs Monaten liegt, dann geht das eindeutig zu Lasten der Vereinbarkeit von Dienst und Privatleben", moniert Bartels. Die Truppe sei es zwar gewohnt, geduldig zu sein, aber sie müsse nun seit Jahren bereits die Aufgaben erfüllen, für die sie erst im Jahr 2031 vollständig aufgestellt und ausgerüstet sein soll.

So warnt Bartels denn auch vor einem Scheitern der sogenannten "Trendwenden". Umso wichtiger seien Reformen im Innern der Streitkräfte. Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU) fordert er in seinem Bericht auf, die Ergebnisse aus dem von ihrer Amtsvorgängerin aufgelegten Programm "Innere Führung - heute" endlich offenzulegen. Im Rahmen dieses Programms seien unter "vorbildlicher Einbeziehung" von Soldaten aller Organisationsbereiche und Dienstgradgruppen Vorschläge für innere Strukturreformen erarbeitet worden. Doch selbst die Existenz eines noch nicht von der Leitung gebilligten Abschlussberichts werde vom Ministerium bestritten - "auch auf ausdrückliche Nachfrage zum Ende des Berichtsjahres hin", kritisiert der Wehrbeauftragte.

Zweite Amtszeit? Bei so viel unverhohlener Kritik überrascht es nicht, dass längst auch eine Diskussion über eine Wiederwahl Bartels entbrannt ist, dessen Amtszeit im Mai regulär nach fünf Jahren endet. Bereits Anfang des Jahres hatte der Sozialdemokrat keinen Hehl daraus gemacht, dass er erneut zur Verfügung stehen würde. Selbst aus den Reihen der Opposition gibt es Signale, dass sie Bartels wählen würde. Doch innerhalb der Regierungskoalition ist dies keine ausgemachte Sache. So stellte der verteidigungspolitische Sprecher der Union, Henning Otte (CDU), ganz offen die Praxis, dass der Wehrbeauftragte traditionell von dem Koalitionspartner gestellt wird, der nicht das Verteidigungsministerium führt, in Frage. Diese Auffassung sei "ohne Rechtsgrundlage und zu sehr parteipolitisch ausgerichtet", sagte Otte. Tobias Lindner, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen, konterte, der Wehrbeauftragte sei "unabhängig und überparteilich". Es sei zu hoffen, dass die Große Koalition bei der anstehenden Wahl das Amt "nicht durch parteipolitische Machtspielchen beschädigt".