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EDITORIAL : Dialektik des Denkmals

04.01.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
2 Min

In Berlin gibt es auf Bezirksebene eine Initiative, die sich für eine öffentliche Diskussion über den sogenannten Generalszug einsetzt: Stein das Anstoßes sind eine Reihe von Straßen und Plätzen, die nach preußischen Generälen und Schlachtfeldern der Befreiungskriege gegen Napoleon benannt sind, darunter zum Beispiel die Yorck- und die Gneisenaustraße und der Blücherplatz. Sollte man dieser Akteure nach mehr als 200 Jahren noch gedenken - zumal angesichts der europäischen Einigung und der Aussöhnung der ehemaligen "Erbfeinde" Deutschland und Frankreich? Und ist solcherart Gedenken an Kriege überhaupt noch zeitgemäß?

Seither gibt es eine kontroverse Diskussion, die wie unter einem Brennglas zeigt, wie schwierig der Umgang mit dem Thema Nation sein kann. Die Entstehung des deutschen Nationalstaats ist ambivalent, steckt voller Widersprüche: Für die einen führt das Gedenken an die Befreiungskriege ins Herz der Nationenbildung. In ihnen kumulierte ein Nationen-Bewusstsein über die damaligen Grenzen deutscher Kleinstaaterei hinweg. Erst die Niederlage Napoleons beflügelte die deutschen Reformer, die an Bürger appellieren wollten und nicht mehr an Untertanen. Mit dem Namen Gneisenau verbindet sich zum Beispiel eine Heeresreform als Teil jener preußischen Reformen, die den Grundstein für ein aufgeklärtes, fortschrittliches Industrieland legten.

Es gibt auch eine andere Lesart, die in der damaligen Zeit Ausgangspunkte für teils fürchterliche Fehlentwicklungen deutscher Geschichte sucht und findet: Eine Überbetonung des Militärischen, das anti-französische Ressentiment, der später entstandene und preußisch geprägte kaiserliche Obrigkeitsstaat, von dessen Untertanengeist - Stichwort "Kadavergehorsam" - man einen Bogen bis zur nationalsozialistischen Schreckensherrschaft im 20. Jahrhundert ziehen könne.

Wie die Diskussion im Berlin der Gegenwart ausgeht, bleibt vorerst offen. Nicht vorbei kommt man in ihr aber an einer Kniffligkeit, die sich als Dialektik des Denkmalsturzes bezeichnen lässt: Man sollte von jedem Denkmal so viel übrig lassen, dass die Nachwelt erkennen kann, warum es eines Sturzes wert gewesen ist.