Piwik Webtracking Image

FORSCHUNG : »Panikmache«

Die AfD bezichtigt das Innenministerium eine Corona-Studie politischen manipuliert zu haben

15.02.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
4 Min

Wie wir Covid-19 unter Kontrolle bringen", lautet der eher unverdächtige Titel eines 17-seitigen Papiers des Bundesinnenministeriums vom März 2020, das in der vergangenen Woche zumindest kurzfristig für einigen Wirbel sorgte. Für die AfD-Fraktion ist es nämlich der Beweis dafür, dass die Corona-Pandemie wohl doch nicht so gefährlich ist beziehungsweise ihre Gefährlichkeit mit Hilfe willfähriger Wissenschaftler vorsätzlich suggeriert wurde, um all die Corona-Maßnahmen zu ergreifen, die die AfD als unstatthafte Eingriffe in die Grundrechte ansieht. Anlass genug für die Fraktion, um im Bundestag am vergangenen Donnerstag eine Aktuelle Stunde zum Thema "Neutralität der Wissenschaft" zu beantragen. Einen Tag zuvor hatte sich bereits der Innenausschuss mit der Sache befasst.

Im besagten Papier entwarfen Wissenschaftler im Auftrag des Ministeriums verschiedene Szenarien zum Verlauf der Corona-Pandemie. Dazu gehört auch das "Worst Case"-Szenario einer ungehemmten Durchseuchung der Bevölkerung mit bis zu einer Million Toten. Um dies zu verhindern, müssten der Bevölkerung die Konsequenzen dieses schlimmsten Falles deutlich vor Augen geführt werden. Auch, um die "die Akzeptanz und Sinnhaftigkeit von freiheitsbeschränkenden Maßnahmen" zu erhöhen, heißt es ganz offen.

Ausgelöst hatte die Debatte um das Papier ein Artikel in der "Welt am Sonntag". Diese berichtete unter Berufung auf den E-Mail-Verkehr zwischen dem Innenministerium und den Autoren des Papiers, dass das Ministerium ein Szenario bestellt habe, um "Maßnahmen präventiver und repressiver Natur" planen zu können.

Erhellende Informationen für den Zuhörer beförderte die hitzige Debatte allerdings nur wenige. Aber sie gab erneut einen tiefen Einblick in die grundlegend vergiftete Atmosphäre zwischen der AfD und allen anderen Fraktionen im Bundestag.

Den Auftakt im verbalen Schlagabtausch machte für die AfD machte deren Innenpolitiker Gottfried Curio. Ziel der Studie sei "eine Schockwirkung mit einem Horrorszenario", um die Menschen in Panik zu versetzen. Die Regierung habe nicht nach wissenschaftlichen Erkenntnissen gefragt, sondern eine Legitimierung für repressive Maßnahmen regelrecht bestellt. Ungeachtet des Umstandes, dass die AfD in den östlichen Bundesländern die größte Unterstützung von Seiten der Wähler erfährt, mochte Curio nicht auf den Hinweis verzichten, dass Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), die in der Corona-Pandemie die Grundrechte "mithilfe eines nicht verfassungsgemäßen Nebenparlaments" - gemeint ist offenbar die Ministerpräsidentenkonferenz - abgeschafft hat, "bekanntlich in einer Diktatur politisch sozialisiert" worden sei.

Vorwurf der Heuchelei Das Echo aus den Reihen der übrigen Fraktionen war einhellig: Die AfD sei die eigentlich "wissenschaftsfeindliche Partei", die Befunde der Wissenschaft stets ignoriere, wenn sie ihr politisch nicht zusagten. Insofern sei ihre Sorge um die Neutralität der Wissenschaft "Heuchelei", attestierte der Grünen-Bildungspolitiker Kai Gehring. Die AfD fordere die Abschaffung ganzer Disziplinen, Fakultäten und Institute, weil ihr Klimaforschung, Rassismusforschung, Geschichts- und Genderforschung "unbequem" seien.

In diesem Sinne argumentierte auch der sozialdemokratische Bildungspolitiker Karamba Diaby: Ausgerechnet eine Partei, die "engen Kontakt zu Verschwörungstheoretikern pflegt und ihnen sogar Zugang zu diesem Haus verschafft hat", wolle den Eindruck erwecken, die Wissenschaftsfreiheit zu schützen. Die AfD betreibe einen "intellektuellen Lockdown".

Die Parlamentarische Geschäftsführerin der Linksfraktion, Petra Sitte, legte verbal nach: Die AfD, "dieses verhinderte Kompetenzzentrum", verfahre stets nach dem gleichen Schema: "Wenn die Wissenschaft unsere Sicht der Dinge nicht teilt, dann kann das nur daran liegen, dass sie korrupt ist oder von bösen Mächten finanziert wird." Nicht Virologen setzten die Welt in Angst und Schrecken, sondern die AfD "und der Rest der Verschwörungstheoretiker", ängstige "das mulmige Gefühl, dass Bill Gates, Professor Drosten und dunkle Mächte das Ende der Welt herbeiführen wollen". Wenn es nicht so "verdammt ernst" wäre, käme "man aus dem Lachen nicht mehr raus", befand Sitte.

Die CDU-Bildungspolitikerin Astrid Mannes nannte weitere Beispiele: "Wir kennen das von der AfD: Vorwürfe gegen Lehrer, sie würden politisch einseitig die Schüler indoktrinieren, und als Reaktion darauf das Einrichten von Lehrermeldeportalen." Und weiter: "Der AfD-Landtagsabgeordnete Stefan Räpple hat eine Meldeplattform eingerichtet und Studierende dazu aufgefordert, AfD-kritische Professoren zu melden." Ausgerechnet von der AfD werde jetzt suggeriert, die Wissenschaft werde durch die Politik der Bundesregierung beeinflusst und unter Druck gesetzt, stellte Mannes fest. In der Sitzung des Bildungs- und Forschungsausschusses habe der Präsident der Deutschen Akademie der Naturforscher Leopoldina, Gerald Gaug, bestätigt, "dass die Wissenschaft unabhängig und von der Politik beziehungsweise der Regierung unbeeinflusst arbeitet", führte die Christdemokratin aus.

Forderung nach Transparenz Auch der FDP-Bildungspolitiker Thomas Sattelberger ging hart ins Gericht mit der AfD. Deren "demagogischen Versuche" seien so "niederträchtig wie durchsichtig". So ganz wohl war dem Liberalen nach der Lektüre des "Welt am Sonntag"-Artikels aber auch nicht: Es gebe "Anlass zur Sorge", was über das Gebaren von Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) und seines Staatssekretärs Markus Kerber zu lesen sei. Deshalb solle das Ministerium den kompletten E-Mail-Verkehr "ungeschwärzt offenlegen". Nur so ließen sich die Vorwürfe entkräften.

Ob das Bundesinnenministerium der Aufforderung Sattelbergers nachkommen wird, bleibt abzuwarten. Die besagte Studie des Ministeriums ist allerdings für jedermann auf deren Homepage nachzulesen.