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EDITORIAL : Eine Frage des Timings

15.02.2021
2023-11-13T09:51:14.3600Z
2 Min

Es wird oft gesagt und es stimmt ja auch: Krisen sind die Stunde der Exekutive. Die Frage, die sich nach mittlerweile einem Jahr Corona-Pandemie stellt, ist aber mehr und mehr, wie großzügig man die Zeiteinheit fürs Krisenmanagement bereit ist zu bemessen - ob also die Stunde sehr lang ausfallen darf oder nur sehr kurz. Für die einen läuft die Uhr weiter - und sie verweisen zum Beispiel auf unwägbare und womöglich kreuzgefährliche Virusmutationen. Für andere ist die Zeit der Exekutive hingegen abgelaufen: Massive Grundrechtseingriffe jedenfalls ließen sich nicht mehr mit immer neuen Hinterzimmer-Runden von Bundeskanzlerin und Länderchefs rechtfertigen.

Die Opposition hat in der vergangenen Woche erneut die aus ihrer Sicht mangelnde Parlamentsbeteiligung beim Corona-Management kritisiert. Wenn man einen Blick auf das Timing wirft, kann man es ihr nicht verdenken: Die Bundeskanzlerin erklärte sich am vergangenen Donnerstag im Plenum erst, nachdem die Würfel am Vortag gefallen waren und sie und die Ministerpräsidenten eine weitgehende Verlängerung des Lockdowns bereits verkündet hatten.

Wenn nun manch ein Zeitgenosse aber meint, aus solchen Spannungen zwischen Exekutive und Legislative ableiten zu müssen, Deutschland sei auf dem Weg in eine "Corona-Diktatur", ist das ein vollkommen unverhältnismäßiger Vorwurf. Es ist der Bundestag, der auf gesetzlicher Grundlage eine epidemische Lage nationaler Tragweite festgestellt hat und der diese Feststellung jederzeit widerrufen kann. Der Vorwurf übergeht auch eine ganze Reihe von Gerichtsurteilen, die so manches von der Exekutive ersonnene Instrument gegen die Corona-Ausbreitung revidiert haben.

Mehr denn je zeigt sich beim schleppenden Impfstart aber, dass wechselseitige Schuldzuweisungen zwischen Bund und Ländern wenig vertrauensfördend sind. Beide Ebenen sind gefordert: Gebraucht werden neben mehr Impfstoff eine bessere Terminvergabe für das Impfen, mehr Schnelltests, ein noch gezielterer Schutz von Hochrisikogruppen, die gemeinsame Software der Gesundheitsämter zur Kontaktnachverfolgung. Immer wieder im Gespräch ist außerdem die Änderung der Impfreihenfolge. Nicht nur Teile der Opposition, auch Verfassungsrechtler sehen in dieser Frage die Stunde der Legislative gekommen. Wegen der besonderen Grundrechtsrelevanz mahnen sie ein Gesetz für das Impfprogramm an.