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Foto: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt
In den vergangenen Tagen wurden bundesweit vermehrt Politiker, Wahlkämpfer und Ehrenamtliche bedroht und angegriffen. Die Innenminister fordern neue Konzepte zum Schutz der Demokratie.

Angriffe und Einschüchterung : Gewalt überschattet den Europa-Wahlkampf

Einen Monat vor der Europawahl ruft das EU-Parlament mit einem bewegendem Film zur Wahl auf. In Deutschland überschattet Gewalt gegen Politiker den Europa-Wahlkampf.

08.05.2024
2024-05-13T15:51:02.7200Z
3 Min

„Erinnere dich immer daran, dass es Freiheit und Demokratie nicht immer gab“ - mit fester Stimme erzählt eine der Protagonistinnen der aktuellen Wahlkampagne des Europaparlamentes ihrer Enkeltochter, wie sie Europa schon ganz anders erlebt hat. In der ehemaligen Tschechoslowakei, vor dem 17. November 1989, als zehntausende Studenten in Prag gegen die kommunistische Staatsführung protestierten. Wenige Tage nach dem Fall der Berliner Mauer war das auch dort die Initialzündung des Umbruchs, die sowohl Tschechien als auch die Slowakei bis hin zum EU-Beitritt vor fast genau 20 Jahren führte.

Botschaft für die Enkelkinder: Wählen ist keine Selbstverständlichkeit

„Eine Nachricht für mein Enkelkind. Und für den Rest von Europa“, so lautet das der derzeit in 33 Sprachen auf dem Youtube-Kanal des Europäischen Parlaments läuft. Überschrieben mit dem Titel „Nutze deine Stimme. Sonst entscheiden andere für dich“ will der Clip für die zweitgrößte demokratische Wahl der Welt nach der Parlamentswahl in Indien werben.

In Europa können rund 373 Millionen Menschen vom 6. bis 9. Juni ihre Stimme abgeben, um das neue Europäische Parlament zu wählen. Der Wahltag ist in Deutschland traditionell ein Sonntag, diesmal also am 9. Juni. Rund 65 Millionen Menschen sind hier wahlberechtigt. Erstmals bei einer bundesweiten Wahl werden auch Jugendliche wählen dürfen, denn der Bundestag hat das Wahlalter für Europawahlen auf 16 Jahre abgesenkt. Die Generation der Enkel hatte in Deutschland noch nie so viel Mitbestimmungsrecht.

Tätliche Angriffe im Wahlkampf häufen sich

Der Europawahlkampf der Parteien wird dabei aktuell von Berichten über Gewalt gegen Wahlkampfhelfer und Politiker allgemein überschattet. Der Berliner Wirtschaftssenatorin und ehemaligen Regierenden Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) wurde in Berlin in einer Bibliothek ein harter Gegenstand auf den Kopf geschlagen. Katrin Göring-Eckardt (Grüne), die Vizepräsidentin des Deutschen Bundestages, wurde in Brandenburg in ihrem Auto von Angreifern umringt. In Essen wurde einem Bürgermeister auf offener Straße ins Gesicht geschlagen. SPD-Europa-Spitzenkandidat Matthias Ecke wurde in Dresden von mehreren Angreifern so schwer verprügelt, dass er mit Knochenfrakturen im Gesicht umgehend operiert werden musste. Berichte über Politikerinnen und Politiker, die bei öffentlichen Auftritten bedrängt, beleidigt oder bedroht werden, gibt es beinahe täglich.

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Betroffen sind dabei auch viele ehrenamtliche Wahlkampfhelfer. Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) empfiehlt mittlerweile „vorsichtig zu sein, nicht allein die Plakate zu hängen, vor allem nicht in den Abend- oder Nachtstunden". Das sei bedauerlich, weil damit bereits ein Ziel von Angreifern erreicht werde, nämlich Einschüchterung, sagte Maier der Deutschen Presse-Agentur. Georg Maier ist in Thüringen auch SPD-Chef und deren Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 1. September.

Pistorius: "Dann stirbt die Demokratie von unten"

Auch viele andere Spitzenpolitiker verurteilen die Gewalt im Wahlkampf. Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) sagte in einer Rede beim traditionsreichen Überseetag in Hamburg: „Wenn sich Kommunalpolitikerinnen und Kommunalpolitiker – und das gilt gleichermaßen für Abgeordnete in den Landtagen, im Deutschen Bundestag und im Europaparlament – nicht mehr trauen zu kandidieren, sich nicht mehr trauen Plakate aufzuhängen oder Wahlkampfveranstaltungen aufzusuchen, dann stirbt Demokratie von unten“. Der Vorsitzende der CDU/CSU-Fraktion, Friedrich Merz, forderte auf dem derzeit stattfindenden CDU-Bundesparteitag ein entschiedenes Eintreten gegen Hass, Gewalt und Extremismus in der Gesellschaft. Das betreffe auch die Behinderung und Nötigung von Politikern, ganz gleich welcher Partei sie angehörten. Übergriffe wie beim Plakateaufhängen in Dresden seien vollkommen inakzeptabel und Angriffe auf die Demokratie insgesamt.

Die EU-Kampagne zur Wahl wirkt bei solchen Aussagen und Berichten erschreckend vorausschauend. Im Kurzfilm des EU-Parlamentes mahnt die Zeitzeugin mit Blick auf Freiheit und Demokratie, „dass wir sie sehr leicht verlieren können“. Das Wesen der Demokratie bringt im Film eine Überlebende des Zweiten Weltkrieges für ihren Enkel auf den Punkt: „Hört einander zu.“