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Demokratische Republik Kongo : Banden, Milizen und Soldaten treiben Millionen in die Flucht

Schwere Kämpfe mit Massakern an der Zivilbevölkerung haben binnen einer Woche 72.000 Menschen in die Flucht getrieben.

14.08.2023
2024-02-26T14:39:42.3600Z
4 Min

Im Osten der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) hält Gewalt gegen die Zivilbevölkerung seit fast 30 Jahren an. Ebenso beständig sind die erfolglosen Versuche der Menschen, sich vor marodierenden Banden, schwer bewaffneten Milizen und Soldaten der kongolesischen Armee durch Flucht in Sicherheit zu bringen. Derzeit sind in keinem afrikanischen Land so viele Menschen auf der Flucht wie in der DR Kongo, laut dem UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) 6,3 Millionen.

Foto: picture-alliance/Xinhua News Agency/N. Kajoba

Der Kongo hat die meisten Binnenflüchtlinge der Welt.

Die Gewalt, vor der die Menschen fliehen, ist in vielen Fällen derart grausam, dass sie im Rahmen eines Zeitungsbeitrags kaum zu beschreiben ist. Menschen werden verstümmelt, verbrannt, Frauen durch sexualisierte Gewalt physisch zerstört oder gar getötet. Besonders extrem ist die Gewalt, der die Menschen ausgesetzt sind, in der rohstoffreichen Provinz Ituri, einer der drei besonders unruhigen Provinzen im Osten. Allein dort waren laut UNHCR 1,5 Millionen Menschen gezwungen, ihr Zuhause zu verlassen.

Hilfsbereitschaft in der Bevölkerung ist groß

Angesichts der hohen Vertriebenenzahlen gibt es in der DR Kongo erstaunlich wenige der riesigen Zeltstädte, die aus anderen Krisenregionen bekannt sind. Einer der Gründe: Tausende Notleidende werden von ihnen wildfremden Menschen aufgenommen. Viele der Gastgebenden haben selbst kaum genug zum Überleben. Trotzdem teilen sie das Wenige.

Ein weiterer Grund: Die vergleichsweise geordneten, riesigen Lager sind in der Regel Flüchtlingscamps und keine Vertriebenenlager. Der Unterschied: "Flüchtling" im offiziellen Sinn ist nur, wer eine Landesgrenze überquert hat. "Vertriebene" sind innerhalb der Grenzen ihres Heimatlandes geblieben. Während Flüchtlinge durch internationale Abkommen geschützt sind, ist für die Binnenvertriebenen der Heimatstaat zuständig. Der kongolesische Staat hat aber weder die finanziellen noch die logistischen Kapazitäten, allen Vertriebenen Schutz zur Verfügung zu stellen. Zunehmend springt das UNHCR ein, ist aber personell und finanziell ebenfalls nicht in der Lage, die Vertriebenen ausreichend mit Nahrung und Unterkünften zu versorgen.

Lager mit Notunterkünften sind völlig überfüllt

Wer nicht das große Glück hat, privat von einer Familie aufgenommen zu werden, haust daher in völlig überfüllten Lagern in selbstgebauten Notunterkünften aus Materialien wie Ästen, Plastikplanen, Kleidungsstücken. Meist gibt es nicht genug sauberes Wasser zum Trinken und für die Körperhygiene, Lebensmittel sind außerdem knapp. Häufig sind die Menschen nicht einmal in Camps vor Angriffen sicher, die offiziell als Vertriebenenlager ausgewiesen sind. Eins von vielen Beispielen: Mitte Juni 2023 griffen Mitglieder einer Miliz ein Lager für Binnenflüchtlinge in Ituri an. Nach Angaben der örtlichen Behörden tötete die Gruppe mehr als 45 Menschen. Wie die Behörden mitteilten, seien die Menschen zumeist mit Messern und Schusswaffen getötet worden. Einige der Toten sollen enthauptet und verbrannt worden sein, sagte ein Sprecher des Roten Kreuzes. Für die Tat übernahm zunächst keine Gruppe die Verantwortung. Die Behörden und Vertreter des Roten Kreuzes machten eine Miliz namens "Kooperative für die Entwicklung Kongos" (CODECO) verantwortlich. Die Miliz gilt als gewalttätigste Gruppierung in der Provinz Ituri und wird für zahlreiche Angriffe verantwortlich gemacht. Sie wird als bewaffnete politisch-religiöse Sekte eingestuft, hat aber auch wirtschaftliche Interessen: Es geht um den Zugang zu Land und Einnahmequellen. Nach eigenen Angaben hingegen verteidigt die CODECO die Interessen der Volksgruppe der Lendu, deren Mitglieder meist als Ackerbauern leben.

Rohstoffreiche Provinzen

Neben der CODECO gibt es in Ituri und den anderen Provinzen im Osten des Kongo dutzende weitere Milizen. Die Zahl der bewaffneten Gruppen ändert sich durch Abspaltungen und Zersplitterungen ständig. Das Global Center for the Responsibility to Protect mit Sitz in Genf schätzte die Zahl im Mai auf 120. Eine weitere, seit einem guten Jahr wieder besonders aktive Gruppe ist die so genannte M23. Ende Mai 2022 sind in Nord-Kivu an verschiedenen Fronten Kämpfe zwischen der kongolesischen Armee und der M23 ausgebrochen - nachdem ein brüchiger Waffenstillstand immerhin zehn Jahre lang gehalten hatte. Die DR Kongo und die UNO beschuldigen Ruanda, die M23 zu unterstützen, was die ruandische Regierung jedoch bestreitet. Die Miliz ist 2012 aus einer anderen bewaffneten Gruppe hervorgegangen, die ebenfalls vom östlichen Nachbarn unterstützt wurde. Nach ruandischer Darstellung verfolgt das Land im Kongo bis heute Sicherheitsinteressen. Hintergrund ist die Tatsache, dass die Täter des Völkermords von 1994 in Ruanda, bei dem binnen weniger Tage mindestens 800.000 Menschen ermordet wurden, in den Kongo, das damalige Zaire, geflohen sind. Reste der "Forces Démocratiques de Libération du Rwanda"-Hutu-Miliz haben sich bis heute im Kongo verschanzt. Zweitens beteiligt sich Ruanda, von den UN hinreichend dokumentiert, an der Ausbeutung der Bodenschätze im Ostkongo und will seinen Einfluss verteidigen.

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Der Reichtum des Kongo gilt als einer der wichtigsten Gründe für die anhaltende Gewalt: Die Unruhe-Provinzen Ituri, Nord- und Südkivu sind reich an Bodenschätzen, darunter Gold und Coltan. Letzteres wird für den Bau von Smartphones, Computern und fast allen elektronischen Geräten gebraucht. Die Milizen kämpfen um Macht, politischen Einfluss und Zugang zu Bodenschätzen. Etliche Milizen sind ethnisch organisiert, es geht bei den Kämpfen auch um Landkonflikte mit benachbarten Volksgruppen. Der Staat hat sein Gewaltmonopol bereits vor Jahrzehnten verloren, er kann - oder will - die Bevölkerung längst nicht mehr schützen.

Die Autorin ist freie Journalistin und lebt in Nairobi, Kenia.