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Ein sechs Meter hoher Zaun zwischen Marokko und Spaniens EU-Enklave Ceuta soll Migranten aus Afrika an der Einreise hindern.

Abwehr von Migranten : Zahl der festen Grenzanlagen hat sich global verfünffacht

Weltweit sollen Mauern und Grenzen auf einer Gesamtlänge von 26.000 Kilometern Zuwanderer fern halten. Abschottung liegt im Trend, auch bei uns in Europa.

14.08.2023
2024-02-26T14:38:43.3600Z
5 Min

Kein Tag der vergangenen 75 Jahre ist wohl so im deutschen Gedächtnis verankert wie der 9. November 1989. Der Fall der Berliner Mauer machte die deutsche Einheit möglich und beendete jahrzehntelange Blockbildung. Kein Wunder, dass er über eine Symbolkraft verfügt, die sich bei jedem Jubiläum aufs Neue manifestiert. "Keine Mauer, die Menschen ausgrenzt und Freiheit begrenzt", so sagte es Bundeskanzlerin Angela Merkel zum 30. Jahrestag, "ist so hoch oder so breit, dass sie nicht doch durchbrochen werden kann."

Grenzzäune als Zeugnis eines verschlechterten Verhältnisses zwischen den Staaten

Blickt man über Deutschland hinaus, entbehrt der Satz nicht einer gewissen Ironie: An den Außengrenzen der Europäischen Union sollen immer mehr Mauern den Zweck erfüllen, nicht durchbrochen zu werden. Schon 2019 zählte das Transnational Institute in Amsterdam nahezu tausend Kilometer Mauern oder ähnlich unüberwindbare Grenzen in Europa - von einem doppelreihigen Zaun an der griechisch-mazedonischen Grenze über einen dreireihigen, mit Klingen bewehrten Zaun um die spanische Exklave Ceuta bis zum Stacheldraht zwischen den baltischen Staaten, Russland und Belarus. Seither sind einige wuchtige Grenzzäune unter anderem in Richtung Belarus und Russland hinzugekommen. Sie sollen Zuwanderung unterbinden, zeugen aber auch von dem sich massiv verschlechterten Verhältnis zwischen den Staaten.


„Die Mauern sagen viel aus über die tiefgreifende Spaltung und Instabilität innerhalb der Europäischen Union und innerhalb der Mitgliedstaaten selbst.“
Tim Marshall, Autor des Buches „Abschottung. Die neue Macht der Mauern“

Auch global kann von einem Trend zum Mauerabbau keine Rede sein: Das an der Berliner Humboldt-Universität ansässige Projekt "Die Grenzen der Welt" beschreibt für 2018 fünfmal so viele "Barriere- oder fortifizierte Grenzen" wie 1989, nämlich 70, Gesamtlänge 26.000 Kilometer. Einige, wie die Sperranlagen zwischen Israel und dem Westjordanland, kommen einem schnell in den Sinn; andere nicht: etwa die Mauer aus Sand und Stein, mit der sich Marokko in der Westsahara vor Polisario-Rebellen aus Algerien schützt. Oder der elektrifizierte Zaun plus fünf Meter tiefem Graben zwischen Kuwait und dem Irak. Auch dass Indien von Pakistan und Bangladesch auf mehreren tausend Kilometern durch bis zu drei Meter hohe Barrieren getrennt ist, ist hierzulande eher unbekannt; ebenso, dass sich auch innerhalb Afrikas reiche Staaten - Südafrika, Botswana und Simbabwe - gegen unerwünschte Migranten abschotten.

Zaun trennt Erzfeinde Griechenland und Türkei

Eine wichtige EU-Außengrenze ist bis heute die 1963 in Zypern erbaute 180 Kilometer lange Grenzanlage zwischen den Erzfeinden Griechenland und Türkei. Mitten durch die Hauptstadt der Republik führt die Pufferzone - teils als Barrikade aus alten Ölfässern. Doch Nikosia ist nicht die einzige geteilte Stadt in Europa. In Nordirland, und dort vor allem in Belfast, stehen noch an die hundert bis zu zwölf Meter hohe Mauern, die auch mehr als 25 Jahre nach dem Friedensabkommen verhindern sollen, dass königstreue Unionisten und Anhänger der Irischen Republik aneinander geraten. Die berühmteste dieser "Friedensmauern" trennt auf einer Länge von fast vier Kilometern die Shankill Road und die Falls Road in Belfast. Sie ist 1,3 Meter tief im Boden verankert und wurde zuletzt 1999 nach dem Karfreitagsabkommen noch einmal erhöht. Bis heute werden die Tore der Verbindungsstraßen über Nacht geschlossen.

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Eine Barrikade aus Ölfässern zieht sich mitten durch die zypriotische Hauptstadt Nikosia und teilt dort den griechischen und den türkischen Teil der Insel.

Politisch konnte zuletzt niemand so viel Kapital aus einer Mauer schlagen wie Donald Trump. "A big beautiful wall" (eine "große schöne Mauer") versprach der spätere US-Präsident im Wahlkampf 2016 wieder und wieder - dabei gehörte die Grenze zwischen den USA und Mexiko schon da zu den am besten gesicherten der Welt (siehe auch Seite 9).

Ein "symbolischer, theatralischer Akt" sei die Ankündigung gewesen, konstatierte die Politikwissenschaftlerin Wendy Brown in einem Gespräch an ihrer Universität in Berkeley - natürlich wisse der nunmehr gewählte Präsident, dass eine solche Mauer weder sicherheitstechnisch noch ökonomisch von Bedeutung sei. Stattdessen sei sie von hohem politischen Wert für das Selbstbild der USA. Brown: "Der Ruf 'Haltet Sie fern' dämonisiert das Draußen, heiligt das Drinnen." Für Europa beschreibt der britische Journalist Tim Marshall in seinem Buch "Abschottung. Die neue Macht der Mauern" einen ähnlichen Zweck: All die neuen Mauern sagten auch etwas über die Spaltung und Instabilität innerhalb der EU und ihrer Mitgliedstaaten aus.

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Jedoch geht es in den USA wie in Europa auch tatsächlich um das Fernhalten unerwünschter Menschen. Dabei ist zunehmend der Trend erkennbar, die eigenen Grenzen ins Ausland zu verlagern. In Mexiko, das im Auftrag der USA auch seine südliche Grenze bewacht, bietet sich dasselbe Bild wie in immer mehr afrikanischen Staaten. Und auch das jüngst verabschiedete Abkommen mit Tunesien ist ein aktuelles Beispiel dafür, wie die EU Visaerleichterungen mit der Erwartung verknüpft, dass die jeweiligen Staaten bei der Abwehr illegaler Migration mithelfen.

Die ersten derartigen "privilegierten Partnerschaften" wurden schon vor rund 20 Jahren geknüpft, oft mit Ländern, die von demokratischen Zuständen weit entfernt sind. "Diktatoren als Türsteher Europas" - unter diesem Titel fassten der taz-Redakteur Christian Jakob und die in Uganda lebende Korrespondentin Simone Schlindwein 2017 in einem Buch zusammen, was die EU den Partnerstaaten liefert: Zäune, Überwachungsradars, Fingerabdrucksysteme, Navigationsgeräte. Auch die Bundesregierung ist dabei. Im Jahr 2015 antwortete sie auf eine Linken-Anfrage, sie habe Burkina Faso, Niger und Mali im Rahmen des "African Union Border Programmes" unter anderem Geländewagen, GPS-Geräte zur Grenzvermessung sowie Baumaterial zur Errichtung von Grenzsteinen und Versorgungsinfrastruktur in Grenznähe (Latrinen, Duschen, Wasserpumpen) zur Verfügung gestellt.

Smarte Mauern durch digitale Technologien 

Der Leiter des HU-Projekts "Die Grenzen der Welt", der Soziologe Steffen Mau, spricht von einem "Ensemble aus rechtlichen Regelungen, Kontrollinstanzen, der Inanspruchnahme anderer Staaten, Daten und Technologie". Seine Forschergruppe richtet den Blick zunehmend auf intelligente Grenzen, sogenannte Smart Borders, bei denen auch digitale Technologien zum Einsatz kommen. Zu ihnen gehören Drohnen, Wärmebildkameras und akustische Sensoren, aber auch ein "Identitätsmanagement". Führt zum Beispiel jemand keinen QR-Code für den Nachweis von Impfungen mit sich, wird ihm die Einreise verwehrt. Mau berichtet in seinem Buch "Sortiermaschinen. Die Neuerfindung der Grenze im 21. Jahrhundert" außerdem von Reiserestriktionen in China für Steuerschuldner, Raucher sowie Menschen, die ihre Hunde ohne Leine ausführen. Der Trend gehe von einer "Grenze, die alle kontrolliert" zu einer "individualisierten Grenze".

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Die knapp 3.000 Kilometer lange Grenze zwischen Pakistan und Indien gilt als eine der am stärksten bewachten Grenzen der Welt und ist nachts sogar vom Weltall aus zu sehen.

Schon lange entscheidet die meist an den Zufall des Geburtsorts gekoppelte Staatsangehörigkeit darüber, welche Teile der Welt einem jeweils offenstehen. Für Deutsche öffnen sich laut Passport-Index 2023 in 190 Staaten die Grenzen fast von selbst; nur Singapurer können in mehr, nämlich 192 Staaten, ohne Visum einreisen. Menschen aus Afghanistan stehen dagegen nur 27 Grenzen offen.

"Power-Passport-Besitzer" nennt Mau Reisende aus der westlichen Welt, die sich mit "hohem Humankapital und viel Vermögen" frei bewegen können. Für ihn sind der "kosmopolitische Tourist" und der "in ein Lager eingesperrte Migrant" zwei untrennbar verbundene Gesichter der Globalisierung: "Mobilität und Immobilität müssen in ihrer kausalen Verbundenheit verstanden werden." 

Die Autorin ist freie Journalistin.