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Fünf Fragen zur Pisa-Studie : "Wir brauchen verpflichtende Sprachstandsanalysen"

Deutschland schneidet in der Pisa-Studie so schlecht ab wie nie. Der Bildungswissenschaftler Olaf Köller fordert, dass Deutsch bereits in der Kita gefördert wird.

15.12.2023
2024-03-14T09:21:21.3600Z
3 Min

#1

Bei der Pisa-Studie haben deutsche Schülerinnen und Schüler so schlecht abgeschnitten wie noch nie. Wo sehen Sie die Ursachen für die schlechten Leistungen?

Olaf Köller: Der erste Faktor ist die Pandemie und der Umgang mit den Folgen davon. Wir hatten in Deutschland über mehrere Wochen Schulschließungen. Die Aufholprogramme, die dann an den Start gebracht wurden, haben sicherlich nicht das erreicht, was man sich erhofft hat. Der Leistungsverlust, der durch die Pandemie entstanden ist, besteht noch immer fort. Der zweite Punkt: Es nicht gelungen, die Schülerinnen und Schüler mit Migrationshintergrund so zu integrieren, dass sie wirklich in der Bildungssprache Deutsch sicher sind und dem Unterricht in allen Fächern folgen können. Und das dritte Versäumnis ist, dass vermutlich schon in den letzten zehn Jahren nicht genügend Anstrengung in die Unterrichtsentwicklung und Weiterentwicklung von Förderprogrammen investiert wurde. Wir wussten bereits 2011, dass sich die Schülerschaft verändern und mehr bildungsbenachteiligte Schüler im System sein würden, doch darauf ist nicht angemessen reagiert worden.

#2

Deutschland liegt mit den Ergebnissen der Pisa-Studie noch im OECD-Durchschnitt, was kann Deutschland in Hinblick auf die anderen Länder lernen?

Olaf Köller: Auch die OECD-Mittelwerte im Lesen und in Mathematik sind sehr gesunken, aber in der Tat nicht so stark wie in Deutschland. Wenn wir nach Skandinavien, Frankreich oder Österreich schauen, sehen wir ähnliche Probleme im Umgang mit der Zuwanderung. Wir sehen in Schweden, wo die Schulen sogar in der Pandemie offen hatten, dass wir auch dort zwischen 2018 und 2022 Leistungsrückgänge haben, die vermutlich etwas mit der nicht gelungenen Integration der Schülerinnen und Schüler zu tun haben. Aber egal wie es um uns herum ist, in Deutschland brauchen wir in den kommenden Jahren Programme, um die Zahl der Schülerinnen und Schüler, die nicht einmal die Grundkompetenzen erreichen - in Mathe sind das knapp 30 Prozent - systematisch zu verkleinern.

Foto: DAVIDS/Darmer

Olaf Köller, Jahrgang 1963, ist Bildungswissenschaftler und Co-Vorsitzender der Ständigen Wissenschaftlichen Kommission.

#3

Wie kann das gelingen?

Olaf Köller: Besonders bei den sozial benachteiligten Kindern und bei denen, die mit einer anderen Sprache als Deutsch aufwachsen, muss bereits in der Kita angesetzt werden. Wir brauchen verpflichtende Sprachstandsanalysen in der Kita, um dann in den letzten beiden Jahren vor der Einschulung im Sprachbereich zu fördern. Bei Eintritt in die Schule müssen die Kinder die Bildungssprache so gut beherrschen, dass sie dem Unterricht folgen und dann alphabetisiert werden können. In der Grundschule müssen dann trotzdem nochmal systematisch Schwerpunkte auf die Förderung der Basiskompetenzen, also Lesen, Schreiben und Rechnen gelegt werden. Auch muss Diagnostik und Förderung besser verknüpft werden.

#4

Wie schätzen Sie die Relevanz der Kompetenzen ein, die bei Pisa gemessen werden? Schließlich geht es im Alltag und in der Arbeitswelt immer mehr um emotionale oder zwischenmenschliche Fähigkeiten.

Olaf Köller: Mit Lesen, Mathematik und Naturwissenschaften allein kommt man natürlich nicht hin. Es braucht weitere Fertigkeiten, wie Kommunikation, kreatives Denken und den kritischen Umgang mit Informationen. Aber wenn man nicht lesen kann, kann man sich auch nicht kritisch mit Informationen auseinandersetzen. Denken wir zum Beispiel an Simulationen beziehungsweise Modellierungen des Anstiegs der weltweiten Temperatur durch den Klimawandel, also wie sich die Temperatur verändern wird: An solchen Diskursen kann man nicht teilnehmen, wenn man nicht lesen kann oder über eine unzureichende mathematische oder naturwissenschaftliche Grundbildung verfügt. Die bei Pisa getesteten Kompetenzen sind die Grundlage für alles, was danach kommt.

#5

In der Debatte im Bundestag zur Pisa-Studie haben mehrere Abgeordnete betont, dass Kinder die Zukunft Deutschlands sind. Sie werden als Fachkräfte von morgen gebraucht. Aber werden aus Ihrer Sicht die Belange von Kindern und Jugendlichen in der Politik genug beachtet?

Olaf Köller: Wir erleben aktuell sehr viele Krisen; den Nahostkrieg, den Krieg in der Ukraine, die steigenden Energiepreise oder die Rezession. In einer Zeit der multiplen Krisen bekommt die jetzige Bildungskrise nicht die Aufmerksamkeit, die sie eigentlich politisch verdienen würde, auch finanziell gesehen. Aber es ist wichtig, die sich jetzt gezeigt habende Bildungskrise sehr viel ernster zu nehmen und ihr politisch mehr Aufmerksamkeit zu schenken, als es in den vergangenen Jahren der Fall war.

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