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Experten äußern sich zum Selbstbestimmungsgesetz : Pro und Contra für den Plan der Regierung

Die Änderung des Vornamens und des Geschlechtseintrages soll künftig per einfacher Erklärung beim Standesamt möglich sein. Das gefällt nicht allen.

30.11.2023
2024-03-15T09:14:20.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance / Geisler-Fotop

Demonstration für das Selbstbestimmungsgesetz in Berlin.

So klar die Koalitionsfraktionen und auch Die Linke bei dem Thema sind, so kontrovers wird außerhalb dieser politischen Lager darüber diskutiert: Vor zwei Wochen debattierte der Bundestag in einer zeitweise turbulenten Aussprache erstmals über einen Gesetzentwurf der Bundesregierung für ein Selbstbestimmungsgesetz. In dieser Woche äußersten sich nun die vom Familienausschuss geladenen Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung zu dem Entwurf. Heraus kam dabei ein Meinungsbild aus Zustimmung, Verbesserungsvorschlägen und Kritik - im Kontext der Anhörung freilich weniger emotional vorgetragen als in einer Bundestagsdebatte.

Das Gesetz soll es für trans- und intergeschlechtliche sowie nonbinäre Menschen deutlich einfacher machen, ihren Vornamen und Personenstand ändern zu lassen. Eine einfache Erklärung beim Standesamt soll langwierige Gerichtsprozesse und psychologische Gutachten ersetzen, die bisher noch durch das Transsexuellengesetz (TSG) von 1981 vorgegeben sind.

Ausnahmen für Minderjährige

Volljährige Menschen sollen ihren Geschlechtseintrag (männlich, weiblich, divers oder keine Angabe) und ihre Vornamen künftig per Selbstauskunft beim Standesamt ändern können. Die Änderung muss drei Monate vorher beim Standesamt angemeldet werden. Nach der Änderung soll für eine erneute Änderung eine Sperrfrist von einem Jahr gelten. Damit soll verhindert werden, dass Entscheidungen übereilt getroffen werden. Für Minderjährige bis 14 Jahre gilt: Nur die Sorgeberechtigten können die Erklärung gegenüber dem Standesamt abgeben. Ab dem Alter von 14 Jahren können es die Minderjährigen selber tun, benötigen aber die Zustimmung der Sorgeberechtigten. Diese dürfen nicht über den Kopf des Minderjährigen hinweg einen Geschlechtseintrag ändern, in einem solchen Streitfall würde ein Familiengericht nach Maßgabe des Kindeswohls entscheiden.

Was das Selbstbestimmungsgesetz regelt

Bisher Gutachten nötig: Das SBGG soll das Transsexuellengesetz von 1981 ablösen, das zuletzt noch zwei psychologische Gutachten und lange Gerichtsverfahren für eine Personenstandsänderung verlangte.

Erklärung beim Standesamt: Für Volljährige soll künftig eine einfache Erklärung beim Standesamt ausreichen, um Vornamen und Geschlechtseintrag ändern zu lassen.

Regelungen für Minderjährige: Für bis 14-Jährige müssen die Sorgeberechtigten die Erklärung abgeben, bei älteren Minderjährigen ist zumindest deren Zustimmung nötig.

Bußgelder vorgesehen: Offenbart jemand gegen den Willen einer Person deren geänderten Geschlechtseintrag, soll ein Bußgeld verhängt werden können.



Auf Grundlage des Gesetzes kann ein Bußgeld von bis zu 10.000 Euro verhängt werden, wenn jemand die Änderung des Geschlechtseintrages einer Person gegen deren Willen offenbart und dadurch diese Person absichtlich schädigt.

Für dieses sogenannte Offenbarungsverbot soll es aber Ausnahmen geben. So soll sichergestellt werden, dass sich niemand durch Änderung des Geschlechtseintrages der Strafverfolgung entziehen kann. Auch wenn es andere besondere Gründe des öffentlichen Interesses gibt, soll es Behörden möglich sein, die Nachverfolgbarkeit einer Person zu gewährleisten.


„Es geht um ein verfassungsrechtlich elementares Vorhaben.“
Nele Allenberg, Deutsches Institut für Menschenrechte

Nele Allenberg vom Deutschen Institut für Menschenrechte bezeichnete den Entwurf am Dienstag als "verfassungsrechtlich elementares Vorhaben", empfahl aber, die Altersgrenze und die Zustimmung der Sorgeberechtigten zu überdenken, weil dies die subjektiven Kinderrechte einschränke. Die Regelung, dass im Konfliktfall das Familiengericht entscheide, berge die Gefahr, dass auf ein Gutachten zurückgegriffen wird. Darüber hinaus kritisierte Allenberg die Weiterleitung von Daten an andere Behörden, was der Datenschutzgrundverordnung widerspreche.

Keine Gefahr für Frauen-Schutzräume

Kalle Hümpfner vom Bundesverband Trans begrüßte den Gesetzentwurf, auch wenn er aus seiner Sicht hinter den Erwartungen zurückbleibt. Hümpfner forderte unter anderem, auf Anmelde- und Sperrfristen für die Erklärung zu verzichten und die Änderung des Geschlechtseintrags für alle über 14-Jährigen zu ermöglichen, auch für jene, für die ein gesetzlicher Betreuer bestellt wurde.

Bettina Heiderhoff, Direktorin des Instituts für Deutsches und Internationales Familienrecht der Universität Münster, kritisierte, dass Transfrauen nicht die zweite Elternstelle eines Kindes einnehmen könnten, das sie als heterosexueller Mann selbst gezeugt haben. Für Henrike Ostwald vom Deutschen Frauenrat ist der Entwurf ein Schritt hin zu mehr Geschlechtergerechtigkeit. Sie wandte sich dagegen, dass "vermeintliche Frauenrechte" gegen den Entwurf vorgebracht würden. Frauen-Schutzräume seien durch das Selbstbestimmungsgesetz nicht in Gefahr. Das Gesetz dürfe nicht zu mehr Diskriminierung führen.


„Es besteht kein zwingender Reformbedarf.“
Judith Froese, Rechtsprofessorin an der Universität Konstanz

Sibylle Winter, Professorin an der Berliner Charité, sprach sich für ein "persönliches Erscheinen" Minderjähriger beim Standesamt aus. Bei Nichtzustimmung der Eltern könne ein vom Familiengericht angeregter Beratungsprozess dazu beitragen, den weiteren Weg als Familie zu gehen und das Kindeswohl nicht zu gefährden.

Schutz des Kindeswohls

Judith Froese, Rechtsprofessorin an der Universität Konstanz, stellte fest, dass zwingender Reformbedarf nicht bestehe. Sie sprach ungelöste Folgeprobleme an, etwa, unter welchen Voraussetzungen ein privater Saunabetreiber einer Person den Zugang verwehren darf. Für trans- und intergeschlechtliche Personen verschlechtere sich die rechtliche Situation teilweise.

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Fehlende Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch monierte auch der Publizist Till Randolf Amelung. Er empfahl eine verpflichtende Beratung, die eine Schutzfunktion hätte und für vulnerable Personen eine Hilfe sein könnte.

Aglaja Stirn, Professorin für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, bewertete das Risikopotenzial des Gesetzes höher als den Gewinn. Das Kindeswohl könne auf der Strecke bleiben. Minderjährige seien meist nicht in der Lage, Bedeutung und Tragweite einer solchen Entscheidung einschätzen zu können. Der Gruppendruck mache auch den Rückweg schwierig, sagte sie.