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Auflösung der Linksfraktion : Aus eins mach zwei

Nach der Auflösung der Linksfraktion wollen sowohl die Abgeordneten der Linkspartei als auch das Bündnis um Sahra Wagenknecht den Status einer Gruppe beantragen.

17.11.2023
2024-01-31T16:04:42.3600Z
4 Min

"Opposition ist Mist", verkündete der Sozialdemokrat Franz Müntefering einst in der ihm eigenen Art kurz und bündig. Wenn sich die Linksfraktion gemäß ihres eigenen Beschlusses vom vergangenen Dienstag am 6. Dezember auflösen wird, dann wird die Oppositionsarbeit der bislang 38 Abgeordneten der Fraktion in jedem Fall nicht einfacher.

Denn mit dem Verlust des Fraktionsstatus verbunden sind eine ganze Reihe elementarer parlamentarischer Rechte und finanzieller Zuwendung aus dem Haushalt des Bundestages. So erhielt die Linksfraktion 2022 für ihre Arbeit 11,5 Millionen Euro an Zuwendungen, allein 9,3 Millionen Euro gab sie für ihre mehr als 100 Beschäftigten aus. Um sich ein Mindestmaß an parlamentarischen Rechten zu sichern, wollen sowohl die 28 Abgeordneten der Linkspartei als auch die zehn Parlamentarier des "Bündnisses Sahra Wagenknecht" jeweils den Status einer Gruppe beantragen. Über die Genehmigung der entsprechenden Anträge entscheidet das Plenum des Bundestages.

Foto: picture-alliance/dpa/Kay Nietfeld

Mehr als 100 Mitarbeitende der Linksfraktion müssen ab Dezember um ihren Job bangen. Mit der Fraktionsauflösung gehen immense finanzielle Einbußen einher.

Linksfraktion kommt ihrer Selbstauflösung zuvor

Es ist nicht das erste Mal in der Geschichte des Bundestages seit 1949, dass eine Fraktion im Verlauf einer Legislaturperiode aufgelöst wird beziehungsweise sich selbst auflöst. So fusionierten beispielsweise in der ersten Wahlperiode die Fraktionen des Zentrums und der Bayernpartei. Die Linksfraktion reagiert mit ihrer Selbstauflösung hingegen auf den Austritt von Sahra Wagenknecht und neun weiteren Abgeordneten aus der Partei Die Linke und der Gründung des Vereins "Bündnis Sahra Wagenknecht" (BSW), der als Plattform für eine neue Partei dienen soll. Bereits bei der kommenden Europawahl Anfang Juni 2024 will sie erstmals bei einer Wahl antreten.

Spätestens mit der Kandidatur bei der Europawahl hätte die Linksfraktion im Bundestag aufgelöst werden müssen. Denn die Geschäftsordnung des Bundestages gibt vor, dass sich eine Fraktion nur dann aus Abgeordneten verschiedener Parteien zusammensetzen darf, wenn diese in keinem Bundesland gegeneinander antreten.

Doch dem kommt die Linksfraktion mit ihrer Selbstauflösung zuvor. Die Fraktion sei "politisch tot", verkündete der Fraktionsvorsitzende Dietmar Bartsch. Die Auflösung der Fraktion stelle zwar "gravierenden Einschnitt" dar, doch man arbeite "lieber einig mit 28 als zerstritten mit 38."

Rechte von Gruppen nicht klar definiert

Mit der Entscheidung über die Anträge auf Gruppenbildung wird das Plenum des Bundestages auch darüber entscheiden, welche parlamentarischen Rechte den Gruppen zugebilligt werden soll. Denn die Geschäftsordnung des Bundestages macht keine Aussagen darüber, welche Rechte einer Gruppe zustehen. So steht das Recht, Anträge, Wahlvorschläge oder gar Gesetzentwürfe in die parlamentarische Beratung einzubringen oder Aktuelle Stunde zu beantragen ohne einen gesonderten Beschluss ausschließlich Fraktionen zu oder aber einem Zusammenschluss von Parlamentariern, die fünf Prozent aller Abgeordneten ausmachen. Selbst das Recht, Kleine und Große Anfragen an die Bundesregierung zu stellen, ist an diese Bedingungen geknüpft.


„Wir arbeiten lieber einig mit 28 als zerstritten mit 38 Abgeordneten. “
Dietmar Bartsch (Die Linke)

Mit der Auflösung der Linksfraktion erlöschen für die ehemaligen Mitglieder zudem eine Reihe weiterer parlamentarischer Rechte. So verlieren die Abgeordneten ihr Stimmrecht in den 24 ständigen Ausschüssen des Bundestages sowie den Unterausschüssen und die bisherigen Ausschussvorsitzenden der Linksfraktion müssen den Vorsitz abgeben. Gleiches gilt für die stellvertretenden Ausschussvorsitzenden. Zudem enden Mitgliedschaften im Gemeinsamen Ausschuss, im Parlamentarischen Kontrollgremium, im Bundesfinanzierungsgremium und im Gremium "Sondervermögen Bundeswehr" sowie im Ältestenrat. Petra Pau hingegen muss ihren Posten als Vizepräsidentin des Bundestages nicht räumen, sie ist für die gesamte Wahlperiode gewählt.

Rederecht der Abgeordneten bleibt unangetastet

Unangetastet bleibt das Recht der Abgeordneten, mündliche beziehungsweise schriftliche Fragen an die Bundesregierung im Rahmen der in jeder Sitzungswoche des Bundestages stattfindenden Regierungsbefragung und Fragestunde zu stellen. Vor allem aber bleibt das Rederecht der Abgeordneten der Linken und des BSW unangetastet. Jeder von ihnen könnte prinzipiell zu jedem Tagesordnungspunkt in einer Sitzungswoche das Wort ergreifen. Dies würde die Arbeitsfähigkeit des Parlaments allerdings auf eine arge Probe stellen. Die jeweilige Sitzungsleitung müsste über die Redezeit entscheiden, dabei das Benehmen mit den Fraktionen suchen und die einschlägige Rechtsprechung des Verfassungsgerichts beachten. Es wäre also auch für den Bundestag ein Vorteil, wenn es zu einer Gruppenbildung käme, bei der dann auch die Redezeiten festgelegt würden.

Klage der PDS 1991

Prinzipiell kann der Bundestag beiden Gruppen Rechte einzuräumen, die denen einer Fraktion gleichkommen. So verfuhr der Bundestag bereits in der 12. und 13. Legislaturperiode, als sie die Bildung der Gruppen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS billigte und ihnen fraktionsähnliche Rechte zusprach, einschließlich der "für ihre parlamentarische Arbeit erforderliche finanzielle, technische und personelle Unterstützung". Zudem hatte das Bundesverfassungsgericht 1991 auf Klage der PDS-Gruppe entschieden, dass es verfassungswidrig ist, der Gruppe die Mitgliedschaft in Unterausschüssen zu verwehren.

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Bis zum 6. Dezember muss die Linksfraktion zunächst jedoch alle Vorbereitungen für die Liquidation treffen. Als sogenannte Liquidatoren benannte sie Thomas Westphal, den bisherigen Leiter des Vorstandsbüros der Fraktionsvorsitzenden, sowie den stellvertretenden Fraktionsgeschäftsführer Uwe Hobler. Ihnen obliegt die unangenehme Aufgabe, den Mitarbeitern zu kündigen, alle Geschäfte der Fraktion abzuwickeln und Verbindlichkeiten zu begleichen. Ein Vorgang, der sich über Jahre hinziehen kann.