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Comics : Der Reiz der Bildergeschichten

Die Manga-Comic-Con feiert ihr zehnjähriges Jubiläum auf der Leipziger Buchmesse. Der Markt für die Bildergeschichten boomt in Deutschland.

18.03.2024
2024-03-18T14:55:56.3600Z
6 Min

In diesem Jahr sind nur vier Romane für den Preis der Leipziger Buchmesse nominiert, denn auf der Liste steht erstmals auch ein Comic: "Genossin Kuckuck" von Anke Feuchtenberger, ein großer fast 450-Seiten-Band mit Goldschnitt und Schwarz-weiß-Zeichnungen. Feuchtenberger erzählt in düster-magischen Bildern autofiktional von ihrer eigenen Kindheit im deutschen Osten.

Foto: picture-alliance/ASSOCIATED PRESS/Fuminori Ogane

Mangas, wie die des kürzlich verstorbenen Akira Toriyama, erfreuen sich auch in Deutschland großer Beliebtheit.

Wem das Wort Comic nicht schmeckt, kann auch "Graphic Novel" dazu sagen, das klingt mehr nach Roman, nach Literatur und Anspruch, ändert aber nichts an der Tatsache: Mit der Nominierung setzt die Jury ein Statement. Auch in Leipzig wird die sogenannte grafische Literatur als Belletristik anerkannt, nachdem bereits 2023 erstmals ein Comic in der Kategorie Sachbuch nominiert war (Birgit Weyhes "Rude Girl").

Ein Trend seit Jahrzehnten

Es ist nur ein weiterer Meilenstein in einem Trend, der seit Jahrzehnten anhält. Art Spiegelmans Holocaust-Werk "Maus" hat als bisher einziger Comic den Pulitzer-Preis erhalten, "Watchmen" von Alan Moore und Dave Gibbons stand als einziger Comic auf der Time-Liste der 100 besten englischsprachigen Romane seit 1923. Es fehlt nur noch ein Comic-Autor als Literaturnobelpreisträger, um das Medium endgültig salonfähig zu machen.

Aber die wachsende Leserschaft scheint schon längst für sich entschieden zu haben, dass Erzählungen in Bildern und Schrift denen mit reinem Text in nichts nachstehen. Seit Jahren steigen die Verkaufszahlen für Comics, auch in Deutschland. Im Jahr 2022 hatten sie laut Börsenverein des Deutschen Buchhandels einen Marktanteil von rund zwölf Prozent - Tendenz steigend. Neben dem Dauerbestseller Asterix, der jedes Mal für Millionenauflagen sorgt, und Superhelden-Titeln, etablieren sich in Verlagen wie Reprodukt immer mehr anspruchsvollere Comicwerke. Beliebt sind Literaturadaptionen und Biografien bekannter Persönlichkeiten, aber auch oft Autobiografien, wie etwa Riad Sattoufs "Der Araber von morgen", der so eindrücklich wie humorvoll von seiner "Kindheit im Nahen Osten" erzählt.

Tradition auf der Leipziger Buchmesse

Comics haben auf der Leipziger Buchmesse bereits eine gewisse Tradition. In diesem Jahr findet bereits zum zehnten Mal auf dem Gelände die Manga-Comic-Con statt. Dazu wird es nicht nur eine Jubiläumsausstellung geben, auch kann man Comic-Autoren und -Künstlern bei Gesprächen, Lesungen und Workshops begegnen, erstmals auch bei Abendveranstaltungen. Bei der italienischen Comic Night stellen Graphic-Novel-Künstler wie Paolo Bacilieri ("Fun") und Sergio Ponchione ihre Werke vor. Letzterer hat mit dem neu auf Deutsch erschienenen "Memorabilia" eine Art Liebeserklärung an die US-Comic-Pioniere Will Eisner, Jack Kirby, Steve Ditko, Wallace Wood und Richard Corben erschaffen. Das Gastland Niederlande und Flandern ist mit den Autoren Judith Vanistendael ("Atan von den Kykladen"), Clara Lodewick ("Merel") und Thomas Olde Heuvelt ("November") sowie mit dem Zeichner Joris Mertens vertreten. Dessen expressionistisch gezeichnete Verlierer-Story "Das große Los" über einen unverhofften Geld- und Leichenfund belegt Platz fünf der Kritiker-Bestenliste 2023 des Fachportals Comic.de.

Vielschichtigkeit des Mediums

Schon an den Werken dieser Künstler zeigt sich die Vielschichtigkeit des Mediums, das längst alle Genres und Stile in sich vereint, das spielerisch immer wieder aufs Neue schafft, Bild und Text miteinander zu kombinieren, und verblüffende Effekte zu erzielen, die Literatur oder Film nicht erreichen. Comics sind eine hochkomplexe Kunstform, in der vom Layout über den Strich und die Farbe bis hin zum Lettering viele Techniken ineinandergreifen.

Im Grunde aber funktionieren Comics sehr einfach und allgemeinverständlich. Daher sind sie auch gute Vermittler von Bildung: Sachcomics machen sich das Prinzip von Show-and-tell zunutze. Schon Comic-Pionier Will Eisner ("The Spirit", "Ein Vertrag mit Gott") erkannte, dass niemand gerne technische Handbücher liest, dafür aber umso lieber kurze Bildgeschichten, die auf anschauliche und auch humorvolle Weise viel wirkungsvoller sein können. Mit Comics kann man sich auch komplexe Sachverhalte wie unser Wirtschaftssystem oder Feminismus erklären lassen.

Macoco, das Maskottchen der Manga-Comic-Con.   Foto: Leipziger Messe/Jens Schlueter

Trotz der steigenden Anerkennung und Beliebtheit des Mediums, bleibt es jenseits des Mainstreams ein schwieriges Geschäft: Der angesehene Berliner Verlag Reprodukt, der zu seinen hochwertigen Büchern auch "Genossin Kuckuck" zählt, sah sich im Jahr 2022 zu einem Crowdfunding veranlasst, um die gestiegenen Herstellungskosten aufzufangen. 30.000 Euro waren nötig, am Ende kamen 85.000 Euro von 850 Unterstützern zusammen. Der Verlag Zwerchfell konnte sich jedoch nicht retten. Nachdem dieser 35 Jahre lang ambitionierte Werke herausbrachte, musste er 2023 aufgeben, weil es sich finanziell nicht mehr lohnte. Das international gefeierte und mit einem Eisner-Award ausgezeichnete "Ducks" von Kate Beaton war das letzte Buch des Verlags, herausgegeben in Kooperation mit Reprodukt. Doch so sehr die Autoren, Zeichner und Verleger Leidenschaft in ihre Arbeit stecken, so sehr die Werke auch von Liebhabern und Kritikern geschätzt werden: Das Comic-Geschäft bleibt für die meisten Nische.

Ganz im Gegensatz zu Mangas. Japan hat den größten Comicmarkt und dominiert auch die Märkte weltweit. Zwei Drittel der verkauften Comics in Deutschland sind mittlerweile Mangas. Von den 25 deutschen Jahresbestsellern 2023 im Bereich Comic sind laut Börsenblatt nur zwei keine Mangas, sondern Asterix-Hefte. Geschätzt 16 Millionen Exemplare wurden 2022 in Deutschland verkauft. Aktionen wie der "Manga Day", bei dem die Branche Gratis-Exemplare verteilt, befeuern das Interesse zusätzlich. Zu den Bestsellern gehören "Naruto", "Demon Slayer" und der Klassiker "Dragon Ball", dessen Schöpfer Akira Toriyama am 1. März gestorben ist.


„Egal, was man sich ausdenkt, egal, wie skurril oder normal, den Plot gibt es bestimmt schon als Manga.“
Angelina, Cosplayerin und Manga-Fan

Der Manga-Boom macht sich auch schon an den Regalen in den Buch- und Comicläden bemerkbar, wo die kleinen handlichen Taschenbücher aus Fernost immer mehr Platz einnehmen. Es gibt mittlerweile sogar reine Manga-Läden - wie etwa "Neo Tokyo" in Berlin, der auch Filme, Musik und Snacks aus Japan und Korea vertreibt.

"Ständig kommen neue Verlage hinzu", sagt Mitinhaber Dieter Hoch. "Die Leute kommen nicht mehr hinterher, wenn jeden Monat neue Titel erscheinen." Es gebe zwar mehr Leser, aber auch mehr Konkurrenz. Dieter Hochs Spezialgebiet ist eher die japanische Musik, mit Mangas sei er nie warm geworden, sagt er. An die 'verkehrte' Leserichtung - von hinten nach vorne, von oben rechts nach links - habe er sich nie gewöhnen können. Außerdem sei er dafür schon zu alt.

Die meisten Hauptcharaktere sind Jugendliche

"Für Mangas gibt es kein zu alt", entgegnet seine Mitarbeiterin Angelina. Was das Besondere für sie an Mangas sei? "Weil es im Manga alles gibt. Egal, was man sich ausdenkt, egal, wie skurril oder normal, den Plot gibt es bestimmt schon als Manga." Außerdem seien Mangas leicht zugänglich, die Schwarz-Weiß-Zeichnungen seien leichter fürs Auge zu erfassen und richteten sich an ein jüngeres Publikum: "Die meisten Hauptcharaktere sind Jugendliche."

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Angelinas Favorit ist "One Piece", von der Serie gibt es über 100 Ausgaben. Der "One Piece"-Anime, die Adaption als Zeichentrickserie, hat sogar mehr als 1.000 Episoden, dazu gibt es noch etliche Kinofilme sowie neuerdings auch eine Netflix-Serie. Angelina hat sogar ein passendes Tattoo, denn: "Liebe geht unter die Haut."

Ein Kostüm für 120 Euro

Zum Manga sei sie über einen Anime gekommen, den ihr Vater - ein Comicfan - ihr gezeigt habe, erzählt die junge Frau mit den violett gefärbten Haaren. Viele Mangaleser sind mit den Zeichentrickserien und -Filmen aus Japan aufgewachsen und haben sich so an die eigene Bildsprache gewöhnt. Angelina wird auch bei der Manga-Comic-Con in Leipzig dabei sein, als Cosplayerin verkleidet wie eine Figur aus dem chinesischen Fantasy-Game "Genshin Impact". Ein Kostüm ist ihr 120 Euro wert, dazu einige Stunden für Make-up und Perücke. Sie schätze das Hobby, weil sie dabei zusammen mit Freunden kreativ sein könne. Es zeigt aber auch: Mangas sind mehr als nur Comics, für viele ist es oft ein Einfallstor für fernöstliche (Pop-)Kultur.

In letzter Zeit kommen auch immer mehr koreanische und chinesische Comics auf den Markt, diese heißen Manhwa und Manhua und sind farbig. Der Markt wächst weiter. Angelina ist sich sicher: "Mit Mangas wird es die nächsten Jahre weitergehen. Es wird noch dauern, bis der Hype endet."