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Buchrezension : In permanenter Opposition zum Zeitgeist

Der Extremismus-Experte Peter R. Neumann beschreibt in seinem Buch "Logik der Angst" die Wurzeln rechter Bewegungen als angsterfüllte Reaktion auf die Moderne.

18.10.2023
2024-01-30T14:02:03.3600Z
2 Min

Während der Anschlagsserie des Islamischen Staates in Europa tauchte sein Gesicht ständig auf deutschen TV-Bildschirmen auf: Der Politikwissenschaftler Peter R. Neumann, Professor für Sicherheitsstudien am Kings's College in London, ist ein ausgewiesener Experte zu den Themen Terrorismus und Extremismus. In seinem neuen Buch "Logik der Angst" gibt er einen fundierten, aber leicht zu lesenden Überblick über "die rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln". Er schlägt bewusst einen großen Bogen, es geht um Gewalttaten wie die Mordserie des NSU und die Anschläge von München, Halle und Hanau, aber ebenso um den weltweiten Aufstieg rechtspopulistischer Parteien.

Neumann belässt es nicht bei der Beschreibung einzelner Gruppen, er versucht zu erklären, wo ideologische Gemeinsamkeiten liegen, was zum Beispiel Alte und Neue Rechte, Identitäre, christliche Fundamentalisten und Reichsbürger verbindet. Seine Kernthese: Die tief liegende Ursache rechtsextremer Einstellungen ist nicht der Hass auf Andersdenkende, sondern eine Logik der Angst. Untermauert von zahlreichen geschichtlichen Bezügen und internationalen Vergleichen entsteht eine Art Psychogramm, das der Autor zugleich als "dringende Warnung" interpretiert.

Diagnose: Mängel bei gesetzgeberischer Leistung

Seit den Revolutionen in Frankreich und Amerika vor zwei Jahrhunderten, so bilanziert Neumann, befinde sich die politische Rechte "in permanenter Opposition zum Zeitgeist und den Institutionen, die er hervorgebracht hat". Die liberale Moderne sei eine "historische Tiefenströmung", die sich "trotz gelegentlicher Stauungen mit aller Wucht ihren Weg bahnt". Es sei somit "nicht Stärke, sondern ein Gefühl der Schwäche, auf dem rechtsextreme Politikansätze und Mobilisierungsversuche aufbauen". Das Spektrum reiche von den "Ängstlichen", die von gesellschaftlichen Veränderungen überfordert sind, bis zu militanter Aggression, die im Extremfall zu Attentaten führen kann. Neumanns Rat: Man dürfe sich nicht darauf beschränken, diejenigen zu bekämpfen, "die bereits Rechtsextremisten sind". Nur wer die "vermeintlichen Verlierer" mitnehme, könne "den Nährboden austrocknen", auf dem rechtes Gedankengut gedeiht.

Zu auf den ersten Blick überraschenden Schlussfolgerungen kommt Neumann mit Blick auf die wachsende Verankerung des Rechtspopulismus in den Parteiensystemen: An der Macht habe rechte Politik bislang relativ wenig erreicht. So hätten weder die österreichische FPÖ noch US-Präsident Donald Trump die Zuwanderung wesentlich begrenzen oder ihrer Wählerschaft Privilegien bei Sozialleistungen verschaffen können, es mangele an "gesetzgeberischer Leistung". Wichtigster Effekt sei vielmehr die "Normalisierung rechtspopulistischer Narrative", dies mache extremistische Positionen schleichend in der Mitte der Gesellschaft salonfähig.

"Beobachter, die bei jedem Wahlsieg rechter Parteien eine Rückkehr des Faschismus prophezeien, machen es sich zu leicht", kritisiert Neumann. In der programmatischen Vision eines neuen "Nationalkonservatismus", für den etwa die italienische Regierungschefin Giorgia Meloni stehe, sieht der Verfasser die viel größere Herausforderung für die Demokratie und die europäische Integration.

Peter R. Neumann:
Logik der Angst.
Die Rechtsextreme Gefahr und ihre Wurzeln.
Rowohlt Berlin,
Berlin 2023;
208 Seiten, 22,00 €