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Ausstellung zu 85 Jahre Kindertransport : Ein Abschied für immer

Mit einer Ausstellung erinnert der Bundestag an die 10.000 jüdischen Kinder, die 1938 und 1939 mit Kindertransporten aus Nazi-Deutschland gerettet wurden.

02.02.2024
2024-02-27T08:56:22.3600Z
3 Min
Foto: DBT/Marco Urban

Eindrückliche Worte: Auszüge aus Briefen in der Ausstellung. Auf der Rückseite der Tafeln sind die Briefe in Original-Länge zu lesen.

"So und nun noch einen Kuss, weil ich Abschied nehmen muss." In schönster Handschrift schreibt Erna Stein diese Zeilen am 13. April 1939 an ihre Tochter Gerda. Als die Elfjährige den Brief ihrer Mutter liest, weiß sie noch nicht, dass sie ihre Eltern nie wieder sehen wird.

Gerda Stein ist eins von rund 10.000 jüdischen Kindern, die in den Jahren 1938 und 1939 im Rahmen der Kindertransporte nach Großbritannien gebracht wurden. Die von Hilfsorganisationen initiierte Rettungsaktionen zum Schutz jüdischen Lebens gilt bis heute als eine der spektakulärsten in der Geschichte. Waren die Kinder in der Fremde angekommen, blieben den getrennten Familien nur Briefe und Postkarten, um in Kontakt zu bleiben.

Briefe voller Liebe, Sehnsucht und Sorge

Im Bundestag werden nun ausgewählte Briefwechsel aus der Zeit in der Ausstellung "I said 'Auf Wiedersehen' - 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien" gezeigt. Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die die Schau am Dienstagabend eröffnete, sagte: "Es geht in dieser Ausstellung um menschliche Schicksale, um Abschied und Hoffnung, um gebrochene Identitäten, Heimweh und Sprachlosigkeiten". Auch dankte sie Großbritannien für die Rettungsaktion. "Das vergessen wir in Deutschland nie."

Die Briefe und Postkarten sind voller Liebe, Sehnsucht und Sorge. Viele enthalten kleine Gedichte oder Zeichnungen. Sie alle eint der Versuch der in der NS-Diktatur verbliebenen Eltern, den Kindern von zu Hause berichten, ohne sie zu sorgen. So schreibt Ferdinand Brann am 27. August 1939 an seine sechzehnjährige Tochter Ursula: "Falls du lange keine Nachricht bekommen solltest, brauchst Du Dich nicht zu ängstigen, was kann schon passieren?"

Ursula wird ihre Familie nie mehr wiedersehen

In einem späteren Brief berichteten die Eltern von Sonntagsausflügen in den Grunewald und der Verlobung der älteren Schwester. Auch ein Bild des verlobten Paares wollen sie Ursula zukommen lassen. Doch die Erzählungen von einem scheinbar normalen Alltag trügen. Ursula erhält das erwähnte Foto nie. Mit roter Schrift vermerkt sie später über dem Brief drei Worte: "their last letter" (ihr letzter Brief). Ursulas Eltern und ihre Schwester werden 1943 nach Auschwitz deportiert und kehren nie zurück.

Es ist ein Schicksal, das viele Jungen und Mädchen der Kindertransporte teilen - oft sind sie die einzigen aus ihren Familien, die den Krieg überleben. Überlebt haben auch Hella Pick (94) und Lord Alfred Dubs (91). Als Zeitzeugen des Kindertransports sind sie für die Eröffnung der Ausstellung nach Berlin gereist. Pick kam als Zehnjährige mit dem Zug von Wien nach England und arbeitete später unter anderem als Journalistin für den britischen "Guardian". Sie wünscht sich, dass die Schau nicht nur im deutschen Parlament, sondern an vielen anderen Orten auf der Welt gezeigt wird.

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Dubs, der viele Jahre als Abgeordneter für die Labour-Partei im britischen Unterhaus saß, ist vor 85 Jahren aus Prag nach England gekommen. Die Reise hat ihn und seine Arbeit als Politiker ein Leben lang geprägt: Während seiner Amtszeit hat er sich stets für die Rechte Geflüchteter in Großbritannien eingesetzt.

Die beiden Zeitzeugen warnten vor dem wachsenden Antisemitismus in Deutschland. Dubs appellierte: "Wir müssen unsere Lektionen aus der Geschichte lernen. Wir haben bisher nicht genug getan." 

Die Ausstellung wird noch bis zum 23. Februar 2024 im Bundestag gezeigt. Für den Besuch ist spätestens zwei Tage vor dem gewünschten Termin eine Anmeldung über die Webseite des Bundestages notwendig.