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Neue Ausstellung im Bundestag : Gefährdete Leben: Queere Menschen im Nationalsozialismus

In den 1920er-Jahren war Berlin für viele queere Menschen ein Sehnsuchtsort. Doch ab 1933 bestimmten Denunziationen und Verhaftungen den Alltag unter den Nazis.

01.12.2023
2024-03-07T10:09:59.3600Z
3 Min
Foto: DBT/Jörg F. Müller

Insa Eschebach, (r.), und Karl-Heinz Steinle, (Mitte), die Kuratierenden der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld, führen Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD) durch die Ausstellung.

Während Berlin in den 1920er Jahren für einige Homosexuelle wie den englischen Schriftsteller Christopher Isherwood noch als Sehnsuchtsort galt - "Berlin bedeutete Jungs" ("Berlin meant Boys") schrieb Isherwood in seinen Memoiren - änderte sich die Situation mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 drastisch. Die Nazis schlossen queere Lokale und verschärften den Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches (StGB). Fortan waren alle "unzüchtigen Handlungen" zwischen Männern, auch einvernehmlich homoerotische und homosexuelle Kontakte, strafbar. Und obwohl der Paragraf 175 auf sexuelle Handlungen zwischen Männern abzielte, waren auch lesbische Frauen und transgeschlechtliche Personen gefährdet. Allein "normabweichendes" Verhalten oder Aussehen verbunden mit einer "perversen Neigung" konnte zu einer polizeilichen Anzeige führen.


„Viele Verfolgte starben allein mit ihren Erinnerungen.“
Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD)

Im Bundestag werden die Schicksale einzelner Menschen, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder geschlechtlichen Identität verfolgt wurden, nun erstmals in der Ausstellung "Gefährdet leben. Queere Menschen 1933-1945" porträtiert. Eröffnet wurde die von der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld kuratierte Ausstellung am vergangenen Mittwoch im Paul-Löbe-Haus von Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD). "Viele Verfolgte starben allein mit ihren Erinnerungen", sagte Bas in ihrer Eröffnungsrede und erinnerte daran, dass queeren Menschen angetanes Unrecht lange verschwiegen und verleumdet wurde. Viele der Betroffenen hätten aus Scham und Angst nicht über das Erlebte gesprochen, daher sei es jetzt umso wichtiger, sich mit ihren Geschichten zu beschäftigen.

1937 in Berlin-Schöneberg: Sittenpolizei findet Adressliste

Und so werden in der Ausstellung zahlreiche Einzelbiografien vorgestellt. Verheerend war es beispielsweise, als die Berliner Sittenpolizei im Salon von Hella Knabe in Berlin-Schöneberg 1937 eine Razzia durchführte und die persönliche Adressliste der Inhaberin fand. Denn Knabe, so steht es in ihrem Vernehmungsprotokoll, kleidete nicht nur Frauen ein: "Auf Wunsch gebe ich meinen transvestitischen Kunden Gelegenheit, bei mir als Frau zu wohnen. Unter meiner Anleitung kleiden sich die betroffenen Kunden als Frau und werden auch von mir frisiert."

Die Ausstellung berichtet auch über Biografien der queren Persönlichkeiten Dora Richter (rechts), Toni Ebel (links) und Charlotte Charlaque (Mitte).   Foto: Filmarchiv Austria

Insgesamt verurteilte die NS-Justiz bis 1945 etwa 50.000 Personen nach Paragraf 175 und 175a StGB, die meisten von ihnen zu Gefängnisstrafen. Einige queere Personen zogen sich während der Zeit des Nationalsozialismus ins Private zurück oder gingen Scheinehen ein, um sich vor Verfolgung zu schützen. So wie die lesbische Fotografin Jaro von Tucholka und der schwule Lehrer Friedrich Weigelt, deren Geschichten die Ausstellung erzählt. Für andere war Suizid der letzte Ausweg.

Ausgrenzung und staatliche Diskriminierung halten an

Doch auch das Ende des Nationalsozialismus bedeutete keine Befreiung für queere Menschen - ihre gesellschaftliche Ausgrenzung und die staatliche Diskriminierung gingen weiter: Die Gerichte der Besatzungsmächte schickten die aus den Konzentrationslagern befreiten Homosexuellen in reguläre Gefängnisse, wo sie ihre Strafen zu Ende verbüßen mussten. Erst 1988 in der DDR und 1994 in der Bundesrepublik wurde das Sonderstrafrecht für homosexuelle Menschen endgültig abgeschafft. 

Während der Bundestag in diesen Wochen über das Selbstbestimmungsrecht berät, wird deutlich, dass es ein weiter Weg ist bis zur Anerkennung der Persönlichkeitsrechte aller Menschen. Bas erinnerte während der Ausstellungseröffnung daran, dass queere Menschen in Deutschland noch immer Anfeindungen erlebten und betonte: "Frei sind wir erst dann, wenn sich alle Menschen frei entfalten können und niemand gefährdet leben muss."