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Debatte um Agrarbericht : Branche in Bedrängnis

Landwirtschaftsminister Cem Özdemir wirbt für parteiübergreifende Lösungen für die Landwirtschaft. Die Union wirft der Ampel Politik gegen den ländlichen Raum vor.

19.01.2024
2024-03-11T12:22:04.3600Z
4 Min
Foto: picture alliance/dpa

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (B90/Die Grünen) will die Landwirtschaft zukunftsfest machen und die ländlichen Räume stärken.

Unter dem Eindruck massiver Proteste von Landwirten und der am Freitag gestarteten Internationalen Grünen Woche hat der Bundestag am Donnerstag über die Zukunft der Landwirtschaft debattiert. Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) unterstrich die Notwendigkeit, die Landwirtschaft zukunftsfest zu machen. Die Branche befinde sich infolge aktueller Krisen - wie Klimakrise, Artensterben sowie Kriegen und Konflikten - in einer sehr herausfordernden Situation. "Die Politik muss deshalb verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit schaffen", sagte Özdemir und verwies auf die Ergebnisse im Agrarpolitischen Bericht 2023.

Minister wendet sich an Opposition

Er wandte sich an die Opposition, um in der Agrarpolitik " gemeinsam und konstruktiv" zusammenzuarbeiten. "Wir können sofort damit anfangen", sagte er. Der Minister warb vor allem für eine Abgabe auf Fleisch, aus deren Einnahmen Landwirte beim Umbau ihrer Ställe unterstützt werden sollen. Es handle sich um nur "wenige Cent pro Kilo mehr". Mit seinem Vorschlag baue er auf das, was die Borchert-Kommission erarbeitet habe, und auf die Empfehlungen des von der Regierung einberufenen Bürgerrats.

Oppositionsführer übt Generalkritik 

Heftige Kritik ernteten Özdemir und die Regierung, deren übrigen Ministerinnen und Minister der Debatte ferngeblieben waren, von Friedrich Merz (CDU). Der Vorsitzende der Unionsfraktion nutzte die Debatte zu einem Generalangriff auf die Bundesregierung. Nicht nur die Agrarpolitik, sondern auch die Finanzpolitik, die Energiepolitik oder die Einwanderungspolitik hätten in der Bevölkerung keine Mehrheit mehr, sagte Merz. Damit gefährde die Regierung "immer weiter die Zustimmung zu den Institutionen des Rechtsstaates". Er habe sich in der Debatte zur Agrarpolitik zu Wort gemeldet, um die Regierung "dringend und in größter Besorgnis" zu bitten, den Protest der Landwirte und den Widerspruch in der Bevölkerung ernst zu nehmen, sagte Merz.


„Die Politik muss deshalb verlässliche Rahmenbedingungen und Planungssicherheit schaffen.“
Cem Özdemir, Bundeslandwirtschaftsminister

Er warf der Regierung eine Politik gegen den ländlichen Raum vor. Mit Blick auf die Bauernproteste sagte er, die Demonstrationen seien bislang friedlich verlaufen. Auch die Vermutung, dass sie von rechtspopulistischen Kräften unterwandert werden könnten, hätten sich als "haltlos" erwiesen. "Aber sie waren Teil Ihrer politischen Kampagne gegen die Landwirtschaft", sagte Merz an die Adresse der Ampel-Koalition.

SPD: Merz' Verhalten "mehr als befremdlich"

Dem widersprach Matthias Miersch (SPD) vehement. Er kritisierte Merz dafür, "eine Debatte zur Agrarpolitik dazu zu nutzen, um das Thema Migration zu spielen, obwohl wir wissen, dass vor wenigen Tagen bekannt wurde, dass Fantasien von Deportationen von Ausländern bekannt geworden sind". Merz' Verhalten sei deshalb "mehr als befremdlich", sagte Miersch. Die Ampelfraktionen hätten nun einen Antrag vorgelegt, mit dem bis zum Sommer ein Gesetzespaket ausgearbeitet werden soll. Eine Mehrheit stimmte für die Vorlage. Dazu sollen Maßnahmen erstellt werden, um gegen stark gestiegene Bodenpreise vorzugehen und den Umbau der Tierställe zu finanzieren.

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"Wir sind dialogbereit", sagte Gero Hocker (FDP). Die Bauernproteste zeigten überdeutlich, wie sehr der ländliche Raum in den letzten Jahrzehnten "vernachlässigt" wurde. Weder Infrastruktur noch Digitalisierung seien ausgebaut worden, stattdessen habe man nicht nur Landwirten immer mehr Bürokratie aufgebürdet. Diese Probleme wolle man nun angehen. Mit dem nun vorliegenden Antrag der Koalitionsfraktionen solle der "Bürokratieabbau effektiv" gelingen.

"Rote Karte" für Regierung

Renate Künast (Grüne) betonte, dass 94 Prozent der Bevölkerung eine bessere Tierhaltung wollten und 87 Prozent wünschten sich mehr Ökolandbau. "Packen wir diese Aufgaben doch endlich an!", forderte die frühere Bundeslandwirtschaftsministerin. Es gebe in manchen Bereichen eine verbale Aufgeschlossenheit bei gleichzeitiger Verhaltensstarre, sagte Künast in Anlehnung an den Soziologen Ulrich Beck. Den Bauern reiche die verbale Aufgeschlossenheit nicht, wenn gleichzeitig an jeder Stelle, an der Punkte aus der Borchert Kommission umgesetzt würden, Blockadepolitik betrieben werde.

"Das ist eine Farce", entgegnete Alexander Dobrindt, Vorsitzender der CSU-Landesgruppe im Bundestag, seiner Vorrednerin. Weder von der Bundesregierung noch in dem Ampelantrag fänden sich "konkrete Vorschläge" oder "konkrete Unterstützungen" für die Landwirtschaft. Das einzige, was der Antrag enthalte, seien "sieben Fragen" an die Ampelregierung, das sei ein "Insolvenzantrag".


„Wir sind dialogbereit.“
Gero Hocker (FDP)

Peter Felser (AfD) kritisierte, dass den Landwirten 400 Millionen Euro mit der Streichung des Agrardiesels "genommen" werden, damit setze die Regierung die falschen Prioritäten. Die Idee der Tierwohlabgabe sei nichts anderes als "eine Fleischsteuer", das Geld komme bei den Landwirten "nie an", sagte Felser.

Der Agrarpolitik sei die "rote Karte" gezeigt worden, sagte Ina Latendorf (fraktionslos). Das gelte für sämtliche Regierungen, die in der Vergangenheit Verantwortung trugen. "Aus der Nummer kommen Sie von der CDU/CSU nicht heraus" auch nicht mit deren Antrag, so Latendorf. Zu lange seien in diesem Land Ankündigungen für die Landwirtschaft gemacht worden. Der Agrarpolitische Bericht wurde zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen. Der Antrag der CDU/CSU-Fraktion blieb ohne Mehrheit.