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Lage im Frühsommer 2021 : Wie die Warnungen verhallten

Der stellvertretende Botschafter in Kabul warnte 2021 früh vor dem Kollaps, drang in Berlin damit aber nicht durch, berichtete er dem Untersuchungsausschuss.

15.03.2024
2024-04-10T14:45:43.7200Z
2 Min

Die Taliban hatten sich de facto seit Wochen in Kabul ausgebreitet, in der Stadt hielten sich ein bis zwei Millionen Flüchtlinge auf: Und trotzdem drang Jan van Thiel, im Sommer 2021 stellvertretender deutscher Botschafter in Afghanistan mit seinen warnenden Worten in Berlin nicht durch, wie er am Donnerstag vor dem 1. Untersuchungsausschuss vortrug. Als Leiter der Botschaft sei es für ihn in erster Linie darum gegangen, diesen Außenposten auf die Auflösung vorzubereiten sowie die Zentrale in Berlin möglichst realitätsgetreu in Echtzeit auf dem Laufenden zu halten.

Zeuge gibt Einblicke in die Einschätzung der Lage im Frühsommer 2021

Aus den einzelnen Provinzen, dem ländlichen Raum, von der Entwicklung in der Hauptstadt und einigen Zentren abgesehen, habe es für die Zentralregierung kaum Unterstützung gegeben, die politische Landschaft sei gespalten gewesen. Dennoch seien Sicherheitsexperten noch Anfang Juni 2021 davon ausgegangen, dass noch einige Monate Zeit sei, um das Land geordnet zu verlassen. Im Auswärtigen Amt habe der Eindruck vorgeherrscht, man könne auch nach dem Abzug der internationalen Streitkräftepräsenz auf ziviler Ebene so weiter machen als sei nichts passiert, erklärte van Thiel. Viele Kolleginnen und Kollegen hätten die Augen vor dem sich abzeichnenden Zusammenbruch der afghanischen Republik, dem in zwei Jahrzehnten Aufgebauten, verschlossen.

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Auf seine Ausführungen zur Gefahrenlage, etwa zur schwindenden Kampfkraft der afghanischen Armee, habe er keine Gegenargumente bekommen, so von Thiel. Während er die Belange der Botschaft und des Botschaftspersonals an erster Stelle im Auge gehabt habe, sei der Betrieb in Berlin stets von einer Eigendynamik geprägt gewesen. Dort habe man zunächst noch nach eingeübten Glaubenssätzen gelebt, während es in Afghanistan ums Ganze gegangen sei.

Beschleunigter Kollaps: Brigadegeneral berichtet über Belastungen der Einsatzkräfte

Diesen Eindruck bestätigte im Ausschuss auch Brigadegeneral Jens Arlt, im Sommer 2021 Kommandeur der Evakuierungsoperation in Kabul. Viele hätten sich zunächst Illusionen, etwa über einen geordneten Abzug, einen ausreichenden zeitlichen Rahmen oder eine überschaubare Zahl auszufliegender Personen, hingegeben - doch dafür sei keine Zeit gewesen. Man habe es mit einem sich beschleunigenden Kollaps, am und rund um den Flughafen von Kabul, zu tun gehabt, während die humanitäre Lage sich zusehends verschlechtert habe.

Die Belastungen für die Einsatzkräfte seien extrem hoch gewesen. Der Einsatz, nach den Worten Arlts die bisher schwierigste Evakuierungsmission der Bundeswehr, könne keine Blaupause für andere Missionen sein, so der 54-Jährige.