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»Ich würde nur positiv über Merkel singen«

Thees Uhlmann Der Tomte-Sänger über das Jungsein, Rebellion und Politik

12.01.2009
2023-08-30T11:23:44.7200Z
6 Min

Wogegen lohnt es sich, zu rebellieren?

Man rebelliert nicht gegen etwas. Rebellieren ist für mich eine Positionierung in der Welt. Wenn mir ein Jugendlicher entgegenkommt mit extrem laut aufgedrehter Musik auf seinem schlecht klingenden Handy, dann macht er das ja nicht, weil er die Musik so gern hört, sondern weil er allen zeigen will, was er da hört und dass er da ist.

Wie rebellisch warst Du früher?

Das war zweigeteilt. Auf der einen Seite war ich Klassensprecher und Schülersprecher, habe nie geschwänzt. Das war mir viel zu aufregend. Meine Eltern waren Lehrer. Nach zehn Minuten hätten die das mitbekommen. Auf der anderen Seite wollte ich meiner Umwelt schon mitteilen, dass ich "total anders" bin. Ich habe Metal gehört, meine Federtasche beschmiert - Und mich wahnsinnig viel mit meinen Eltern gestritten.

Worüber habt Ihr gestritten?

Politik. Ich hatte ein linkes Weltbild. Ich war mit meinen Eltern in den USA, wir sind in ein Steakhaus gegangen. Davor saß ein Penner und bettelte. Da hab ich gesagt: "Ich esse hier nichts, das halte ich nicht aus."

Hast Du das durchgezogen?

Na klar. Eigentlich war es Quatsch. Aber für einen 15-Jährigen ist es eine total faire Geste. Natürlich hat das die Welt noch nicht mal im kleinsten Molekül verändert.

Glaubst Du, dass es für einen Jugendlichen dazu gehört, zu rebellieren?

Nein. Leute müssen nichts. Es ist total okay, wenn du mit 16 beschließt, dass du E-Jugend-Fußballtrainer werden willst oder im Schützenverein Schlagzeug spielst. Das ist genau so wichtig wie ein Typ, der sich die Haare färbt und einen Marihuana-Aufkleber auf der Jacke hat.

Hast Du Musikmachen als Ausdruck von Rebellion empfunden?

Ja, klar. Allein die atemberaubende Lautstärke, mit der wir im Keller meiner Eltern geprobt haben, war Rebellion.

Konntest Du Deine Eltern verstehen, als Du in der Pubertät warst?

Natürlich nicht. Meine Eltern sind Prä-68er. Wir hatten eine Platte von Elvis und eine von den Beatles zu Hause. Alles andere war Klassik. Ich konnte wirklich noch gegen meine Eltern kämpfen. Das ist bei vielen nicht mehr möglich. Wenn unsere Fans mit ihren Eltern zum Tomte-Konzert kommen, dann können sie sich ja schon mal nicht mehr über den Musikgeschmack aufregen.

Hättest Du gern Eltern gehabt, die ACDC auflegen?

Die Frage stellte sich gar nicht. Ich halte nichts von so Sprüchen wie "Meine Mutter ist meine beste Freundin." "Meine Mutter ist mein bester Feind." So soll es doch sein.

Hast Du dieses linke Weltbild, das Du vorhin angesprochen hast, immer noch?

Ich habe die Welt in ihrer Komplexität anerkannt. In den 80er Jahren war alles noch schön einfach. Da gab es die Sowjetunion und die USA. Da gab es China und Indien nur auf der Karte, die spielten in den Medien gar keine Rolle. Die Welt ist heute eine komplett andere.

Was hat das mit Deinem politischen Weltbild zu tun?

Ich hab mich von der Idee vom Gutmenschentum verabschiedet.

Du glaubst nicht daran, dass der Mensch im Grund seines Herzens gut ist?

Ich glaube, dass der Mensch im Grunde seines Herzens simpel ist. Der Mensch will eine Bude haben, morgens und abends was zu essen, sich die Zähne putzen mit gesundem Wasser und er will einen Fernseher haben, von dem er sich berieseln lassen kann. Und der Mensch will sich sicher sein, dass er morgen nicht flüchten muss und dass seine Frau morgen nicht ermordet wird, weil sie zufällig zu "den Falschen" gehört. Wenn das auf der ganzen Welt gegeben wäre, würde es keine Kriege geben. Meine Definition von "Frieden" ist "die Abwesenheit von Gewalt". Daran glaube ich.

Das klingt aber gar nicht mehr nach linkem Weltbild.

Was ist denn heute noch ein linkes Weltbild? Dass ich dafür bin, dass Thor-Steinar-Klamotten verboten werden?

Das ist erst einmal "nur" gegen Rechtsextremismus und kein Ausweis eines linken Weltbildes.

Stimmt. Links bedeutet vielleicht, dass ich dafür bin, dass der Staat mehr Verantwortung trägt. Es lassen mich aber auch ein paar Sachen glauben, dass es besser wäre, wenn der Einzelne mehr Verantwortung trägt als der Staat. Ich bin sehr weit weg von rechts; weit weg von einer Nationalstolz-Diskussion. Aber ich glaube nicht mehr an einfache Lösungen.

Wie rebellisch bist Du heute noch?

Es gibt den Wunsch, zu provozieren. Ich sage nicht umsonst auf der Bühne: "Wenn die No Angels gegen den Krieg sind, bin ich für den Krieg." Ich bin natürlich nicht für den Krieg, aber man muss sich schon überlegen, was eine sinnvolle politische Botschaft ist.

Manche Künstler wollen in drei Minuten eine politische Botschaft vermitteln...

Das ist schon okay, aber ich finde es sehr ambitioniert, in dreieinhalb Minuten gegen so etwas Komplexes wie das kapitalistische System anzusingen. Das macht für mich in den allermeisten Fällen keinen Sinn.

Wie gefällt Dir Pinks "Dear Mr. President"?

Sie singt "Dear Mr. President, can you take a walk with me". Nein, niemand will mit Pink durch die Gegend gehen. Das ist eine verlorene politische Geste, aber so Leute wie Pink fühlen sich wahnsinnig gut dabei, wenn sie das singen. Natürlich ist George Bush einer der katastrophalsten US-Präsidenten, die ich miterlebt habe. Das wissen aber ohnehin die meisten. Deswegen muss man nicht so einen flachen Song machen. Sie wollen, dass es menschelt.

Kannst Du Dir vorstellen, einen Song über Angela Merkel zu schreiben?

Wenn, dann nur positiv.

Warum?

Weil es die anderen ankotzen würde, wenn ich einen positiven Song über Angela Merkel schreiben würde.

Also doch wieder Rebellion?

Klar!

Was würde in dem Text drinstehen?

Dass ich es mag, dass sie unterm Tisch SMS schreiben kann und sich gleichzeitig mit Leuten unterhält und, dass ich es gut finde, dass mein Land von einer Frau repräsentiert wird, die fließend russisch spricht.

Findest Du Frau Merkel gut?

Es spielt kaum eine Rolle, ob wir von der CDU oder der SPD regiert werden. Das ist alles nur noch Style. Es geht um Typen. Es geht um Repräsentation. Die wirkliche Politik wird meines Erachtens nach zwischen Staatssekretären und Experten gemacht.

Wo bleibt da die Demokratie?

Die Demokratie ist da, aber komplexe Themen kannst du dem Bürger doch gar nicht erklären. Der versteht das nicht. Ich auch nicht. Ich erwarte auch nicht vom Forschungsminister, dass er sich mit Forschung auskennt. Er soll das Thema moderieren können.

Du bist kein Fan direkter Demokratie?

Lass die Leute mal abstimmen, ob sie die Todesstrafe wollen, nachdem in Kreuzberg drei Kinder umgebracht worden sind. Das Ergebnis wäre sehr interessant.

Also ist der Masse der Leute nicht zu trauen?

Die Leute sind schon okay. Aber ich glaube nicht an Sachen wie Objektivität. Die meisten Leute interessieren sich nicht für Politik, müssen sie auch nicht. Das Leben ist für viele anstrengend genug, die haben gar keine Zeit, sich politisch zu engagieren.

Brauchen die Deutschen einen Barack Obama, der sie aufweckt und polarisiert?

Es stellt sich schon die Frage, wo der coole junge Politiker ist, der in der SPD oder der CDU das Haus rockt. Ich setze einige Hoffnungen auf den neuen Grünen-Chef Cem Özdemir. Wenn der eine gute Rede auf dem Mariannenplatz hält und da 2.000 Punks und 4.000 türkische Familien kommen, das wäre eine extrem gute Sache.

Wer sind für Dich Rebellen dieser Zeit?

Ich glaube, Obama ist einer. Wie er sich nach außen präsentiert, das ist fast ein rebellischer Akt.

Ist der Literaturkritiker Marcel Reich-Ranicki ein Rebell für Dich, wenn er bei der Verleihung des Fernsehpreises den Preis ablehnt?

Sein Style war schon rebellisch. Ich finde es spannend, wenn er sagt, dass das Fernsehen intellektuell zu sein hat. Egal, ob das konstruiert war oder nicht. Es hat ja seine Wirkung nicht verfehlt.

Ist Bushidos Style rebellisch?

Nein, Bushidos Themen, unbenommen woher er kommt, sind für mich konservativ. In seinen Liedern geht's zum großen Teil nur darum: "Ich habe nichts, ich will das dicke Auto und Kohle, alles andere ist total uninteressant, Frauen muss man nicht ernst nehmen." Das sind konservative Werte. Für mich persönlich ist ein schönes Leben einem dicken Auto vorzuziehen.

Das Interview führte Anne Hähnig.