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Kurz notiert

06.04.2009
2023-08-30T11:23:52.7200Z
8 Min

Nachrichten aus dem

parlamentarischen Berlin

In der Wilhelmstraße, direkt an der Spree und damit nur wenige Meter entfernt vom Ort des politischen Geschehens in Berlin, liegt das ARD-Hauptstadtstudio. Leiter und Chefredakteur Fernsehen ist seit Mai 2007 Ulrich Deppendorf. Rund 200 Mitarbeiter produzieren im ARD-Hauptstadtstudio täglich Nachrichtenbeiträge, Hintergrundinformationen und Kommentare zum politischen und parlamentarischen Geschehen. Für das Fernsehen arbeiten 29 Journalisten: davon 22 in der Fernsehgemeinschaftsredaktion der ARD, die die Nachrichtenmagazine des Ersten beliefert und das Magazin "Bericht aus Berlin", das jeweils Sonntags um 18.30 Uhr ausgestrahlt wird, produziert. Weitere sieben TV-Korrespondenten versorgen außerdem die regional ausgestrahlten Nachrichtenmagazine der Dritten Fernsehprogramme oder Sendungen wie das "Morgenmagazin" und "Report" mit Nachrichten aus dem politischen Berlin.

Direkt aus dem Zollernhof

Das ZDF hat sein Hauptstadtstudio im "Zollernhof" - direkt an der Berliner Flaniermeile Unter den Linden. Die Redaktion, seit September 2001 geleitet von Peter Frey, beliefert alle aktuellen Sendungen des ZDF mit Beiträgen über das politische Geschehen in der Bundeshauptstadt. Sonntags um 19.10 Uhr wird das im Hauptstadtstudio produzierte und abwechselnd von Peter Frey und Peter Hahne moderierte Politmagazin "Berlin direkt" ausgestrahlt. Für das ZDF-Hauptstadtstudio arbeiten rund 250 festangestellte und etwa 200 freie Mitarbeiter - vom Archivmitarbeiter bis zum Veranstaltungsmeister. Im Zollernhof wird - neben den Magazinen Aspekte und Frontal 21 - auch die politische Talkrunde "Maybrit Illner", die Donnerstagsabends ausgestrahlt wird, produziert.

Bundestagebücher

im Ereigniskanal

Am intensivsten dokumentiert der von ARD und ZDF gemeinsam betriebene Ereignis- und Dokumentationskanal Phoenix das parlamentarische Leben in Berlin. Standort des Senders ist das Gebäude des ehemaligen Bonner ZDF-Studios, das von ZDF und WDR gemeinsam unterhalten wird. Als Programm-Geschäftsführern fungieren der vom ZDF berufene Christoph Minhoff und Michael Hirz von der ARD. Neben ausführlichen Übertragungen von Bundestagsdebatten zeigt Phoenix unter dem Titel "Nachwuchspolitiker im Blog" seit Februar dieses Jahres monatlich bis September 2009 eine begleitende Reportage zum bereits im Internet bestehenden Phoenix-"Bundestagebuch - MdB 2.0" über das Leben, Arbeiten und Wirken fünf Bundestagabgeordneter, die alle jünger als 35 sind.

Ungekürzt im Internet

Das vom Deutschen Bundestag produzierte Parlamentsfernsehen ist derzeit für Fernsehzuschauer nur in einem kleinen Ausbaugebiet in Berlin über den Anbieter Kabel Deutschland zu empfangen. Das komplette Programm mit ungekürzten und unkommentierten Debatten gibt es im Internet unter: www.bundestag.de/aktuell/tv/index.html.

Wo die Diener Frack tragen

Aufmerksame Fernsehzuschauer bemerken ihn bisweilen bei Übertragungen von Plenardebatten des Bundestages: den Saaldiener, gut erkennbar an seinem Frack. Als einzige Gruppe im Parlament gibt es für die Saaldiener eine Kleiderordnung, doch sie waren nicht immer mit Frack ausgestattet: Erstmals wurde das vornehme Bekleidungsstück im Januar 1955 getragen. Der damalige Bundestagspräsident Eugen Gerstenmaier hatte in Anlehnung an die Bekleidung der Diener in der französischen Botschaft vorgeschlagen, die Saaldiener mit einem Frack zu versehen.

Bundesadler auf den Knöpfen

70 Prozent der auch Plenarassistenten genannten Saaldiener sind mittlerweile weiblich. Vor ihrem ersten Einsatz wurde für sie extra ein eigenes Kostüm entworfen und aus dem gleichen Stoff gefertigt wie der Frack ihrer männlichen Kollegen, goldfarbene Manschettenknöpfe sind mit dem Bundesadler versehen. Getragen wurde das Kostüm zum ersten Mal bei der Plenarsitzung am 19. Januar 1989 - exakt 70 Jahre nach der Wahl der Weimarer Nationalversammlung, bei der Frauen erstmals abstimmen konnten.

»Onkel Herbert« nur Zweiter

Die Frage, wer sich in der Geschichte des Bundestages die meisten Ordnungsrufe einfing, beantworten auch gestandene Beobachter des parlamentarischen Geschehens geradezu reflexhaft mit Herbert Wehner, dem langjährigen Vorsitzenden und "Zuchtmeister" der SPD-Fraktion. Tatsächlich aber wird "Onkel Herbert" in der Statistik auf den zweiten Platz verwiesen von dem KPD-Abgeordneten Heinz Renner, der sich in der ersten Wahlperiode 47 Ordnungsrufe einhandelte. Wehner brachte es in neun Legislaturperioden lediglich auf 45.

Der Zwei-Tage-MdB

Keiner gehörte dem Bundestag so kurz an wie Joachim Gauck, der am 3. Oktober 1990 durch die Wiedervereinigung mit 143 anderen Volkskammer-Abgeordneten Mitglied des Bundestages wurde. Schon am 4. Oktober gab er sein Mandat zurück, weil er Regierungsbeauftragter für die Stasi-Akten wurde. Am längsten gehörte dem Parlament sein früherer Präsident Richard Stücklen an, der es vom 7. September 1949 bis zum 20. Oktober 1990 auf 41 Jahre, 1 Monat und 13 Tage brachte.

Sprint und Marathon

Auch im Bundestag kann es manchmal ganz schnell gehen: Gerade einmal eine Minute -von 9.00 Uhr bis 9.01 Uhr - währte am 13. März 1974 die kürzeste Plenarsitzung. Die längste fand am 24. November 1949 statt, sie dauerte von 10.30 Uhr bis 6.23 Uhr morgens. Abzüglich der Unterbrechungen kam diese Sitzung allerdings "nur" auf 814 Minuten. Zieht man die Unterbrechungen ab, war die längste Sitzung die vom 28. November 1985 - mit 1.279 Minuten Dauer.

Die parlamentarische Demokratie in Deutschland hat sich bewährt. Sie hat sich seit 1949 auch verändert. Aus der Bonner Republik wurde die Berliner Republik.

Meinungs- und Parteienvielfalt gehören heute zum Wesen unserer Demokratie, ebenso die Transparenz. Manches hat sich das Volk selbst erkämpft, zum Beispiel die Selbstverständlichkeit von Demonstrationen, die auch Meinungsäußerung sind. Und nun braucht die Zukunft des Parlamentarismus, dass das Parlament etwas von seiner Kompetenz abgibt. Volksentscheide sollten als direkte demokratische Entscheidungen das Kreuzchen alle vier Jahre ergänzen.

Für Migrantinnen und Migranten sollte jetzt das kommunale Wahlrecht kommen, damit sie Rechte und Pflichten bei der Gestaltung ihres Umfeldes haben. Die Zukunft des Parlamentarismus braucht also nach 60 Jahren Grundgesetz dringend eine Modernisierung.

Mehr Transparenz

Bevor ich es vergesse: Mitten im Parlament liegt auch etwas im Argen. Krisenentscheidungen werden in geheim tagenden Finanzgremien besprochen und immer mehr wird im Koalitionsausschuss anstatt im Plenum und in den Ausschüssen des Bundestages erörtert.

Wenn das so weitergeht, werden die Bürgerinnen und Bürger auch nicht mehr vom Parlament überzeugt sein. Transparenz muss her!

Das auf dem Grundgesetz basierende parlamentarische System der Bundesrepublik Deutschland hat sich bewährt und muss dennoch erweitert und ergänzt werden.

Obwohl das Grundgesetz nie in einem Volksentscheid angenommen wurde, handelt es sich um eine zivilisatorische Errungenschaft.

Mit der Wiedervereinigung hätte 1990 die Chance für eine neue Verfassung bestanden, in denen auch die Erfahrungen aus der DDR hätten Eingang finden können. Doch diese Chance wurde durch die Arroganz der Herrschenden verspielt. Die parlamentarische Demokratie muss aber dringend weiterentwickelt werden. Im Grundgesetz muss das Sozialstaatsprinzip präzisiert werden.

Das Prinzip der repräsentativen Demokratie sollte durch die Möglichkeiten der direkten Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger erweitert und ergänzt werden.

Mehr Volksbegehren

Die Bürgerinnen und Bürger sollten bei der Bundestagswahl auf der von ihnen gewählten Liste einer Partei bis zu drei Kandidatinnen und Kandidaten ankreuzen dürfen, um zu entscheiden, welche Personen über die Liste ins Parlament einziehen. Darüber hinaus sollte der Souverän durch die Einführung von Volksbegehren und Volksentscheiden gestärkt werden. Das wäre zugleich ein wichtiger Beitrag gegen die zunehmende Politik-, Parteien- und letztlich auch Demokratieverdrossenheit.

Unser Grundgesetz und unser dort verfasster Parlamentarismus sind eine große Erfolgsgeschichte.

Wir haben eine funktionierende Demokratie, die allerdings keine Selbstverständlichkeit ist, sondern immer wieder verteidigt werden muss - gegen aktive Verfassungsgegner genauso wie gegen eine schleichende Erosion durch falsche politische Kompromisse.

Zum Beispiel wurde die anfangs klare Zuordnung von Bundes- und Länderzuständigkeiten zunehmend aufgeweicht.

Finanzbeziehungen neu ordnen

Insbesondere die Finanzbeziehungen zwischen dem Bund und den Bundesländern zum einen, innerhalb der Bundesländer und zwischen Ländern und Kommunen auf der anderen Seite warten darauf, wieder neu geordnet zu werden.

Bessere Gesetze

Die Praxis von inzwischen mehreren Bundesregierungen, das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe zum ständigen Reparaturbetrieb eines grundrechtsblinden Gesetzgebers zu machen, gehört dringend gestoppt.

Und: Wir brauchen weniger, aber bessere Gesetze - Gesetze müssen verständlich, übersichtlich und in ihren Auswirkungen vorhersehbar sein.

Man kann sicher manches am parlamentarischen System unserer Bundesrepublik noch verbessern, aber es ist unzweifelhaft die beste politische Ordnung, die es je auf deutschem Boden gegeben hat.

Verglichen mit den Parlamenten anderer europäischer Länder hat der Deutsche Bundestag eine sehr starke Stellung gegenüber der Bundesregierung. Wir können mit Recht sagen, dass er auf eine 60-jährige Erfolgsgeschichte verweisen kann und entscheidend mit dazu beigetragen hat, dass wir eine geglückte Demokratie aufgebaut haben.

Der Bundestag hat sich im Laufe der Jahrzehnte immer wieder selbst reformiert und damit seine Lebendigkeit unterstrichen.

Britische Fragestunde einführen

Heute haben wir ein minderheitsfreundliches Parlament, das der Opposition weitgehende Rechte gibt. Gerade in diesen Tagen sind wir dabei, das Parlament weiter zu stärken, indem wir seine Rechte bei der Kontrolle der Geheimdienste ausbauen.

Die Reform des Bundestages muss ein immerwährender Prozess sein. Es wird notwendig bleiben, die Struktur der Debatten immer wieder zu überprüfen, um sie für den Souverän, die Bürger, spannend und interessant zu gestalten. Wir werden nie aus den Augen verlieren dürfen, dass unsere Debatten möglichst nah an der Aktualität und damit auch an den Erwartungen der Menschen sein müssen.

Ich hätte nichts dagegen, das Parlament lebendiger zu gestalten, indem wir uns die britische Form der Fragestunden zu eigen machten und damit die Regierung noch nachvollziehbarer der Kontrolle unterziehen könnten.