Piwik Webtracking Image

»Wieder mehr Staat«

KLAUS BARTHEL Der SPD-Abgeordnete und Wirtschaftsexperte sieht die Privatisierung öffentlicher Leistungen skeptisch

11.01.2010
2023-08-30T11:25:44.7200Z
5 Min

Herr Barthel, die Politik hat in den vergangenen zwanzig Jahren in großem Stil auf die Privatisierung öffentlicher Leistungen und Unternehmen gesetzt. Haben sich die hohen Erwartungen, die damit verbunden waren, erfüllt?

Seit ich im Parlament bin, beschäftige ich mich mit Bereichen, die der Privatisierung und Liberalisierung unterworfen sind. Am Anfang gab es viel Euphorie, viele Hoffnungen, weil man den verkrusteten staatlichen Strukturen entkommen wollte. Man dachte, alles werde besser: die Leistungen, die Preise. Die Erwartungen haben sich nur zum Teil erfüllt. Seit einiger Zeit aber tritt doch in den meisten Bereichen eine große Ernüchterung ein - und damit auch ein Bewusstseinswandel.

Wie fällt Ihre Bilanz aus?

Bislang kann man für die bundeseigenen Unternehmen auch nach 15 Jahren Privatisierungen nur eine Zwischenbilanz ziehen. Wir sind immer noch nicht am Ende der Geschichte angekommen. Bei der Telekommunikation haben wir den längsten Rückblick auf eine vollständige Liberalisierung. Auch wenn wir hier aus wettbewerbspolitischer Sicht die beste Bilanz aufzuweisen haben, komme ich zu einem zwiespältigen Urteil. So diskutieren wir etwa seit Jahren über die Frage, wie wir überall Breitbandanschlüsse hinbekommen. Man sollte doch meinen, dass es möglich ist, auch die letzten zehn Prozent der Bundesrepublik noch abzudecken. Aber wir kommen bei dem Thema einfach nicht voran.

Der Gesetzgeber hat doch die Macht über die Marktregulierung.

Richtig. Die Regulierung war in den Anfangsjahren ja auch durchaus erfolgreich. Wir sind aber jetzt in einer Situation, wo die Regulierung auf einen grundlegenden Widerspruch stößt. Wettbewerb und Investitionsanreize müssen in Einklang gebracht werden. Das ist schwierig. Wir müssen einerseits sicherstellen, dass die Investitionen in neue Netze zügig und möglichst flächendeckend vorangehen. Und hier sind wir im Moment in einer Klemme, weil die Regulierung auch dazu führt, dass Investitionen zurückgehalten werden. Derzeit bremst beispielsweise die Deutsche Telekom ihre Investitionen in neue Netze, weil die Regulierung dazu führt, dass die Rendite- erwartungen an den Kapitalmärkten mit Netz-Investitionen nicht mehr erreicht werden. Die Regulierung muss deshalb nachjustiert werden.

Was sagen Sie zur Post, war die Privatisierung hier denn erfolgreich?

Auch auf dem Postmarkt sind die Dinge noch in Bewegung. Hier wurde gerade erst endgültig liberalisiert, der Wettbewerb ist noch gar nicht richtig in Gang gekommen. Die Post AG hat immer noch 90 Prozent Marktanteil. Aber man kann schon eine Zwischenbilanz ziehen: Bei der Post sind mehr als 100.000 Arbeitsplätze verlorengegangen, und bei den Wettbewerbern entstehen nur relativ wenig neue Stellen - die meist auch noch schlecht bezahlt sind. Die Qualität der Leistungen ist leider auch nur teilweise besser geworden.

Ihre Bilanz fällt demnach negativ aus?

Bei der Post haben wir ähnliche Probleme wie bei der Telekommunikation. Die Kluft zwischen Stadt und Land wird größer. Als postpolitischer Berichterstatter bekomme ich stapelweise Zuschriften. Zum Beispiel von Bürgermeistern, die sich darüber beklagen, dass wieder Filialen geschlossen oder Briefkästen abgeschraubt werden. Im Grundgesetz steht schließlich, dass der Bund ein gewisses Versorgungsniveau garantiert. Wir aber laufen den Strategien eines Großkonzerns und seiner Wettbewerber hinterher. Die gehen natürlich lieber dorthin, wo der Markt brummt.

Sind Sie als ehemaliger Vorsitzender des Ausschusses für Post und Telekom unzufrieden mit der Entwicklung?

Natürlich. Es gibt viel Verdruss bei den Bürgern. Sie sagen schließlich ganz zu Recht: Energie, Post, Telekommunikation, öffentliche Verkehrsmittel - das sind doch unsere unmittelbaren Bedürfnisse. Und jetzt treten da überall Probleme auf. Die Energiekonzerne zocken uns ab. Telefonzellen werden abgebaut. Das Internet kommt nicht zu uns ins Dorf. Die Post macht zu. Und die Züge kommen entweder zu spät oder sind kaputt. Das sind Bereiche, von denen viele Menschen erwarten, dass sich die Politik darum kümmert. Also klassische Daseinsvorsorge. Dafür hat der Staat, die Gemeinde, das Land, zu sorgen. Die Politik steht aber nach einer Privatisierung meist vor dem Problem, dass sie gar nicht mehr die Instrumente hat, um die Erwartungen der Menschen zu erfüllen.

Der Staat gibt aus Ihrer Sicht unnötig Gestaltungsmöglichkeiten aus der Hand?

Ja. Das betrifft den Bund genauso wie die Kommunen. Immer mehr Bürger und Kommunalpolitiker fragen sich, was man überhaupt noch gestalten kann, wenn man zum Beispiel die Hoheit über die Energienetze an Konzerne überträgt. Und deshalb gibt es diesen Bewusstseinswandel.

Die Rekommunalisierung im Energiesektor findet demnach ihre Zustimmung?

Der Trend, dass viele Kommunen ihre Netze wieder in die eigenen Hände nehmen und in die Stromerzeugung investieren, ist aus meiner Sicht sehr zu begrüßen. Ich sehe darin fast den einzigen Weg, um die Macht der vier großen Energieerzeuger zu begrenzen. Vor allem im Bereich der Erzeugung, aber auch bei der Verteilung. Eine Kommune kann eine längerfristige Perspektive einnehmen als ein Stromkonzern, der in kurzer Zeit hohe Renditen machen will. Kommunen können so besser umsetzen, was die Bevölkerung von der Politik erwartet. Wenn wir wirklich aus der Kernenergie aussteigen und das Klima schonen wollen, dann haben wir hier eine Möglichkeit, das selbst in einer überschaubaren Zeit hinzubekommen. Und was hat eine Kommune davon, wenn große Konzerne Jobs outsourcen und die Menschen dann mit Sozialleistungen über die Runden gebracht werden müssen? Hier bietet die Rekommunalisierung eine große Chance.

Es hört sich so an, als hielten Sie den Staat für den besseren Unternehmer.

Die entscheidende Frage ist nicht "Markt oder Staat". Am Anfang muss immer die Überlegung stehen, was wir erreichen wollen. Und erst dann kann man die Frage beantworten, ob der Markt oder der Staat hierfür das bessere Instrument ist. In der Energiepolitik wollen wir zum Beispiel aus der Kernenergie aussteigen. Wir wollen Versorgungssicherheit. Wir wollen angemessene Tarife. Wir wollen gute Arbeitsplätze, also kein Lohn- und Sozialdumping. Und wir wollen schließlich, dass wir noch was zu sagen haben, also nicht der Macht der Konzerne ausgeliefert sind. Entlang solcher Kriterien muss man dann seine Philosophie von Regulierung, Privat und Staat ausrichten. Man muss überlegen, mit welchem Instrument man am ehesten zum Ziel kommt. Die Frage, wer es macht, ob Staat oder Privat, ist die Frage nach dem Instrument. Aber den Inhalt muss man vorher festlegen.

Wenn Sie Ihre Kriterien an die Bahn anlegen, sollte sie an die Börse gehen?

Die Bahn muss nach meiner Auffassung ein öffentliches Unternehmen bleiben. Sie sollte ein umweltfreundliches Verkehrsmittel sein, Versorgungssicherheit in der Fläche bieten, bezahlbare Tarife, eine gute Qualität und anständige Jobs. Und schließlich sollte sie nach den Bedürfnissen der Bürger steuerbar sein. Das kann man mit Marktgesetzen nicht erreichen. Es gibt auf der ganzen Welt kein Beispiel, wie eine Bahn diese öffentlichen Aufträge erfüllen und gleichzeitig eine hohe Rendite erwirtschaften kann.

Über welche Bereiche sollte der Staat aus Ihrer Sicht noch die Hand halten?

Trinkwasser würde ich auf jeden Fall dazu zählen. Gesundheitsversorgung und Bildung sind ebenfalls eindeutig öffentliche Aufgaben. In den anderen Bereichen wird sich zeigen, wer es besser kann. Aber ich bin überzeugt, dass wir wieder sehr viel stärker bei öffentlichen Unternehmen landen werden. Wir müssen dann aber auch bei denen neue Strukturen schaffen, damit sie ihre Aufgaben gut und effizient erfüllen können.

Das Interview führte Peter Hahne.

Klaus Barthel (54) ist seit 1994

Bundestagsabgeordneter der SPD.