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Es geht langsam wieder bergauf

WIRTSCHAFT Regierung erhöht Wachstumsprognose auf 1,4 Prozent. Opposition spricht von Trickserei und Lyrik

01.02.2010
2023-08-30T11:25:46.7200Z
4 Min

Dauerhaftes Wachstum erreichen wir nur mit niedrigen Steuern": Das war eine der Kernbotschaften von Bundeswirtschaftsminister Rainer Brüderle (FDP) in der wirtschaftpolitischen Debatte des Bundestags am 28. Januar. "Möglichst zum 1.1.2011" solle die Einkommensteuer per Stufentarif "gerechter werden", zudem "die Belastung spürbar sinken". Gleichzeitig bekenne sich Schwarz-Gelb zur Konsolidierung des Haushalts.

Der Jahreswirtschaftsbericht 2010 der Bundesregierung (17/500) nennt Fakten: Er unterstellt ein Wachstum von 1,4 Prozent und eine jahresdurchschnittliche Arbeitslosenquote von 8,9 Prozent (3,7 Millionen Arbeitslose, ein Plus von 320.000). Der Wirtschaftsminister setzte nicht nur in der Steuerfrage Akzente: "Forschung und Bildung sind der Schlüssel für Wachstum." Brüderle mahnte außerdem: "Fortschritt per se zu verteufeln", halte er "auch ethisch für falsch".

Striktere Regeln

Überdies hob Brüderle die "Beschäftigungsstabilität trotz Wachstumseinbruch" hervor und lobte den "pragmatischen und verantwortungsvollen" Umgang der Tarifpartner mit der flexiblen Arbeitszeit. Doch die sei "ein teures Instrument für Unternehmer und Staat" und dürfe "nicht Dauerinstrument werden".

Der Minister verlangte eine "Rückkehr zu Maß und Mitte" auf den Finanzmärkten und sprach sich für striktere Regeln aus. Jedem Akteur müsse klar gemacht werden: "Der Staat kann auch anders." Und: "Ihr haftet am Ende für euer Risiko und nicht der Steuerzahler."

Für die SPD-Bundestagsfraktion konterte ihr stellvertretender Vorsitzender Hubertus Heil. Es sei "kein Wunder", dass Minister Brüderle auf das zweite Papier, das zur Debatte stand, gar nicht eingegangen sei: das im Dezember vorlegte Jahresgutachten des Sachverständigenrates zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung (17/44). "Ziemlich peinlich" falle es schließlich für die Koalition aus, meinte Heil. Die Experten gehen darin mit dem Koalitionsvertrag hart ins Gericht: "Die Ausführungen zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte stellen Allgemeinplätze dar und können in keiner Weise überzeugen", heißt es. Die Gutachter bemängeln zudem, dass zusätzliche Steuerentlastungen von 24 Milliarden Euro versprochen werden, ohne auf die Finanzierung einzugehen".

37 Milliarden sparen

Die Sachverständigen rechnen einen Konsolidierungsbedarf des Bundeshaushalts von 37 Milliarden Euro bis 2016 vor. Das könne nicht gelingen "ohne harte Einschnitte bei den öffentlichen Ausgaben oder ohne eine Erhöhung von Steuern oder anderen Abgaben".

Heil erklärte im Bundestag, die Koalition habe "keine Konzepte, keine Ideen - und wenn, dann in der falschen Richtung". Sie sei "den Aufgaben nicht gewachsen". Die Binnennachfrage leide unter der "Verunsicherung" der Bürger: Noch vor der Landtagswahl im Mai in Nordrhein-Westfalen müsse Schwarz-Gelb "Pläne auf den Tisch legen", forderte Heil. Es werde sich erweisen: "Das dicke Ende kommt noch."

Joachim Pfeiffer (CDU/CSU) bezeichnete dauerhaftes Wachstums als "die Herausforderung der nächsten Jahre". Zwar sei Deutschland besser als erwartet durch die Krise gekommen, doch gebe es "keinen Anlass zu Friede, Freude, Eierkuchen: Wir sind noch nicht über den Berg." Zu den Rahmenbedingungen für Wachstum zählt Pfeiffer eine Verbesserung der Finanzaufsicht und "Milliardenentlastung durch Bürokratieabbau". Ein besonderes Augenmerk legte er auf ein "intelligentes Energiekonzept" mit der "Rücknahme der verkürzten Laufzeiten von Kernkraftwerken".

Mit einem Rundumschlag wartete Sahra Wagenknecht (Die Linke) auf: "Tricksen, täuschen, verschleppen, betrügen", hielt sie der Koalition vor. Sie kritisierte ein Konzept, bei dem "alles Wachstum am Export" hänge. Vielmehr gebe es ein "Nachfrageproblem, weil Millionen Menschen nicht mehr das Geld in der Tasche haben" - ein "Ergebnis von Sozialabbau". Sie prangerte die "wilde Entschlossenheit dieser Koalition" an, mit der sie "die öffentlichen Haushalte in den Ruin treibt". Ihr Fazit: "Der wirtschaftliche Kurs der Bundesregierung ist ein Crash-Kurs."

Fritz Kuhn (Bündnis 90/Grüne) machte in dem Jahreswirtschaftsbericht "nur allgemeine Lyrik über Konsolidierung" aus. Es werde nicht angesprochen, "wie einzelne Posten zu finanzieren sind". Die Koalition ver-liere "den Blick auf die Realität". Kuhn hielt dem Wirtschaftsminister "Wachstumsfetischismus" vor. Gefragt werden müsse, was Gesellschaft, Natur und Klima "gut tut und was es zerstört". Bei der Erörterung, wer die Kosten dieser Finanzkrise bezahle, müsse auch über den Spitzensteuersatz und eine Vermögensabgabe nachgedacht werden.

Noch keine Kreditklemme

Christian Lindner (FDP) verwies darauf, dass schon der Begriff Steuergeschenke "entlarvend" sei: "Nicht der Staat finanziert die Bürger, sondern die Bürger finanzieren den Staat."

In ihrem Jahreswirtschaftsbericht sieht die Bundesregierung noch keine flächendeckende Kreditklemme. Die sinkende Nachfrage nach Krediten sei Ursache für die rückläufige Kreditvergabe. Allerdings hätten die Finanzierungsschwierigkeiten der Unternehmen zugenommen, räumt die Bundesregierung ein und warnt: "Die wirtschaftliche Erholung darf nicht durch einen Mangel an Finanzierungsmöglichkeiten gefährdet werden." Der Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung sagte Garantien von 147 Milliarden Euro zu. Die zugesagten Eigenkapitalhilfen betragen 28 Milliarden Euro. Außerdem wurden Unternehmen aus dem KfW-Sonderprogramm und dem Bürgschaftsprogramm 10,2 Milliarden Euro zugesagt.