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Spagat zwischen Identität und Professionalität

WEHRPFLICHT Abschaffen oder beibehalten - darüber diskutieren die Parteien derzeit rege. Ein Markenzeichen wankt

23.08.2010
2023-08-30T11:26:02.7200Z
4 Min

Die Pläne von Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU) für eine Abkehr von der Wehrpflicht nehmen langsam Gestalt an. Käme es dazu, würde dies eine historische Zäsur in der Geschichte der Bundesrepublik sein. Die Wehrpflicht sei ein Markenzeichen der deutschen Demokratie nach dem Zweiten Weltkrieg, sagen viele ihrer Befürworter. Für ihre Gegner ist sie ein Überbleibsel aus der Zeit des Kalten Krieges.

Im Jahre 1956 wurde die allgemeine Wehrpflicht in der Bundesrepublik eingeführt. Die ersten Bundeswehr-Rekruten rückten 1957 in die Kasernen ein. Seither wurden mehr als acht Millionen junge Menschen einberufen. Ein starkes Pfund, mit dem die Bundeswehr stets zu wuchern wusste.

Noch 1996 begründete der damalige Generalinspekteur Hartmut Bagger die Beibehaltung der Wehrpflicht mit den Worten: "Für viele scheint das stärkste Argument für eine Berufsarmee die damit verbundene Professionalisierung zu sein. Wehrpflicht und Professionalität schließen sich aber nicht gegenseitig aus." Die Wehrpflicht, argumentierte Bagger, schaffe darüber hinaus die Möglichkeit, das gesamte Potenzial an Intelligenz, Fähigkeiten und beruflicher Ausbildung der jungen Bürger zu nutzen: "Wir profitieren von diesem Potenzial nicht nur bei den Wehrpflichtigen, wir gewinnen aus ihm auch die Hälfte unseres Führernachwuchses an Offizieren und Unteroffizieren." Für Bagger hingen Qualität und Kultur der Führung in der Bundeswehr, aber auch die Professionalität wesentlich von der Wehrpflicht ab: "Der mit einer Freiwilligenarmee häufig verbundene Verzicht auf Pluralität kann zu einem Verlust an geistiger Vitalität führen", warnte er und sah in der Wehrpflichtarmee zudem die "intelligentere Armee" und den einzelnen Soldaten als "Bürger in Uniform", dessen Leitbild seit 1956 im Soldatengesetz verankert war.

Baggers Einstellung ist auch heute noch in weiten Kreisen der Bundeswehr anzutreffen. Nicht umsonst sorgt sich deshalb der Bundeswehrverband im Falle einer Freiwilligenarmee um qualifizierten Nachwuchs. Nach Auffassung von Guttenberg sollte deshalb die Wehrpflicht - egal, welche Truppenstärke die Bundeswehr demnächst einnehmen wird - auch in jedem Fall im Grundgesetz verankert bleiben. Das sei schon deswegen erforderlich, um eine Rückfallposition für den Fall zu haben, wenn die Truppenstärke für die Landesverteidigung oder einen Bündnisfall plötzlich wieder aufgestockt werden müsste.

Für Ulrich Kirsch, Chef des Bundeswehrverbandes, käme eine Aussetzung der Wehrpflicht aber de facto einer Abschaffung "sehr nahe". Die Bundeswehr könnte im "Kampf um die klügsten Köpfe und geschicktesten Hände" ins Hintertreffen geraten, fürchtet er: "Wir stehen dann in Konkurrenz mit Firmen wie der BASF, BMW, aber auch wirklich guten mittelständischen und kleinen Unternehmen. Und die sind natürlich wesentlich flexibler, sich auf veränderte Lagen einzustellen als ein solch großer Apparat wie die Bundeswehr."

Aussetzung oder Abschaffung der Wehrpflicht - in den Parteien wird in diesem Herbst fleißig über die Zukunft der Wehrpflicht diskutiert. In großen Teilen der Union - darunter auch beim Fraktionsvorsitzenden Volker Kauder - ist die Beibehaltung der Wehrpflicht eine "Identitätsfrage". Zu ihr hat sie insbesondere der bayerische Ministerpräsident Horst Seehofer stilisiert. Sie habe eine "noch größere Bedeutung als die Gesundheitsreform", sagte der CSU-Parteichef und Parteikollege des Verteidigungsministers. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe pflichtet ihm unisono bei: "Hier darf nichts übers Knie gebrochen werden. Ich bin entschieden der Meinung, dass die Partei das Wort bekommen muss, bevor die Regierung über die Zukunft der Wehrpflicht entscheidet."

Für die FDP ist dies eigentlich kein Thema. Für den kleineren Partner in einer derzeit nicht gerade reibungslos laufenden Regierungskoalition aber schon. Als FDP sind die Liberalen schon seit geraumer Zeit gegen eine Beibehaltung der Wehrpflicht. Als Außenminister und Vizekanzler agiert Guido Westerwelle jedoch weitaus vorsichtiger. Er plädiert dafür, die Wehrpflicht auszusetzen: "Es dienen nur noch knapp

16 Prozent eines Jahrgangs als Wehrpflichtige. Mit Wehrgerechtigkeit hat das nichts mehr zu tun", sagt er in vielen Interviews. "Deshalb gehört die Wehrpflicht ausgesetzt."

Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel hat sich wiederholt für eine Beibehaltung der Wehrpflicht ausgesprochen. Er glaubt, dass es wichtig ist, in Deutschland keine Berufsarmee zu schaffen. Eine Berufsarmee habe die Tendenz, sich zu isolieren. Deshalb solle, argumentiert Gabriel, über ein Konzept beraten werden, "bei dem im Zweifel alle gemustert werden, aber nur die gezogen werden, die sagen: Ich bin bereit zu kommen. Das ist ein Konzept, auf das wir uns einigen können."

Freiwilliger Dienst

Klar für eine vollständige Abschaffung der Wehrpflicht treten die Grünen ein. "Ein Festhalten an der Wehrpflicht behindert die Weiterentwicklung und Modernisierung der Bundeswehr", schreiben unter anderem die Grünen-Politiker Omid Nouripour und Tom Koenigs in einem Positionspapier ihrer Partei. Sinnvoll sei deshalb ein "freiwilliger militärischer Kurzdienst von zwölf bis 24 Monaten".

Ebenso gegen die Wehrpflicht ist Die Linke. Ex-Parteichef Oskar Lafontaine schlägt eine Art Friedenstruppe in der Bundeswehr vor, die weltweit Naturkatastrophen und Unglücke bekämpft. Soldaten als sogenannte Grünhelme - besser ausgerüstet als das technische Hilfswerk - könnten humanitär intervenieren und die Folgen von Bränden, Überschwemmungen und Ölkatastrophen bekämpfen, sagt er.