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Neue Hoffnung für »Fischtown«

ORTSTERMIN WEST II Nach Strukturkrise und US-Abzug setzt Bremerhaven auf Tourismus

06.09.2010
2023-08-30T11:26:03.7200Z
2 Min

Es ist nur wenige Jahre her, da fühlten sich viele Bremerhavener wie Ostdeutsche nach der Wende. "Eine tote Stadt ist das", schimpfte ein Gast im "Treffpunkt Kaiserhafen", der "letzten Kneipe vor New York". Der junge Schweißer war 1989 von Ost-Berlin an die Außenweser gewechselt. Zum Glück hatte er sich den richtigen Arbeitgeber gesucht: Die Lloyd-Werft ist fast der einzige Schiffbauer in Bremerhaven, der das Werftensterben der vergangenen Jahrzehnte überlebt hat.

Ganz anders die traditionsreiche Rickmers-Werft. 1986 musste sie schließen. Auf dem Betriebsgelände errichtete das Arbeitsamt (heute: Agentur für Arbeit) einen riesigen Neubau. Bedarf dafür gab es genug, denn der lokale Arbeitsmarkt hatte im Laufe der Jahrzehnte mehrere Tiefschläge zu verwinden: nicht nur die Werftenkrise samt Vulkan-Konkurs, sondern auch das Ende der einst größten Fischereiflotte Europas. Dazu kam nach 1990 der Abzug von 2.000 kaufkräftigen US-Soldaten, der zugleich 1.100 Zivilangestellte überflüssig machte, als die amerikanischen Streitkräfte nach der Deutschen Einheit ihren Einschiffungs- und Versorgungshafen in der Bundesrepublik aufgaben.

Mit nur leichter Übertreibung nannte eine Zeitung die schrumpfende Hafenstadt "Deutschlands Armenhaus". Oberbürgermeister Jörg Schulz (SPD) rief 2004 nach Bundeshilfe für einen "Aufbau West", vergeblich. 2005 lag die Arbeitslosenquote bei 25 Prozent, ähnlich wie im Osten. Und die Weltwirtschaftskrise macht dem einst boomenden Container- und Autoumschlagshafen noch immer zu schaffen.

Aber "Fischtown", wie die Einheimischen sagen, versucht inzwischen, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen: Die 115.000-Einwohner-Stadt setzt mit Erfolg auf den Fremdenverkehr. An längst stillgelegten Hafenbecken in der City entstanden nach und nach die "Havenwelten", ein Ensemble aus Touristenattraktionen: Seit 2005 beleuchtet das Deutsche Auswandererhaus die Geschichte der millionenfachen Emigration via Bremerhaven in die Neue Welt. Im 2009 eröffneten Klimahaus haben bereits im ersten Jahr über 800.000 Besucher die verschiedenen Erdzonen durchwandert. Nebenan steht ein mediterran angehauchtes Einkaufszentrum. Und alles wird überragt von einem segelförmigen Hotelhochhaus im Dubai-Stil.

Etwas abseits liegt das Deutsche Schifffahrtsmuseum, das für 100 Millionen Euro auf Vordermann gebracht werden soll, diesmal auch mit Bundesmitteln. Bremerhaven eine tote Stadt? Das sagen heute nicht mehr viele.

Der Autor lebt als freier Journalist in Bremen.