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Zum Handeln entschlossen

NACH EU-GIPFEL Europaparlament will umfassendes Mitspracherecht bei Regeln zum Krisenmechanismus

20.12.2010
2023-08-30T11:26:11.7200Z
4 Min

Nach Wochen des Streits ist den 27 Staats- und Regierungschefs bei ihrem Gipfel am vergangenen Donnerstag und Freitag in Brüssel der Schulterschluss gelungen. Sie einigten sich auf eine Vertragsänderung und schufen so die Grundlage für einen dauerhaften Rettungsmechanismus in der Eurozone, der 2013 in Kraft tritt. "Es war ein guter Tag für Europa", sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Donnerstagabend in Brüssel.

Mit ihrem Beschluss setzen die Politiker das Signal, dass sie geschlossen hinter der Gemeinschaftswährung stehen. "Der Euro ist ein zentraler Bestandteil der europäischen Integration und wird das bleiben", heißt es in der Abschlusserklärung. Der harsche Ton der Auseinandersetzung hatte zuvor an den Finanzmärkten Zweifel aufkommen lassen, ob die Staaten der Eurozone einen gemeinsamen Weg aus der Krise finden würden.

Manchen kommt die Brüsseler Einigung allerdings zu spät. "Der Gipfel hat mit neunmonatiger Verspätung die richtigen Konsequenzen gezogen", monierte der Vorsitzende der Sozialdemokratischen Fraktion im Europäischen Parlament, Martin Schulz. Kritik kam aus dem Europaparlament auch, weil der Gipfel das Konzept der Eurobonds - also Staatsanleihen der Länder der Eurozone - nicht aufgegriffen hat, die der Präsident der Eurogruppe, der luxemburgische Ministerpräsident Jean-Claude Juncker angeregt hatte. Unter den Staats- und Regierungschefs gab es gegen diesen Vorschlag erheblichen Widerstand, angeführt von Kanzlerin Merkel. Sie fürchtet, dass Mitgliedstaaten den Anreiz verlieren, ordentlich zu haushalten, wenn die Eurozone gemeinsam Anleihen ausgibt.

Der Grünen-Abgeordnete Sven Giegold wirft der Kanzlerin bei dem Thema indes "Populismus" vor. Das Europäische Parlament hat sich bereits in zwei Resolutionen auf die Seite der Befürworter von Eurobonds gestellt und die Kommission aufgefordert, Vorschläge dazu vorzulegen. Der Fraktionschef der Liberalen, der frühere belgische Ministerpräsident Guy Verhofstadt, kündigt bereits an, dass das EU-Parlament das Gesetzgebungsverfahren zum Euro nutzen wird, um das Thema Eurobonds noch einmal auf die Tagesordnung zu bringen.

Umfang unklar

Beim Gipfel wurde der künftige Rettungsmechanismus nur in seinen Grundzügen beschlossen, die Details müssen bis März noch ausgearbeitet werden. Unklar ist bislang noch, welches Volumen der dauerhafte Schutzschirm bekommen soll. Der vorübergehende Schutzschirm ist derzeit auf dem Papier mit insgesamt 750 Milliarden Euro ausgestattet. Es gilt als unwahrscheinlich, dass der Nachfolgemechanismus finanziell schlechter bestückt wird.

Der belgische Ministerpräsident Yves Leterme, dessen Land gerade die Ratspräsidentschaft inne hat, kündigte an: "Der genaue Umfang wird im geeigneten Moment festgelegt." Geklärt werden muss auch noch, zu welchem Zinssatz hilfsbedürftige Euro-Länder Unterstützung aus dem permanenten Krisenmechanismus erhalten.

Die Bundesregierung hat sich mit ihrem Wunsch durchgesetzt, dass die Unterstützung einstimmig gewährt werden muss, jedes Land also ein Veto-Recht erhält. Kanzlerin Merkel erreichte außerdem, dass die Hilfe an strenge Auflagen gekoppelt ist. So müssen die betroffenen Länder glaubwürdige Sparprogramme vorweisen. Außerdem tritt der Mechanismus nur in Aktion, "wenn dies unerlässlich ist, um die Stabilität des Euro als Ganzes zu gewährleisten", wie es im Abschlusspapier heißt.

Die Europaabgeordneten haben am Morgen des ersten Gipfeltages mehrheitlich eine Resolution verabschiedet, in der sie ein Mitspracherecht bei den Regeln des permanenten Krisenmechanismus fordern. Ihr Argument: Ein Teil der Garantien komme aus dem Haushalt der Europäischen Union - und über den könne nicht einfach ohne das Europäische Parlament entschieden werden. Die Parlamentarierer wehren sich dagegen, dass die Regeln bisher allein von den Regierungen der 27 EU-Mitgliedstaaten entschieden werden.

Mehr Gemeinsamkeiten

Beim Gipfel hat sich unter den Staats- und Regierungschefs die Einsicht durchgesetzt, dass die Wirtschaftspolitik der Euro-Länder stärker angepasst werden muss. "Wir brauchen mehr Gemeinsamkeiten in unseren Wirtschaftspolitiken", sagte Merkel. Es sei wichtig, "dass wir nicht nur gemeinsam stabile Haushalte haben." Die Kanzlerin betonte allerdings auch, dass es sich dabei um einen langen Prozess handle. Im konkreten Fall hieße das auch, dass Deutschland seine Sozial- oder Steuerpolitik auf Wunsch der Nachbarn ändern müsste. Wie das praktisch funktionieren soll, ist noch offen. Einer der Vorschläge von EU-Währungskommissar Olli Rehn zum Euro, die sich im Gesetzgebungsverfahren befinden, zielt in der Tat auf eine Angleichung der Wettbewerbsfähigkeit ab.

Die Staats- und Regierungschefs hoffen, dass die sechs Richtlinien, die Rehn bereits vorgelegt hat, schnell durch Rat und Parlament gehen und möglicherweise schon im kommenden Sommer verabschiedet werden können. Die Europaabgeordneten allerdings sind weit davon entfernt, die Vorschläge einfach durchzuwinken. Vier der sechs Vorschläge müssen durch das Brüsseler Parlament gehen.

Konservative und liberale Abgeordnete haben bereits angekündigt, für möglichst automatische Sanktionen für Haushaltssünder zu kämpfen. Die Abgeordneten hatten sich brüskiert gefühlt, als Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit Frankreichs Premierminister Nicolas Sarkozy in ihrer Erklärung von Deauville ohne jede vorherige Absprache die automatischen Sanktionen fallen ließ. In der Praxis hat sich jedoch herausgestellt, dass Sanktionen nicht funktionieren, wenn sie von den Finanzministern beschlossen werden müssen. In der Regel scheuen sie davor zurück, Strafen gegen Amtskollegen zu verhängen. Deswegen wollte die Kommission die Entscheidungsgewalt über die Sanktionen an sich ziehen, was Sarkozy und Merkel jedoch aushebelten.

Die Entschlossenheit der Europaabgeordneten, jetzt am Umbau der Euro-Regeln mitzuarbeiten, ist groß. Und so kündigten Werner Langen, Vorsitzender der deutschen Unionsabgeordneten im EU-Parlament und sein CSU-Kollege Markus Ferber gemeinsam an: "Im Europaparlament werden wir uns an der Stabilisierung des Euro beteiligen."