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Neue Regeln für die Zeitarbeit

ARBEITSMARKT I Missbrauch in der Leiharbeitsbranche findet niemand gut - doch der Streit über die Regulierungen bleibt

20.12.2010
2023-08-30T11:26:12.7200Z
4 Min

Es wird wohl ihre letzte Rede mit diesem Babybauch im Bundestag gewesen sein. Im Januar wird Andrea Nahles, Generalsekretärin der SPD, Mutter. Etwas kurzatmig, aber nicht weniger leidenschaftlich als sonst, warb die 40-Jährige am vergangenen Freitag für einen Antrag ihrer Fraktion zur Leiharbeit (17/4189), der erstmals im Plenum beraten wurde. "Das wäre doch mal ein schönes Päckchen unter dem Weihnachtsbaum", rief die Rheinland-Pfälzerin, "wenn wir eine vernünftige Equal-Pay-Regelung bekommen würden".

"Equal pay" - so lautet das Schlüsselwort in der Diskussion über die Zeitarbeitsbranche. Vielen Politikern, aber auch einem Großteil der Bevölkerung ist es laut Umfragen ein Dorn im Auge, dass zahlreiche der knapp eine Million Leiharbeitskräfte in Deutschland bei gleicher Arbeit oft nur 50 bis 70 Prozent des Lohnes bekommen, den ein Mitarbeiter der Stammbelegschaft mit nach Hause nimmt. "Die Praxis der Leiharbeit ist in Deutschland verkommen", schimpfte denn auch Nahles, es gebe zu viel Missbrauch, oft würde "Lohndumping" betrieben.

Vier Regeln

Daher fordert ihre Fraktion vier konkrete Regeln für die Leiharbeitsbranche: Neben dem "Equal-Pay-Grundsatz" für den Zeitraum, in dem der Zeitarbeiter in einem Betrieb eingesetzt wird, sei ein allgemeiner, gesetzlicher Mindestlohn festzusetzen als unterste Grenze für die Vergütung in Zeiten, in denen der Arbeitnehmer nicht verliehen wird. Arbeitsverträge mit Leiharbeitskräften, die auf die Dauer eines Einsatzes im Entleihbetrieb befristet sind, dürfen nach dem Willen der SPD-Fraktion nicht mehr erlaubt sein. Fachleute sprechen vom so genannten Synchronisationsverbot. Die Betriebsräte in den Entleihbetrieben sollen wirksame Mitbestimmungsrechte für in ihren Betrieben eingesetzte Leiharbeitskräfte haben. Zudem sollte der Leiharbeitseinsatz nach einem Jahr beendet sein. Dauert er länger, muss der Arbeitnehmer fest angestellt werden, schlägt die SPD-Fraktion vor. Den Gesetzentwurf von Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) gegen Missbrauch bei der Leiharbeit, der am vergangenen Mittwoch das Kabinett passierte, kritisierte die SPD-Generalsekretärin scharf.

Mit dem Entwurf will die Regierung den Missbrauch der Zeitarbeit künftig erschweren. Mit einer so genannten Drehtürklausel soll demnach künftig verhindert werden, dass Beschäftigte entlassen und innerhalb von sechs Monaten wieder als Zeitarbeiter mit schlechteren Arbeitsbedingungen in ihrem ehemaligen Unternehmen oder in einem anderen Unternehmen desselben Konzerns eingesetzt werden.

Sorge vor dem 1. Mai

Nahles, aber auch Politikern der anderen Oppositionsfraktionen gehen die Verschärfungen nicht weit genug. Das sei geradezu eine Einladung, auch künftig und in verstärktem Maße Stammbelegschaften durch Leiharbeiter zu ersetzen. "Was heute als Missbrauch bezeichnet wird, wird nun erst salonfähig gemacht", sagte Nahles. Im vorgelegten Gesetzentwurf gelte "Equal pay" nur dann, wenn ein Unternehmen die Entlassenen innerhalb von sechs Monaten als Leiharbeiter einstellt.

Streit über den Umgang mit der Zeitarbeitsbranche gab es auch innerhalb der schwarz-gelben Koalition in den vergangenen Wochen immer wieder. Während die Bundesarbeitsministerin einen gesetzlichen Mindestlohn anstrebt, lehnt die FDP das bislang ab. "Sie hoffen auf die SPD im Bundesrat", sagte Nahles mit Blick auf die Verhandlungen im Vermittlungsausschuss zur Hartz-IV-Reform, und kündigte an, die SPD werde einen Mindestlohn mindestens in der Leiharbeitsbranche zum Gegenstand machen.

Der Grund: Zahlreiche Arbeitnehmer wie Arbeitgeber blicken mit Sorge auf den 1. Mai des kommenden Jahres, wenn in Deutschland die volle Arbeitnehmerfreizügigkeit wirksam werden wird. Dann haben auch alle Bürger aus der Tschechischen Republik, Estland, Lettland, Litauen, Ungarn, Polen, Slowenien und der Slowakei das Recht, in Deutschland zu arbeiten. Es droht, dass der nun erstmals in der Leiharbeitsbranche geltende tarifliche Mindestlohn dann von ausländischen Anbietern unterlaufen wird.

Was macht die FDP?

Von der Leyen hatte jüngst angekündigt, sie wolle rechtzeitig eine verbindliche Lohnuntergrenze für die Zeitarbeit definieren. "Wir arbeiten intensiv an einer gesetzlichen Regelung", bekräftigte Peter Weiß (CDU) in der Debatte. Mit Spannung blicken die Oppositionsfraktionen nun auf die FDP. Erst habe der FDP-ler Heinrich Kolb signalisiert, seine Fraktion stünde einem gesetzlichen Mindestlohn in der Leiharbeitsbranche nicht im Wege, sagte Beate Müller-Gemmeke (Die Grünen), inzwischen schreibe sein Parteifreund Johannes Vogel im Internet, die FDP sei dagegen. "Das ist schwarz-gelbe Chaospolitik", sagte sie und gestand zugleich ein, dass die Eingriffe in die Leiharbeitsbranche unter Rot-Grün ein Fehler gewesen seien.

Parlamentarier von Union und FDP ritten in der Debatte in seltener Eintracht mit der Linksfraktion immer wieder darauf herum, dass es Rot-Grün war, die das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz im Jahr 2003 derart geändert habe, dass es "zu einer Verlotterung der Sitten in der Leiharbeit" gekommen sei, wie es Weiß formulierte.

Gregor Gysi, Fraktionschef der Linken, sagte, dass inzwischen jeder achte Beschäftigte in der Leiharbeitsbranche ein Hartz-IV-Aufstocker sei. Im dritten Quartal diesen Jahres seien nur 50.000 neue reguläre Arbeitsplätze entstanden, aber 150.000 Leiharbeitsplätze. Auch Heinrich Kolb bekräftigte, Leiharbeit dürfe nicht dazu dienen, Stammbelegschaften dauerhaft zu ersetzen. Dennoch betonte er, dass Zeitarbeit ein wichtiges Flexibilisierungsinstrument für die Unternehmen sei, wenn die konjunkturellen Aussichten unklar seien oder um Auftragsspitzen aufzufangen. "Zeitarbeit ist die Kehrseite eines relativ starken Kündigungsschutzes", so Kolb.