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Alle Pfeile treffen Jung

Kundus-UNTERSUCHUNG Merkel und Steinmeier verweisen auf Fehler des früheren Verteidigungsministers

14.02.2011
2023-08-30T12:16:37.7200Z
4 Min

Betont gelassen gibt sich die Kanzlerin bei ihrer Ankunft im Kundus-Untersuchungsausschuss. Freundlich strahlt Angela Merkel in die Kameras, die Photographen finden genügend Zeit, ansprechende Bilder der CDU-Politikerin bei dieser letzten Zeugenvernehmung des Gremiums zu machen. Mit dezenten Worten kommentiert die Regierungschefin die Reaktionen des einstigen Verteidigungsministers Franz-Josef Jung (CDU) in den ersten Tagen nach dem verheerenden Bombardement in der afghanischen Kundus-Region am 4. September 2009: Schon am Tag nach dem Luftschlag habe sie Jung "gebeten", auch in seinen öffentlichen Stellungnahmen die Existenz ziviler Opfer nicht auszuschließen. Indes waren es wohl keine "Bitten", sondern Forderungen der Kanzlerin, doch zunächst beharrte der Ressortchef auf seinem Standpunkt und schwenkte laut Merkel erst drei Tage nach dem Angriff auf ihre Linie ein. So schießt die Zeugin in verbindlichem Tonfall Pfeile auf Jung wegen des Informationsdesasters nach dem Bombardement.

Diplomatische Kritik

Vor Merkel greift auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier Jung nicht direkt an, sondern drückt seine Kritik am damaligen Kabinettskollegen diplomatisch verpackt aus. Von Anfang an habe er als damaliger Außenminister zivile Opfer nicht ausgeschlossen, weil die Erkenntnisse über den Luftschlag zunächst "unklar, diffus und widersprüchlich" gewesen seien - und diese Informationslage habe ja wohl auch im Verteidigungsministerium vorgelegen. Gleichwohl insistierte Jung drei Tage lang, unter den Opfern befänden sich nur "terroristische Taliban". Steinmeier teilt noch einen anderen Seitenhieb aus: Der Vorfall sei auch "politisch kritisch" gewesen, weil die Glaubwürdigkeit der deutschen Strategie in Afghanistan, zivile Opfer möglichst zu vermeiden, gefährdet worden sei.

Genau lässt sich laut Merkel nicht mehr klären, wie viele Tote und Verletzte es bei dem von Bundeswehr-Oberst Georg Klein angeordneten und von zwei US-Piloten ausgeführten Bombardement auf zwei von Taliban entführte Tanklaster gab. Es waren mindestens 90, es können aber laut Nato auch bis zu 142 gewesen sein - und unter den Opfern befanden sich zahlreiche Zivilisten.

Der Ausschuss soll Umstände, Hintergründe und Konsequenzen dieses Angriffs durchleuchten. Und dabei spielt die verworrene Informationspolitik in Berlin nach dem Luftschlag eine zentrale Rolle. Für dieses Kommunikationschaos übernahm Jung Ende November 2009 die Verantwortung und trat vom zwischenzeitlich übernommenen Amt des Arbeitsministers zurück.

Merkel wehrt sich

Eineinhalb Jahre später steht Jung nun wieder im Regen, weil die Regierungschefin und ihr einstiger Vizekanzler Kritik an sich selbst abprallen lassen und geschickt auf den früheren Minister lenken. Dass Merkel schon bald nach dem Bombardement bei Jung interveniert hat, um ihm das Bestreiten ziviler Opfer auszureden, ist zwar keine Sensation, war aber bislang unbekannt. SPD-Obmann Rainer Arnold ist insofern von Merkels Aussage überrascht: "Eigentlich haben wir gedacht, nichts Neues zu erfahren".

Die Kanzlerin erläutert, dass sich Jung trotz ihres Drängens, alle verfügbaren Informationen in seine Erklärungen einzubeziehen, zunächst allein auf Berichte aus Afghanistan gestützt habe, die nur Taliban als Opfer erwähnt hätten. In einer Phase "sich überstürzender, widersprüchlicher Meldungen" sei es hingegen schon bald zwar nicht erwiesen, aber doch "sehr wahrscheinlich" gewesen, dass sich Zivilisten unter den Leidtragenden befanden. So habe Stanley McChristal, seinerzeit Chef der alliierten Truppen, in einer Klinik einen zehnjährigen Jungen mit Brandwunden besucht.

Energisch widerspricht die Zeugin Vorwürfen der Linken und der Grünen, sich nicht entschieden genug für die Aufklärung des Angriffs eingesetzt zu haben: "Das Gegenteil war der Fall." Haltlos seien "alle Unterstellungen, die Regierung sei nicht an Aufklärung interessiert gewesen" oder habe sie wegen des Bundestagswahlkampfs sogar unterbinden wollen. Als Beleg für entsprechende Bemühungen erwähnt Merkel den Nato-Untersuchungsbericht zum Luftschlag. Diese Expertise ist aber als geheim eingestuft.

Bauernopfer ?

Nun ist Jung schon vor langem zurückgetreten, weswegen Vorwürfe gegen ihn kaum für aktuellen politischen Clinch taugen. Freilich stößt auch der Umgang des Nachfolgers Karl-Theodor zu Guttenberg mit dem Bombardement bei der Opposition auf Kritik. So setzte der CSU-Politiker Ende November 2009 Generalinspekteur Wolfgang Schneiderhan und Staatssekretär Peter Wichert mit der Begründung vor die Tür, sie hätten ihm wesentlich Erkenntnisse zum Angriff auf die Tanklaster wie vor allem einen Feldjägerbericht vorenthalten. Unter Verweis auf die Kenntnisnahme dieser ihm zunächst verborgenen Informationen hatte Guttenberg dann sein zunächst gefälltes Urteil revidiert, das Kundus-Bombardement sei militärisch angemessen gewesen. Merkel unterstützt jetzt den Minister offensiv, dessen Entscheidungen seien für sie "gut nachvollziehbar". In Schneiderhans und Wicherts Entlassung sehen SPD, Linke und Grüne seit langem ein "Bauernopfer", mit dem Guttenberg seine anfängliche, von ihm selbst zu verantwortende Fehleinschätzung des Luftschlags kaschieren wolle. Zumindest in diesem Punkt zeichnen sich für den Abschlussbericht des Ausschusses gegensätzliche Standpunkte zwischen Koalition und Opposition ab.