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Der Schaupieler von Arabien

BIOGRAFIE Peter Thorau entzaubert Thomas Edward Lawrence - seinem komplexen Charakter wird er aber nicht gerecht

21.03.2011
2023-08-30T12:16:39.7200Z
4 Min

Kurz vor seinem Tod lebte der einstige Held zurückgezogen in einem englischen Landhaus, stark gealtert, depressiv und von Selbstzweifeln geplagt. "Waren Sie je ein Blatt und fielen im Herbst von Ihrem Baum und haben sich darüber gewundert?", fragte er am 6. Mai 1935 in einem Brief an einen Freund. "So fühle ich mich." Als er diese Worte schrieb, war Thomas Edward Lawrence - berühmt geworden als "Lawrence von Arabien" - erst 46 Jahre alt. Ein Woche später verunglückte er mit seinem Motorrad tödlich.

Viele Menschen hatten Lawrence bewundert und verehrt. Er war der "ungekrönte König von Arabien", der "Anführer der arabischen Revolte", ein Abenteurer, der die Fantasie der Menschen zum Blühen brachte. Seinen Höhepunkt erreichte der Mythos 1962, als der Regisseur David Lean dem Leben des früheren britischen Offiziers in einem Kinoepos ein Denkmal setzte. Millionen sahen Peter O'Toole, wie er als Lawrence die Beduinen im Ersten Weltkrieg zum Sieg gegen die Osmanen führte. Und Millionen wollten diese Geschichte eines modernen Heros glauben.

Aber wer sich den Wüstensand aus den Augen reibt und das Leben des vermeintlichen Kriegshelden unter die Lupe nimmt, stellt fest, dass hinter dem Schein ein ganz anderes Sein zu finden ist. In seiner neuen Biografie über Lawrence beschreibt der Saarbrücker Historiker Peter Thorau einen Menschen, der mit dem Mythos wenig gemein hat: hochbegabt zwar, aber gleichzeitig ein Aufschneider mit ungezügelter Geltungssucht, der sich und seinen Einfluss maßlos überschätzte und am Ende auf ganzer Linie scheiterte. Von dem Helden bleibt am Ende der Lektüre so gut wie nichts übrig.

»Der weiße Beduine«

Lawrence liebte es, Rollen zu spielen, und die des Briten, der als "weißer Beduine" unter den Arabern lebt, behagte ihm besonders. "Hocherfreut", schrieb er später in seinen Erinnerungen "Sieben Säulen der Weisheit", habe er das Angebot des arabischen Scherifen Faysal angenommen, Beduinen-Kleidung zu tragen. Wie er sich selbst unter den Arabern sah, hielt er in einem Memorandum über den richtigen Umgang mit Beduinen fest: "Man fühlt sich wie ein Schauspieler auf einer fremden Bühne, Tag und Nacht spielt man für Monate eine Rolle, ohne Unterlaß und mit gefährlichem Einsatz."

Um seinen Ruf zu fördern, brachte Lawrence Gerüchte und Geschichten über sich in den Umlauf, die frei erfunden, zumindest aber aufgebauscht waren. Kühn behauptete er, die osmanischen Behörden hätten ein Kopfgeld auf ihn ausgesetzt, nachdem er das feindliche Gebiet auf einem zweiwöchigen Ritt in geheimer Mission erkundet habe. Dass es dieses Kopfgeld gab, ist ziemlich unwahrscheinlich. Vieles spricht dafür, dass er sogar den Erkundungsritt nur in seiner Fantasie unternahm.

Den Sieg der Beduinen über die Osmanen bei Akaba, häufig als ein Meilenstein des arabischen Aufstand bezeichnet, schrieb er sich in den "Sieben Säulen" selbst auf die Fahnen. Von einer heroischen Schlacht aber kann keine Rede sein, denn das kleine osmanische Heer leistete kaum Widerstand. Überhaupt, schreibt Thorau, sei der Sieg bei Akaba für den Fortgang des Kriegs von geringer Bedeutung gewesen. Fast spöttisch kommentiert er: "Die sogenannte Arabische Revolte hatte auf dem nahöstlichen Kriegsschauplatz hingegen so gut wie keine Wirkung, obwohl sie Großbritannien großzügig finanziert hatte." Da wundert es nicht, dass er auch an den Beduinen kein gutes Haar lässt, indem er sie klischeehaft als geldgierig und mordlüstern beschriebt.

Komplexer Charakter

Thorau unternimmt nicht als Erster den Versuch, Lawrence zu entzaubern. Die frühsten fundiert kritischen Biografien erschienen in den 1960er Jahren, als das britische Außenministerium seine Archive öffnete. Thorau treibt sein Unterfangen jedoch konsequenter voran als andere, an einigen Stellen nimmt sein aufklärerischer Duktus gar aufdringliche Züge an. Dem komplexen Charakter seines Protagonisten wird der Historiker jedoch kaum gerecht, wenn er ihn im wesentlichen als jemanden beschreibt, der "sich zeitlebens in Rollenspielen und Kostümierungen gefiel". Sein Ruhm und die widersprüchlichen Züge seiner Persönlichkeit lassen sich so nur begrenzt entschlüsseln. Das gilt auch für sein ambivalentes Verhältnis zu Faysal, dem er als Vertrauter und Berater diente, obwohl er als Offizier stets die Interessen der Briten zu vertreten hatte und die Araber sehenden Auges verriet.

Auch der private Lawrence gibt bis heute viele Rätsel auf. Da ist der brillante Schriftsteller, der mit den "Sieben Säulen" ein phänomenales literarisches Erbe hinterließ. Und da ist der Einzelgänger mit möglicherweise homosexuellen Neigungen und einem ausgeprägten Hang zu Sadismus und Masochismus, ein Mann der sich nach dem Ersten Weltkrieg zurückzog. Obwohl im Rang eines Offiziers, suchte er sein Glück nun als einfacher Rekrut in der Royal Air Force. An seine Vertraute Charlotte Shaw, Ehefrau des Schriftstellers George Bernard, schrieb er in einem Brief: "Ich sehne mich danach, dass die Leute auf mich herabsehen und mich verachten (...). Ich möchte mein Äußeres beschmutzen, damit man meiner sterblichen Hülle den Dreck auch wirklich ansieht, den sie verbirgt (...)." Aus solchen Sätzen lässt sich ein gebrochener Mensch herauslesen. Diese Facette des Thomas Edward Lawrence handelt Thorau allzu oberflächlich ab. Zurück bleibt ein Leser mit mehr Fragen als Antworten.

Peter Thorau:

Lawrence von Arabien. Ein Mann und seine Zeit.

Verlag C. H. Beck, München 2010; 224 S., 19,95 €