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Parlamentarisches Profil : Nachdenklicher Kanufahrer: Gernot Erler

28.03.2011
2023-08-30T12:16:40.7200Z
3 Min

Gernot Erler gehört zu den 194 Parlamentariern, die schon in Bonn dabei waren. Seit 1987 sitzt der 66-jährige Osteuropa-Experte für die SPD im Bundestag. Der Umzug im Jahr 1999 ist ihm leicht gefallen. "Das war für mich persönlich schön, weil ich in Berlin aufgewachsen bin. Es war also eine Rückkehr zu den Anfängen", erzählt der Vater einer Tochter. Er gibt aber zu, dass in Berlin alles "etwas kurzfristiger, stressiger, aufregender" geworden ist und spricht explizit die Art an, wie die Medien nach den letzten Meldungen jagen. Da klingt es beruhigend, wenn der Politiker verrät, dass die Routinearbeit im Bundestag sich am wenigsten verändert habe.

Der großgewachsene, schlanke Historiker mit den markanten Gesichtszügen erinnert sich besonders gern an die Zeit der rot-grünen Koalition. Als "Chefaußenpolitiker der SPD" - wie er es nennt - arbeitete Erler eng mit Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) und Außenminister Joschka Fischer (Die Grünen) zusammen. "Obwohl ich damals kein Regierungsamt innehatte, denke ich am liebsten an diese Zeit." Auch die Aufgaben als Staatsminister im Auswärtigen Amt während der Großen Koalition haben ihm gefallen. Aber: "Ich bin ein Rot-Grüner", sagt er. "Da hat man natürlich die größten Chancen, eigene politische Ziele umzusetzen, wenn man auch in einer rot-grünen Koalition ist. Das war in der Großen Koalition schon schwieriger, da musste man weiter auseinanderliegende Positionen auf Konsens bringen."

Auch heute noch gehört der in Meißen geborene Freiburger Abgeordnete zu den Wortführern der Fraktionslinken. Er zählt zu den nachdenklichen Politikern und fährt nur selten aus der Haut. "Ich neige zur wortbewaffneten Ironie", sagt der frühere Aktivist der Friedensbewegung und Hobby-Kanufahrer. "Das ist mein Instrument, an dem ich mich abreagiere."

Für den Präsidenten der Südosteuropagesellschaft war die Ostpolitik Willy Brandts (SPD) ein wichtiges Motiv sich politisch zu betätigen. Schmunzelnd erinnert der ehemalige Verlagsangestellte sich an seinen ersten Wahlkampf 1972. "Ich habe versucht, die Bauern in meinem späteren Wahlkreis von der Ostpolitik Brandts zu überzeugen. Manche haben die Hunde auf mich gehetzt."

Das deutsch-russische Verhältnis liegt Gernot Erler sehr am Herzen und er wünscht einen qualitativen Sprung in der Beziehung. "Deutschland wäre der ideale Partner auf Russlands Weg zu einer modernen konkurrenzfähigen Wirtschaft und Gesellschaft bis in die technologischen Bereiche - aber auch im Bereich einer guten Regierungsführung und einer modernen Gesellschaft mit einem starken zivilgesellschaftlichen Mitspracherecht", sagt Erler. Äußerst unzufrieden ist der SPD-Fraktionsvize mit dem Agieren der Regierung Merkel. Er sieht die Regierung in der Libyen-Falle, aus der sie nicht mehr herauskommt. "Man kann eigentlich nichts mehr reparieren", analysiert er kühl. Erler führt aus, dass die Behauptung, wenn man "Ja" sagt, müsse man auch Truppen stellen, nachweislich nicht stimme. "Sieben der zehn Länder, die im Sicherheitsrat für die Resolution gestimmt haben, stellen keinen einzigen Soldaten... Hier wird ein Popanz aufgebaut."

Und weiter: "Ich mache mir große Sorgen, weil es eine gefährliche Tendenz gibt, verschiedene Entscheidungen - auch außenpolitische Entscheidungen - nach tagespolitischen Taktiken zu prägen. Ganz aktuell ist diese Libyen-Geschichte, wo ich ein Primat deutscher Politik gefährdet sehe. Und das Primat ist: Das große Deutschland muss Vorreiter bei der Selbstintegration in europäische Politik und Bündnispolitik sein." Man müsse sich auch einer Mehrheit unterwerfen, die unter Umständen nicht identisch mit der deutschen Meinung sei, sagt Erler. Er betont, dass die deutsche Einheit nur kommen konnte, weil Souveränitätsrechte an die EU abgegeben wurden. "Nur so konnten wir diese aus zwei Weltkriegen stammende Angst der Nachbarn vor diesem großen Deutschland überwinden und damit die Zustimmung zur Wiedervereinigung gewinnen." Der SPD-Politiker mahnt: "Ich glaube, dass die Unterscheidung zwischen kurzfristigen taktischen Überlegungen und langfristigen Interessen unseres Landes wiederhergestellt werden muss."