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Alles andere als »Stasi 2.0«

INNERE SICHERHEIT II Nach 9/11 hat der deutsche Rechtsstaat seine Prüfung bestanden - eine Würdigung besonnener Politik

29.08.2011
2023-08-30T12:16:47.7200Z
5 Min

Der 11. September 2001 hat auch Deutschland hart getroffen. Denn es stellte sich heraus, dass mehrere der Terrorflieger lange in der Bundesrepublik gelebt hatten, darunter der Kopf der Bande, Mohammed Atta. Die "Hamburger Zelle" war eine wichtige Zwischenetappe auf dem Weg zu den Anschlägen. Das nicht erkannt zu haben, war ein Versagen der Terrorabwehr. Auch deutsche Sicherheitsbehörden tragen eine Mitverantwortung.

Der damalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) musste erkennen, dass die zersplitterte deutsche Zuständigkeitslandschaft und eine missbrauchte Verständniskultur für Mitglieder obskurer "Befreiungsbewegungen" und für religiöse Extremisten, etwa die Kölner Kalifatsstaat-Bewegung, die 9/11-Gruppe begünstigt hatten. Die nach 2002 vom Bundestag verabschiedeten Gesetze waren eine unmittelbare Reaktion auf die Anschläge. Sie schärften die Waffen des Strafgesetzbuches und förderten eine engere Kooperation der deutschen Sicherheitsbehörden. Seitdem erst können etwa Mitglieder ausländischer Terrorvereinigungen hierzulande belangt werden, dürfen Ausländerbehörden ausländischen Extremisten den Aufenthalt verweigern, genießen religiös getarnte Unterstützernetze des Terrors keinen besonderen Schutz mehr.

Werten treu geblieben

Parlamentarisch abgesichert wurden die Neuregelungen unter Bundeskanzler Gerhard Schröder von den Abgeordneten von SPD und Grünen. Die Union forderte häufig Weitergehendes, die FDP mahnte zur Vorsicht vor dem Staat. Dass Misstrauen auch angebracht war, brachte von 2005 bis 2009 ein Parlamentarischer Untersuchungsausschuss zutage. Hier wurde deutlich, dass die vom schlechten Gewissen getriebene Kooperation mit den USA in Einzelfällen wie dem des "Bremer Türken" Murat Kurnaz (siehe Seite 14) zumindest in Grenzbereiche des Rechtsstaates geführt hatte. Während Amerika den Kampf für Freiheit und Demokratie längst gegen die eigenen Werte führte, blieben deutsche Sicherheitsbehörden jedoch weitgehend diesen Maßstäben treu. Und es war wohl ein bedrückendes Gefühl der Mitverantwortlichkeit für die Anschläge, das Vertreter der Bundesregierung lange hinderte, die rechtlosen Elemente des US-Kampfes gegen den Terror zu kritisieren.

Die inoffizielle Arbeitsteilung war: Amerika erledigt die schmutzige Arbeit, die Regierung Schröder wandelt derweil auf dem Mutter-Teresa-Pfad. Entsprechend war jedenfalls anfangs die Aufgabenverteilung in Afghanistan: Die Amerikaner jagten und töteten Taliban und Al-Qaida-Leute, die Deutschen bauten Mädchenschulen in Kabul und finanzierten die Autos der korrupten Polizei.

Andererseits zeigte aber auch der Untersuchungsausschuss, dass deutsche Behörden weder personell noch technisch im Stande wären, ohne intensive Kooperationen mit den USA und anderen Partnern das eigene Land vor Angriffen zu schützen. So standen in den größeren Fällen - etwa dem der "Sauerland-Gruppe" im Jahr 2007 oder der Enttarnung einer rheinischen Al-Qaida-Zelle in diesem Jahr jeweils US-Hinweise am Beginn der Ermittlungen.

Neben den gesetzlichen Veränderungen trieben Schily, der damalige Kanzleramtschef Frank-Walter Steinmeier (SPD) und die Spitzen von Bundeskriminalamt (BKA), Bundesnachrichtendienst (BND) und Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) einen Umbau der Sicherheitsarchitektur voran. Mehrere Milliarden Mehreinnahmen aus erhöhter Tabak- und Versicherungssteuer sicherten ihnen ab 2002 die Mittel für den Ausbau der technischen Ausstattung. Die Etats von BKA, BfV und Bundespolizei sind seither um etwa ein Drittel gestiegen. Dabei ist ein Etat-Zuwachs um 3,3 Prozent pro Jahr beachtlich, aber gering im Vergleich zu den horrenden Anstiegen in Amerika. Mit dem Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK) wurde 2004 eine zentrale Behörde zur Katastrophenabwehr gegründet, die auch der Terrorgefahr Rechnung trägt. Auch das neu eingerichtete Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BIS) erfüllt zunehmend Aufgaben der Terrorabwehr.

Zwei personalstarke Organisationen erlebten besonders starke Veränderungen: Der bisherige Bundesgrenzschutz wurde zur Bundespolizei und erhielt eine grundlegend verbesserte technische und mobile Ausstattung. Und die Bundeswehr verwandelte sich in eine "Armee im Einsatz". Der Umbau ging vollständig zu Lasten des früheren Territorialheeres. Anders als in Amerika wurden hierzulande den Streitkräften kaum zusätzliche Mittel zur Verfügung gestellt und die Bundeswehr seither in eine Art Dauerbaustelle verwandelt.

Nicht überstürzt

Im Inland zogen Nachrichtendienst und Polizei rasch eine wichtige Konsequenz aus dem 9/11-Desaster ihrer amerikanischen Partnerbehörden. Dort hatten dramatische Arroganz und Ressortegoismus von CIA und FBI verhindert, dass die bekannten Einzelteilchen der Anschlagspläne zueinander kamen. Die Erkenntnis, dass jeder etwas weiß, was getrennt wenig, zusammengelegt aber alles bedeuten kann, führte 2004 zur Gründung des "Gemeinsamen Terrorismusabwehrzentrums" (GTAZ). Dabei dauerte es nach 9/11 drei Jahre, ehe es Schily gelang, Polizisten und Nachrichtendienstler aus 16 deutschen Ländern und dem Bund unter ein Dach zu bringen. Nach Anfangsschwierigkeiten gilt das GTAZ heute als klügster Einfall des Ministers und seiner Mitarbeiter. Auch das GIZ, das gemeinsame Internetzentrum, arbeitet nun mit daran, bundesweit terroristische Bedrohungen aus dem Internet - Aufrufe zu Anschlägen, radikalisierende Videos, Informationen aus Chats und Blogs beispielsweise - zu sammeln.

Andere Vorschläge wie etwa ein Luftsicherheitsgesetz mit der Genehmigung zum Abschuss von Passagierflugzeugen gingen weiter, als das Bundesverfassungsgericht dulden mochte. Ähnlich erging es der Exekutive mit Versuchen, die stetig steigenden Datenmengen nach verwertbaren Bits zu durchsuchen. Man kann aber nicht behaupten, Deutschland habe überstürzt auf 9/11 reagiert. So vergingen sechs Jahre, ehe sich die große Koalition 2007 auf eine Anti-Terror-Datei einigte, die Wissen von mehr als 35 Behörden über Gefährder und Terror-relevante Personen sammelt. Noch länger dauerte es, bis der parlamentarische Kampf um eine Neuaufstellung des BKA beendet war: Das entsprechende Gesetz ist seit 2009 in Kraft. Von einer Hochrüstung der Sicherheitsbehörden kann kaum die Rede sein, bedenkt man, dass die Kapazitäten nicht einmal ausreichen, um etwa 130 islamistische Top-Gefährder in Deutschland konsequent zu beobachten. 2001 arbeiteten beim BKA 4.500 Beamte, 2008 waren es 4.800. Ähnlich groß war der Zuwachs beim BfV. Der BND musste zuletzt sogar Personal abbauen. Verändert haben sich die Aufgabenverteilungen. So arbeiten beim Verfassungsschutz heute etwa die Hälfte der etwa 5.200 Mitarbeiter im Bereich "Islamistischer Terrorismus".

Was die Ausrüstung der Polizei betrifft, kann man daran erinnern, dass der Digitalfunk für Polizei und Rettungskräfte in Europa praktisch überall eingeführt ist, bloß nicht in Deutschland. Seit Anfang des Jahrtausends geplant, zur Fußball WM 2006 versprochen und bis heute nicht flächendeckend etabliert, ist das Milliardenprojekt ein Beispiel für Ausrüstungsdefizite im Sicherheitsbereich, nicht für Hochrüstung. Ähnlich verhält es sich mit uralten Fahndungsmitteln wie der nachrichtendienstlichen Datei "Nadis", deren Modernisierung 2008 gestoppt wurde, weil trotz immenser Investitionen keine brauchbare Software geliefert wurde. Lückenhaft sind die Abwehrmauern etwa bei der Luftfracht, die bis 2010 unkontrolliert an Bord der Flugzeuge ging. Nicht viel besser dürfte die Lage in den Seehäfen sein.

Nach "Stasi 2.0" klingt das nicht. Vielmehr haben Politik und Sicherheitsbehörden seit 2001 überwiegend besonnen gehandelt. Manche Vorschläge wie etwa zur präventiven Internierung von Gefährdern haben die Diskussion nicht bereichert. Auf der anderen Seite waren Verdächtigungen giftig, wie die, das Innenministerium plane eine "geheime Staatspolizei". Die rasche und in der Regel parteiübergreifende Ablehnung solcher Initiativen und Unterstellungen bewies aber auch, dass die freiheitlich-demokratischen Koordinaten sich nicht wesentlich verschoben haben. Der deutsche Rechtsstaat hat nach 9/11 seine Prüfung bestanden.

Der Autor ist innenpolitischer Redakteur

der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung".